Frederike Fritzsche ist Vollzeit-Corporate-Influencerin für Otto und die erste ihrer Art in Deutschland. Seit 2015 arbeitet sie für den Online-Versandhandelsriesen, davon seit 2021 als Firmenbotschafterin für Tech-Themen. Die Hamburgerin hat den Job angeboten bekommen und das war kein Zufall: „Ich habe schon viele verschiedene Rollen bei Otto ausgeführt – angefangen im Business Development bis hin zur Leitung eines internen Startups. Über meine Arbeit habe ich immer gerne offen gesprochen.“
Diese Offenheit ist der Grund, warum Corporate-Influencing für Firmen immer interessanter wird. Der Trend adressiert Themen, an denen sie regelmäßig verzweifeln – allen voran dem Fachkräftemangel. Indem Beschäftigte über ihr Tagwerk sprechen, erwecken sie Interesse bei anderen Menschen für den Arbeitgeber. Im besten Fall erreichen sie Jobsuchende, die über gängige Stellenausschreibungen hinweg gescrollt hätten. Oder sie überzeugen Wechselwillige, den Arbeitgeber für sie zu verlassen.
Bei Otto gibt es schon seit 2017 ein offizielles Corporate-Influencer-Programm. Beschäftigte berichten parallel zu ihrem eigentlichen Job. Fritzsche kam erst später dazu. Den Impuls hat der CIO Michael Müller-Wünsch gegeben: „Ihm fiel zuerst auf, dass ich gerne über meine Erfahrung als Quereinsteigerin in die IT und über Diversity-Themen im Allgemeinen sprach.“ Themen, die für die Gewinnung und die Bindung von Mitarbeitern hochrelevant sind. „Ich dachte dann: ja, wieso eigentlich nicht?“
Mehr als nur das Teilen bunter Bilder
Corporate-Influencer sind primär auf Linkedin aktiv. Mit der steigenden Bekanntheit seit der Coronakrise ist das Karrierenetzwerk zum digitalen Dreh- und Angelpunkt der Business-Welt geworden. Eine Personensuche entlang des Begriffs ergibt 46.000 Treffer, wobei nicht alle den Job ausführen, viele Nutzerinnen und Nutzer betreuen firmeninterne Programme oder beraten Unternehmen, die das Thema strategisch angehen wollen. Zu letzteren zählt auch Lisa Zöfgen, Mitgründerin der Agentur Pommes al dente.
Zöfgen und ihr Team beraten unter anderem die Landeshauptstadt München und das Online-Auktionshaus Ebay. „Beim akuten Fachkräftemangel reichen herkömmliche Methoden oft nicht mehr aus“, so die Münchnerin. Mit Corporate-Influencern bekommen potenzielle Bewerberinnen und Bewerber einen authentischen Einblick in den Unternehmensalltag. Jobsuchende identifizieren sich stärker mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als mit Karriereseiten, sagt sie, und bringt somit den größten Vorteil auf den Punkt.
Die Beraterin bemerkt, dass das Interesse in vielen Firmen da ist und Programme vorwiegend in der HR, dem Marketing oder der Unternehmenskommunikation verstanden werden. Aufklärungsarbeit leistet sie hingegen häufig noch bei Abteilungsleitenden, denen Corporate-Influencer unterstellt sind. „Sie müssen verstehen, dass Social-Media-Arbeit deren Vertrauen und Unterstützung benötigt und was es für ihre Abteilung am Ende bringen kann.“ So wird vor allem der zeitliche Aufwand für die Corporate-Influencer noch zu oft unterschätzt.
Das beginnt schon bei der Vorbereitung. „Wir raten unseren Kundinnen und Kunden dazu, einen offenen Bewerbungsprozess für das Programm aufzusetzen. Alle in der Belegschaft sollten die Möglichkeit haben, teilzunehmen“, so Zöfgen. „Nur so können wir eine möglichst diverse Gruppe sicherstellen und für Akzeptanz im ganzen Unternehmen sorgen.“ Hinzu kommen Trainings und Coachings, die Corporate-Influencer auf ihre Aufgaben vorbereiten. Wer glaubt, dass es nur um das Teilen bunter Bilder in Social Media geht, irrt.
Auch Frederike Fritzsche hat an derartigen Fort- und Weiterbildungen teilgenommen. Darin ging es einerseits um Themen rundum öffentliche Kommunikation auf Social Media – etwa wie sie auf kritische Nachfragen souverän reagieren kann. Andererseits aber auch um Präsentationstechniken und Medientraining – etwa für Konferenz- und Podcastauftritte. Corporate-Influencer übernehmen die Funktion von Repräsentanten des Unternehmens. Damit geht ein Risiko einher, durch Unerfahrenheit das Firmenimage zu beschädigen.
Coachings dieser Art hat Fritzsche gerne gemacht, jedoch sagt sie auch, dass im Vordergrund immer authentisches Auftreten stehen sollte. „Es bringt ja nichts, wenn ich auf andere Menschen unnatürlich wirke“, so die Hamburgerin. „Das geht komplett am Sinn vorbei.“ Authentizität gilt als die große Währung im Berufsbild. Während die erste Generation der Lifestyle-Influencer über ihre Glaubwürdigkeit noch Produkte unter die Leute brachte, macht die neue Generation der Corporate-Influencer das jetzt mit Firmenbotschaften.
Nicht nur auf einen Corporate-Influencer setzen
Wer sich für Corporate-Influencing interessiert, dem rät Lisa Zöfgen stets zu einem: „Wir empfehlen unseren Kundinnen und Kunden immer, es auf mehrere Personen aufzubauen.“ Es sei zwar nicht selten der Fall, dass zunächst die oder der CEO oder andere leitende Angestellte eines Unternehmens positioniert werden. Jedoch sollte sehr schnell nach diesem ersten Schritt der Weg zu einem divers aufgestellten Corporate-Influencer-Programm geebnet werden. Unternehmen profitieren laut Zöfgen damit auf mehreren Ebenen.
„Unterschiedliche Menschen sprechen unterschiedliche Zielgruppen an“, sagt die Beraterin. Zukünftige Azubis oder spezifische Fachkräfte würden sich von den jeweiligen Personengruppen besser abgeholt fühlen als nur von einem Corporate-Influencer, der pauschal für das ganze Unternehmen steht. Mehrere Personen hätten auch den Vorteil, unterschiedliche Themenfelder abzudecken. Zudem reduziert sich das Risiko, dass mit dem Ausscheiden der Person aus dem Unternehmen, das Programm stillsteht.
Einen weiteren Punkt sieht Lisa Zöfgen in negativer Presse: „Bei einer Person fällt dies deutlich stärker ins Gewicht, wenn sie als einzige Corporate-Influencerin beziehungsweise Corporate-Influencer wahrgenommen wird.“ Dies sei bei einigen prominenten Beispielen zuletzt deutlich zu beobachten gewesen. Allein bei der Landeshauptstadt München, so ordnet Zöfgen ein, seien 39 und bei Ebay 15 Corporate-Influencerinnen und Corporate-Influencer aus verschiedenen Abteilungen im Einsatz, die parallel zum eigentlichen Job über ihre Arbeit sprechen.
Auch bei Otto gehen die Verantwortlichen diesen Weg. Zwar ist Frederike Fritzsche bis dato die einzige Person, die den Job in Vollzeit macht, jedoch gibt es viele weitere Angestellte, die ebenfalls offiziell aus dem Inneren des Online-Versandhändlers berichten. Schon zum Start des Corporate-Influencer-Programms haben 100 Personen mitgemacht. Inzwischen sind die Strukturen jedoch so gut etabliert, dass die Chefetage alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermutigt, offen über ihren Arbeitsalltag in sozialen Medien zu berichten.
Welche Rolle spielt Reichweite?
Frederike Fritzsche zählt auf Linkedin rund 20.500 Followerinnen und Follower. Gemessen an den reichweitenstärksten deutschen Accounts, die mit mehreren Hunderttausend verbundenen Nutzerinnen und Nutzern aufwarten, ist das verhältnismäßig wenig. Die Corporate-Influencerin sieht das jedoch gelassen: „Da bin ich reif genug, um das auszuhalten“, so Fritzsche. Sie sieht wenig Sinn darin, auf diese sogenannten Vanity-Metriken zu schauen, die zwar zunächst beeindruckend scheinen, aber keinerlei Aussagekraft haben.
„Ich möchte mich diesem Druck nicht hingeben müssen, etwas zu produzieren, nur weil der Algorithmus mich sonst abstraft“, so Fritzsche. „Oder weil ich jetzt noch schnell die nächste Follower-Marke knacken muss.“ Zwar versucht auch sie, ihre Inhalte sinnvoll entlang der Algorithmus-Anforderungen von Linkedin zu gestalten – etwa indem sie keine Links in den Post setzt, sondern in die Kommentare –, aber darüber hinaus optimiert sie ihre Beiträge angeblich wenig. Auch Otto verlangt ihr keine Reichweitenziele ab, sagt sie.
Lisa Zöfgen weiß, dass für Unternehmen die Messbarkeit von Corporate-Influencer-Programmen dennoch eine Rolle spielt. „Zwar werden Online-Metriken in manchen Fällen durch Offline-Aktivitäten ergänzt, aber soziale Medien bieten die einfachste Möglichkeit, eine hohe und zielgruppenspezifische Reichweite aufzubauen.“ Die Follower-Zahl, das Engagement oder die Impressionen zählen sie zu den simpelsten Kennziffern. Jedoch plädiert sie dafür, die Daten nie für einzelne Personen, sondern für die gesamte Gruppe zu erheben.
„Tiefergehende Kennzahlen können dann sein, wie viele Nachrichten die Corporate-Influencer beispielsweise zu ausgeschriebenen Stellen bekommen haben“, so Zöfgen weiter. „Gleichermaßen kann im Bewerbungsprozess natürlich eine Abfrage integriert werden, ob Jobsuchende über Corporate-Influencer via Linkedin auf das Unternehmen aufmerksam wurden.“ Der bloße Blick auf die Reichweitenzahlen ist oft trügerisch, erst in Verbindung mit spezifischen Kennziffern ergibt sich ein voll umfassendes Gesamtbild.
„Es sind meist nicht die reichweitenstarken Posts, die erfolgreich sind“, sagt Frederike Fritzsche. Sie erzählt von Beiträgen, die zwar wenige Likes und Kommentare bekamen, jedoch Direktnachrichten nach sich zogen, aus denen Projekte oder Bewerbungen entstanden sind. Besonders interessant ist für sie, wenn es zu „Best-Practice-Meetings“, wie sie sie nennt, mit anderen Firmen kommt. Wenn sie sich mit anderen Begeisterten über neue Tech-Themen austauscht und das gewonnene Wissen zurück ins Unternehmen gibt.
Beispielhaft spricht sie vom Prompting mit generativer KI: „ChatGPT wird zwei Jahre und damit arbeiten nicht nur die Techies, sondern im Grunde jeder“, so Fritzsche. „Wir tauschen uns aus, was macht ihr so und was wir.“ Dieser Wissenstransfer in alle Richtungen spornt die Corporate-Influencerin von Otto an. Dadurch hat sich ihre Rolle im Unternehmen auch verändert, da die Technologie von der IT in alle Bereiche geht, kommt sie auch stärker mit anderen Abteilungen in den Kontakt. Fritzsche wirkt nicht nur nach außen, sondern auch nach innen.
Diese Arbeit wird in den nächsten Wochen in eine neue Position münden. Frederike Fritzsche wird Chief Tech Transformation Officerin bei Otto und den mit neuer Technologie verbundenen Kulturwandel im Unternehmen auf diese Weise begleiten. Corporate-Influencerin bleibt sie trotzdem, allerdings nicht mehr in Vollzeit wie bisher, sondern parallel aus einer praktischeren Position heraus. Für Otto dürfte so eine Stelle darauf einzahlen, wissbegierige Team-Mitglieder zu fördern und zu halten.
Incentives: Was motiviert Corporate Influencer?
Fördern und Halten – das spielt natürlich auch bei den Corporate-Influencerinnen und Corporate-Influencer selbst eine große Rolle: Wie gelingt es, dass auch die Firmenbotschafter eines Unternehmens motiviert bleiben? Im Grunde sind die Bedürfnisse dieser Fachkräfte gar nicht so viel anders als bei anderen Beschäftigten. „Incentivierungen haben eine große Bedeutung in allen erfolgreichen Programmen“, sagt die Beraterin. Vor allem zwei Dinge stechen für Lisa Zöfgen besonders heraus: Wertschätzung und Weiterbildung.
Das fängt an bei Kick-off-Veranstaltungen, die von leitenden Führungskräften unterstützt werden. Und geht in der Folge weiter über gemeinsame Trainings und Treffen, die die Corporate-Influencer untereinander stärker verbinden und als Team zusammenschweißen. Wichtig sei vor allem aber auch eine konstante und langfristige Folgebetreuung entlang ihres Entwicklungsstandes. „Nach unseren Beobachtungen führt das immer zu einem großen Motivationsboost bei den Corporate Influencern“, erklärt Lisa Zöfgen.
Frederike Fritzsche sagt dazu: „Für mich würde der Job dann anfangen, keinen Spaß mehr zu machen, wenn ich Stillstand spüre.“ Sie selbst sei niemand, die fünf Jahre lang denselben Job machen würde. Darüber hinaus, so berichtet sie, sei es jedoch das Größte, wenn sie merkt, dass ihre Arbeit einen echten Einfluss hat. Wenn sie auf einer Konferenz eine Bewerbung in die Hand gedrückt bekommt oder wenn durch ihr Zutun sich eine weitere Frau für einen Tech-Job bei Otto entschieden hat. „Dann weißt du, du hast wirklich etwas erreicht!“