Wie wir unsere mentale Gesundheit auf Linkedin vor dem Linked-out schützen
Seit der Gründung von Linkedin vor 20 Jahren hat sich die Plattform stark gewandelt. Im Laufe der Zeit ist die Seite von einer reinen Recruiting-Plattform zum größten sozialen Business-Netzwerk geworden. Aktuell hat Linkedin 196 Millionen registrierte Nutzer:innen in den USA und 18 Millionen Mitglieder in der DACH-Region.
Menschen vernetzen und informieren sich dort und teilen eigene Beiträge, sodass gerade in der jüngsten Vergangenheit Linkedin-Newsfeeds mehr an Facebook und Instagram erinnern als eine Plattform für die Pflege von Geschäftskontakten. Linkedin unterstützt diese Entwicklung mit entsprechenden Features und Algorithmen.
Doch was Content-Marketer-Herzen höherschlagen lässt, ist vielen ein Dorn im Auge. Linkedin-Flexen nennt sich das Phänomen, bei dem Berufstätige lange Beiträge über ihre beruflichen wie auch privaten Herausforderungen und Themen schreiben und veröffentlichen. Nicht wenige davon handeln von Kämpfen mit der eigenen mentalen Gesundheit, während ironischerweise der übermäßige Konsum von sozialen Medien eine entscheidende Rolle beim mentalen Wohlbefinden spielt. Wie also passt das beides zusammen?
Wieso, weshalb, warum?
Sicher jede:r Nutzer:in ging beim Lesen eines ausladenden Posts schon einmal die Frage durch den Kopf, ob die Demutsbekundungen und Selbstbeweihräucherung wirklich notwendig sind und wofür das Ganze überhaupt gut sein soll. Dabei gibt es viele gute und weniger gute Gründe, persönliche Gedanken und Gefühle öffentlich zu machen.
Erst mal sorgt es für Aufmerksamkeit und erhöht die Sichtbarkeit. Einerseits für den:die Autor:in, andererseits für das Thema, über das geschrieben wird. Dabei kann es um die Suche nach einem neuen Job, um Probleme bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder dem Einfinden in eine neue Umgebung, etwa im Ausland, gehen.
Linkedin eröffnet die Möglichkeit, sich Gruppen mit ähnlichen Hintergründen und Zielen anzuschließen, die vielleicht vor den gleichen Herausforderungen stehen. Teil einer Community sein und für Hilfe das persönliche Netzwerk aktivieren, sind gute Gründe für die Nutzung der professionellen Social-Networking-Seite.
Beim Konsumieren und Produzieren von Content ist es daher wichtig, die eigenen Beweggründe zu kennen und auch zu hinterfragen. Welchen Nutzen hat die Plattform für mich und was möchte ich mit der Nutzung erreichen?
Dieser Reflexionsprozess hilft, die negativen Aspekte der Nutzung zu minimieren, indem etwa negative Einflüsse und Reize bewusst wahrgenommen und gefiltert werden.
The Dark Side
Diese negativen Auswirkungen von sozialen Medien, wozu auch Linkedin mittlerweile zählt, auf die mentale Gesundheit sind hinreichend bekannt und durch zahlreiche Studien belegt. Zu den häufigsten Beschwerden und Auswirkungen gehören etwa das Gefühl von Unzulänglichkeit in Bezug auf das eigene Leben, FOMO (Fear of missing out), das Gefühl von oder tatsächliche soziale Isolation, Depressionen und Angstzustände, Cyberbullying oder eine Art Selbstversunkenheit. Dabei kann der übermäßige Konsum von Social Media zu Symptomen wie bei einer Suchterkrankung führen.
Beim Teilen von Beiträgen, gerade wenn sie sehr persönlich sind, muss mitgedacht werden, dass diese (ungewollt) auch negative Reaktionen und Kommentare hervorrufen können. Dies lässt sich schon durch die Privatsphäre-Einstellungen minimieren, dennoch ist eine vorherige Abwägung der möglichen Folgen hilfreich.
Dazu gehört auch, dass Kolleg:innen, Personaler:innen und das gesamte eigene Netzwerk Zugriff auf aktuelle und vergangene Beiträge, und damit potenziell auch auf die eigenen persönlichen Gedanken, haben. Wenn Privates und Berufliches auf dem eigenen Profil vermischt und geteilt werden, ist eine klare Kommunikation im beruflichen Alltag wichtig. Die Geschäftspartnerin kennt durch Linkedin vielleicht die eigene Herausforderung rund um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn dies aber nicht Thema beim nächsten Business-Lunch werden soll, muss das im Vorhinein deutlich gemacht werden.
Der Algorithmus von Social-Media-Plattformen regt zum ständigen Konsum an und selbst mit den besten Privatsphäre-Einstellungen werden nicht alle ungewollten Inhalte automatisch gefiltert. Daher muss die eigene Nutzung eigenverantwortlich kontrolliert werden, um die negativen Einflüsse zu reflektieren und einzudämmen.
Sobald die eigenen Gedanken und Kommentare eine negative Ausrichtung bekommen und der Gebrauch der Plattform nicht mehr lösungsorientiert ist, ist das ein deutliches Warnzeichen. Wenn man ewig lange Kommentarspalten wie Romane liest, statt sie nach Tipps und Hilfestellungen zu durchsuchen, sollte die Reißleine gezogen werden. Dieses Verhalten kann man trainieren und es nennt sich „kognitive Ergonomie“. Dazu gehört auch, die gezeigten Inhalte zu filtern. Das heißt, jene Beiträge zu ignorieren, die dem eigenen mentalen Wohlbefinden schaden und vom vorher gesetzten Ziel ablenken. Dabei können auch sensorische beziehungsweise visuelle Hinweise helfen. Ein Post-it am Bildschirm zum Beispiel oder ein gestellter Timer, der die eigene Nutzungszeit limitiert.
The Bright Side
Trotz allem können Netzwerke wie Linkedin durchaus einen positiven Einfluss auf das mentale Wohlbefinden seiner Nutzer:innen haben. Was dem einen wie unprofessionelle Selbstdarstellung und unnötige private Details vorkommt, kann für die jeweiligen Autor:innen und ihre Community positiv und hilfreich sein.
Durch das Teilen von Beiträgen kann auch die psychische Belastung geteilt werden, die darin abgebildet wird. Getreu dem Motto „Geteiltes Leid ist halbes Leid“.
Dazu kann es gehören, über die Erfahrungen zu schreiben, die man als Expat im Ausland macht. Oder auch Diskriminierung, die man sowohl beruflich als auch privat erlebt. Das eigene Netzwerk kann in solchen Fällen mindestens ein Ort des Trosts und der Empathie sein. In vielen Fällen erhält man darüber hinaus noch Hilfsangebote oder Tipps für den Umgang mit bestimmten Situationen.
Die meisten Herausforderungen sind keine singulären Phänomene, sondern institutionelle und strukturelle Probleme, die viele Menschen betreffen. Der strukturelle Aspekt kann durch ebensolche Beiträge und die Reaktionen darauf ins öffentliche Bewusstsein rücken.
Ebenso verhält es sich mit der Erkenntnis, dass der Mensch zu jeder Zeit holistisch ist. Arbeit und Privates lassen sich nicht komplett trennen. Klar kann die persönliche Note von Posts befremdlich wirken. Doch so wird dem Umstand Rechnung getragen, dass private Probleme und Sorgen morgens im Büro nicht zusammen mit der Jacke am Kleiderhaken aufgehängt werden. Umgekehrt wird die Arbeit mental auch mit nach Hause genommen, wenn sie durch Homeoffice und Co. nicht sowieso schon am heimischen Esstisch sitzt.
Verständnis und Verantwortung für sich und andere
Mit der mentalen Gesundheit und sozialen Netzwerken verhält es sich wie mit so vielen Sachen im Leben: Man kann die anderen nicht ändern, nur das eigene Verhalten. Wenn das eigene mentale Wohlbefinden unter dem Konsum von Newsfeeds leidet, ist Selbstkontrolle und Filtern angesagt. Viele Berufe, gerade die von Wissensarbeiter:innen, erfordern heutzutage ein Linkedin-Profil und den regelmäßigen Gebrauch der Seite. Schwierig wird es, wenn der Nutzen nicht mehr zielgerichtet oder lösungsorientiert ist. In solchen Fällen muss für einen selbst und die eigene mentale Gesundheit Verantwortung übernommen und der Konsum heruntergefahren werden.
Gleichzeitig darf, wenn es der eigenen mentalen Gesundheit hilft, über Probleme und Herausforderungen geschrieben werden. Es kann hilfreich sein, das persönliche Netzwerk für Tipps und Hilfe anzuzapfen und mit anderen in den Dialog zu treten. Dieser Gedanke sollte im Hinterkopf bleiben, wenn die Beiträge von anderen mal wieder nerven. Mit mehr Verständnis füreinander lässt sich der Linkedin-Newsfeed für alle positiver gestalten und das eigene mentale Wohlbefinden unterstützen.