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Reportage

Wenn Partydrogen zum Produktivitäts-Booster werden: Microdosing ist auf dem Vormarsch

LSD, MDMA, Ketamin und Psilocybin: Für Microdosing-­Anhänger sind die Partydrogen Produktivitäts-Booster, ­Wissenschaftler sehen in ihnen den Schlüssel zur Heilung ­psychischer Erkrankungen. Investoren wittern ein Milliardengeschäft.

Von Jakob von Lindern
12 Min.
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Das in Magic Mushrooms enthaltene Psylocibin eignet sich laut wissenschaftlichen Studien auch zur Behandlung von Depressionen. (Bild: Shutterstock/ Microgen)


Ein Wundermittel für mehr Lebensfreude? Gibt es bisher nicht. Menschen mit psychischen Erkrankungen müssen gegenwärtig meist täglich Tabletten nehmen, probieren oft verschiedene Präparate aus – und selbst die wirken manchmal nicht wie erwünscht. Zumindest bisher. Es gibt aber einen neuen Hoffnungsträger: keine neu entwickelte Chemikalie, sondern ein uralter Wirkstoff. Bereits die alten Azteken und sogar ihre Vorfahren kannten und nutzten ihn. Er heißt Psylocibin und kommt in der Natur in Pilzen vor, die zum Beispiel Psilocybe semilanceata oder Psilocybe cubensis heißen – besser auch bekannt als Magic ­Mushrooms.

Warum ist psychedelische Medizin auf dem Vormarsch?

Immer mehr Studien deuten darauf hin, dass Substanzen, die viele vor allem als illegale Drogen kennen, geradezu durch­sch­lagend wirken gegen Krankheiten wie Depressionen, Angst­störungen, posttraumatische Belastungsstörungen oder Sucht­erkrankungen. Neben Psilocybin steht auch das sehr ähnlich wirkende LSD hoch im Kurs, außerdem das Amphetamin-Derivat MDMA und das eigentlich als Narkosemittel entwickelte Medikament Ketamin.

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Diese Stoffe wirken unterschiedlich, gemeinsam haben sie, dass sie psychoaktiv sind. Sie beeinflussen die Wahrnehmung und das Bewusstsein, können Halluzinationen auslösen und, je nach Substanz und Dosis, leichte bis sehr tief greifende Rauschzustände hervorrufen. Das Abhängigkeits- und Gefahrenpotenzial von MDMA ist laut einiger häufig zitierten Arbeiten des Psychopharmakologen David Nutt oder des Psychologen Robert Gable vergleichsweise gering und liegt zum Beispiel weit unter dem von Alkohol. LSD und Psilocybin schneiden in diesen Untersuchungen tendenziell noch besser ab.

Ihrer Euphorie über diese sogenannte „psychedelische ­Medizin“ lassen Unternehmer wie Christian Angermayer freien Lauf: „Wir wollen komplett verändern, wie wir über Depressionen nachdenken, und Menschen heilen, die daran leiden“, sagt der deutsche Investor und Gründer der Firma Atai Life Sciences, die in die Erforschung neuer Medikamente investiert. Er glaubt, dass die Psychedelika Menschen dabei helfen können, glücklicher zu sein. Mit denen anzufangen, die so unglücklich sind, dass ­Ärzte es „Depression“ nennen, ist folgerichtig, aber das ist für ihn nur der Anfang. Und so erzählt er begeistert von seinen eigenen Pilz-Trips – ganz ohne medizinische Indikation.

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Atai-Gründer Christian ­Angermayer über seine Trip-­Erfahrung

Bevor ich von meinen eigenen Erfahrungen berichte, will ich betonen, dass Psychedelika nur unter kompetenter – idealerweise medizinischer oder psychologischer – Aufsicht eingenommen werden sollten. Meine Biotechfirma Atai und deren Tochter Compass Pathways arbeiten daran, dass synthetisches Psilocybin und andere Psychedelika ­wieder als Medikament unter ärztlicher Aufsicht legal werden. Ich halte nichts davon, dass diese frei erhältlich sind. Dafür sind sie zu wirkungsmächtig, und Konsumenten könnten Fehler bei der Anwendung machen. Meine eigenen Erfahrungen habe ich mit einem sehr kompetenten Betreuer in Ländern, in denen Psychedelika heute schon legal sind, gemacht.

Mein erster Pilz-Trip war im wahrsten Sinne des Wortes unbeschreiblich und das beste Einzelerlebnis meines Lebens. Der Erste wurde dann durch weitere ergänzt und zusammen bilden sie die bedeutsamste Gesamterfahrung, die ich je gemacht habe. Man lernt sehr viel über die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Es ist schwierig, das in Worte zu fassen, weil es eine mystische, transzendente Erfahrung ist. Ich versuche eigentlich, Begriffe wie „Gott“ zu vermeiden, weil diese für jeden Menschen eine andere Bedeutung haben, aber es ist schwierig, ohne religiöse Terminologie auszukommen. Ich würde sagen, man erkennt den Sinn der Existenz in allen seinen Details. Das Bewusstsein wird freigemacht von all den Konventionen, Anforderungen und Druck von außen, den Wünschen der Gesellschaft, wie man zu sein hat. Man erkennt sich selbst in einer puren, reinen Version. Und eine solche radikale Selbsterkenntnis muss nicht immer Spaß machen, das kann durchaus auch anstrengend sein. Deshalb eignen sich Psychedelika überhaupt nicht als Party­droge, und ich kann nur nochmals betonen, dass man eine solche Erfahrung nicht alleine machen sollte, sondern begleitet von einem Therapeuten.

Mir geht es dabei überhaupt nicht um Rausch im Sinne von Exzess, ich trinke zum Beispiel überhaupt keinen Alkohol. Ein psychedelischer Trip ist eine Reise ins Ich und es ist auch eine Art Tabula rasa – das Gehirn ist danach sozusagen besser beschreibbar mit den positiven Aspekten des Lebens, von denen es so unendlich viele gibt. Nur haben die meisten Menschen verlernt, sie wahrzunehmen. Ich mache das deshalb auch nur selten, maximal einmal im Jahr, und nur in einem zeremoniellen Rahmen mit genügend Zeit davor, um mich ­darauf einzustimmen, und genug Zeit danach, um das Gelernte zu verarbeiten, und in mein Leben zu integrieren.

„Der Grat zwischen Therapie, medizinischer Anwendung, Wellness und Freizeit ist schmal“, schreibt etwa Anne ­Philippi, Gründerin der Plattform The New Health Club. Auf ihrer ­Website ist von einem „neuen Lifestyle“ dank Psychedelika die Rede. „Die Befürworter von Psychedelika sind keine homogene ­Gruppe“, sagt Adele Byrne, ­Senior Analystin bei der Beratungsfirma ­Prohibition Partners, die auf den Markt für medizinisches ­Cannabis und Psyche­delika spezialisiert ist. „Es gibt Menschen, die sie vollständig legalisieren wollen, andere wollen sie entkriminalisieren, wieder andere ausschließlich medizinisch nutzen.“

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Es gibt durchaus Firmen, die sich mit der nicht-medizinischen Anwendung der Substanzen beschäftigen. Einige bieten Kurse an, andere organisieren Retreats in den Niederlanden, wo „Zeremonien“ mit den dort legalen Varianten der psilocybinhaltigen Pilze stattfinden. Es gibt „Psychedelics Coaches“, die eine zahlungskräftige Kundschaft für viel Geld bei ihren Trips begleiten. Einer wirbt mit dem Slogan „Stewarding Humanity 2.0“.

Die Menschheit 2.0 – wie weit ist das noch entfernt von ­Timothy Learys „Neuprogrammierung“? Anfang der 1960er experi­mentierte der Psychologiedozent an der US-Universität Harvard mit psychedelischen Substanzen und wollte damit die Psychiatrie revolutionieren. Doch er ließ sich von seiner Begeisterung davontragen und schadete damit am Ende seiner Sache. Sind es heute die Unternehmer, die denselben Fehler machen? „Ich bin nicht der nächste Timothy Leary“, betont Atai-Gründer Angermayer. „Leary hat zwar das Potenzial dieser Substanzen erkannt, aber sie dann als Gegenentwurf zur Gesellschaft dargestellt. Ich will Psychedelika zu einem Teil der Gesellschaft ­machen.“ Er ist nicht für eine komplette Legalisierung, wohl aber für eine Entkriminalisierung.

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Der Hype um Microdosing

Angermayer ist nicht der Einzige. In der Netflix-Produktion „Have a Good Trip“ erzählen Stars wie Carrie Fisher oder Sarah Silverman einem Millionenpublikum von ihren LSD-Erlebnissen. Tatsächlich genießen Psychedelika gerade in Kalifornien, wo sie schon einmal so beliebt waren, seit einiger Zeit wieder größeres Ansehen. Meist allerdings in winzigen Dosierungen. Das sogenannte „Microdosing“, also die regelmäßige Einnahme von nicht bewusst spürbaren Mengen LSD oder Psilocybin, ist seit einigen Jahren schwer in Mode im Silicon ­Valley.

Immer mehr Unternehmen forschen auf dem Gebiet der psychedelischen Medizin, entwickeln Präparate und loten Therapiemethoden aus. Am aussichtsreichsten sind dabei aktuell Psylocibin-Erzeugnisse. Laut ­Analysten wird der Markt bis 2027 auf ein Volumen von fast sieben Milliarden US-Dollar wachsen. (Abbildung: Shutterstock/Andre B)

Ein wichtiger Verfechter ist der Psychologe James F­­adiman, der schon in den 1960er-Jahren an Experimenten mit Psyche­delika mitarbeitete und 2011 das Buch „The Psychedelic ­Explorer’s Guide“ veröffentlichte. Seine Werke sind wie das Internet – etwa der Subreddit „r/microdosing“ – voll mit euphorischen Erzählungen von Menschen, die berichten, LSD-Dosen zwischen 5 und 15 Mikrogramm oder Psilocybin-­Dosen von ungefähr drei Milligramm, die sie meist alle paar Tage einnehmen, würden sie kreativer, konzentrierter, besser gelaunt oder weniger ängstlich machen.

Nur ein Placebo-Effekt?

Jenseits von Erfahrungsberichten gibt es aber kaum Studien zu der Frage, ob Microdosing über den Placebo-Effekt hinauswirkt. Und die, die es gibt, deuten eher nicht auf eine durchschlagende Wirksamkeit hin: 2019 haben Forscher der Universität Chicago eine erste placebo-kontrollierte Studie durchgeführt (Bershad et al.), in der die Testpersonen bei einer kognitiven Aufgabe nicht besser abschnitten als die Kontrollgruppe. In einer anderen Studie (Yanakieva et al., 2018) war keine Verbesserung der Konzentration festzustellen, nur die Einschätzung von Zeiträumen war messbar verbessert.

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„Wir haben kaum Daten und wir wissen nicht, was die ­dauerhafte Einnahme einer solchen Substanz mit Hirn und ­Psyche macht“, sagt Gerhard Gründer. Er ist Professor für Psychiatrie am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI). Sicher ist, dass durch das Microdosing die intensive psychedelische ­Erfahrung wegfällt. „Ob das das Potenzial dieser Substanzen wirklich auslotet, da bin ich zumindest skeptisch“, sagt der deutsche Wissenschaftler. Denn diese Erfahrung ist es ja gerade, die den therapeutischen Effekt hat. Und genau darum geht es in der psychedelischen Medizin. Gründer arbeitet aktuell gemeinsam mit Kollegen an der Charité Berlin an einer größeren Studie mit 150 Patienten zur Wirksamkeit von ­Psylocibin in der Behandlung von Depressionen, die bisher als behandlungsresistent gelten. Dass die Studie bisher noch in den Startlöchern steht, liegt auch an den aufwendigen Genehmigungsprozessen. Viel einfacher wäre es, wenn Psilocybin nicht mehr verboten wäre – doch das ist ein weiter Weg.

Die Renaissance der psychedelischen Medizin markiert eine Studie der Johns-Hopkins-Universität aus dem Jahr 2009. Seitdem wird wieder mehr geforscht, mittlerweile gibt es am Imperial College in London sogar das Centre for Psychedelic Research. Die Ergebnisse der Studien sind beeindruckend: In einer Untersuchung der Johns Hopkins (Griffiths et al., 2016) bekamen Krebspatienten, die unter schweren Angstzuständen und Depressionen leiden, im Rahmen einer Therapiesitzung eine Medikamentenkapsel mit Psilocybin. Unmittelbar danach ging es den Patienten besser, sie hatten weniger Angst vor dem Tod, sprachen von höherer Lebensqualität. Und nicht nur das: Auch sechs Monate später ging es der großen Mehrheit nach wie vor messbar besser.

Das Marktpotenzial für psychedelische Medizin

Sollte sich bestätigten, dass psychedelische Therapie in vielen Fällen besser anschlägt als die bisher als Psychopharmaka verwendeten selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), wäre das ein enormer Durchbruch. Denn psychische Krankheiten sind extrem weit verbreitet. Schätzungen zufolge leiden weltweit inzwischen rund 350 Millionen Menschen an einer Depression. Laut einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation sind ­Depressionen oder affektive Störungen inzwischen die zweithäufigste Volkskrankheit weltweit.

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„Psychedelisch unterstützte Therapien könnten der Gesell­schaft Kosten in einer Größenordnung von 350 Milliarden US-Dollar im Zusammenhang mit Störungen des Substanz­konsums (Opioide, Alkohol und Nikotin), beinahe 150 Milliarden US-Dollar im Zusammenhang mit Depressionen in den USA und 12,4 Milliarden US-Dollar im Zusammenhang mit posttrauma­tischen Belastungsstörungen allein in den USA und der EU sparen“, schreibt Prohibition Partners in einem Report.

Dementsprechend groß ist auch der Markt, der sich für die Behandlung dieser Krankheiten eröffnet: Die Analyse-Firma Data Bridge prognostiziert, dass er bis 2027 auf ein Volumen von fast sieben Milliarden US-Dollar wächst. Seit einigen Jahren entstehen immer mehr Unternehmen, die Präparate entwickeln und Therapiemethoden erforschen. Die deutsche Non-Profit-­Organisation Mind listet rund 90 Unternehmen auf, die zur „Psychedelic Industry“ gehören, viele davon wurden erst 2019 gegründet.

(Grafik: t3n)

Auch wegen der Illegalität der Substanzen wird der Markt immer wieder mit dem für medizinisches Cannabis verglichen. „Ich würde den Vergleich nicht überstrapazieren“, sagt aber ­Analystin Byrne von Prohibition Partners. Das medizinische ­Potenzial der Psychedelika sei deutlich größer als bei Cannabis. Eines könne der Sektor aber auf jeden Fall von den Erfahrungen der ­Cannabis-Diskussion lernen: „Es ist wichtig, das Thema nicht zu sehr zu hypen. Der Cannabis-Markt war in gewisser Weise ­Opfer seines eigenen Erfolgs.“

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Sie betont das, denn derzeit ist eine ähnliche Goldgräber­stimmung zu spüren wie zu Beginn des Cannabis-Booms. ­Insbesondere, seit im März die zwei kanadischen Unternehmen Champignon Brands und Mindmed an die Börse gingen, gelten psychedelische Aktien in einschlägigen Investorenforen als Geheimtipp. Die Rede ist vom Shroom-Boom. Auch außerhalb der Börse wird kräftig investiert: Das von Angermayer gegründete Unternehmen Atai Life Sciences sitzt in Berlin und ist wiederum der größte Investor am US-Unternehmen Compass Pathways, das erst im April 80 Millionen US-Dollar eingesammelt hat.

„Wir sind noch in der Entwicklungsphase“, sagt Florian Brand, CEO von Atai Life Sciences. Die Therapiemethode, die Compass Pathways für die sogenannte „Treatment-Resistant-Depression“, also eine Depression, die nicht auf klassische Behandlung anspricht, testet, wurde von der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA mit dem Status „Breakthrough Therapy“ versehen. Die dazu aktuell laufende Studie ist die größte aller Zeiten mit medizinischem Psilocybin.

Marktanalystin Byrne geht ihrerseits davon aus, dass ­psilocybin-gestützte Therapien frühestens 2023 oder 2024 in den USA zugelassen werden. Das ultimative Ziel sei, sagt Atai-Manager Brand, dass eine solche Behandlung auch von der Krankenkasse erstattet werde. Bis es so weit ist, könnte es jedoch noch deutlich länger dauern. Das gilt auch für die meisten anderen Therapieformen.

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Nixon lag falsch, die Hippies wussten es besser

Die Frage, die sich angesichts dieser vielversprechenden ­Studienlage aufdrängt: Warum erst jetzt? Wissenschaftler durften lange kaum damit forschen. Erst seit Kurzem ist es überhaupt wieder möglich, klinische Studien mit diesen Stoffen durchzuführen. LSD, Psilocybin und MDMA sind praktisch auf der ganzen Welt verboten, in ­Deutschland fallen sie unter das Betäubungsmittelgesetz und sind weder „verkehrsfähig“ noch „verschreibungsfähig“. Die meisten Menschen kennen diese Substanzen auch nicht als Medikamente, sondern als illegale Drogen.

„Ich habe keine ­Zweifel, dass eine ­psychedelische Erfahrung auch für ­gesunde Menschen wertvoll sein kann.“

Die Idee, LSD und Psilocybin in der Behandlung psychischer Erkrankungen einzusetzen, ist nicht neu. In den 1950er- und 1960er- Jahren gab es bereits rege Forschung. Entdeckt wurde die Wirkung von Lysergsäurediethylamid vom Schweizer Chemiker Albert ­Hofmann im Jahr 1943. Nachdem er den Stoff bereits Jahre zuvor als mögliches Kreislaufmedikament entwickelt und verworfen hatte, geriet er während eines Versuchs aus Versehen damit in Hautkontakt, bemerkte die Wirkung und erforschte sie im Selbstversuch weiter. Wenige Jahre später wurde LSD unter dem Namen Delysid vom Pharmakonzern Sandoz auf den Markt gebracht, der auch Psilocybin vertrieb – beides als Medikamente im Rahmen von Psychotherapie. Im Rahmen des „Harvard Psilocybin Projects“ sorgte dann Timothy Leary mit seinen LSD-Experimenten für Aufsehen.

Doch außerhalb von Laboren wurde LSD gleichzeitig als ­Droge zu einem zentralen Element der Hippie-Bewegung. ­Während zum Beispiel MDMA euphorisch, wach, empathisch macht, die dadurch ausgeschütteten Glückshormone in Ravern das unbändige Verlangen auslöst, Freunde umarmen zu wollen, wirkt LSD deutlich anders. Es verändert die Wahrnehmung zum Teil ganz massiv. Berühmt sind die optischen Halluzinationen, weil sie viele Künstler zu knallbunten Werken inspirierten.

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US-Präsident Richard Nixon ­bezeichnete den Psychologen und LSD-Fan Timothy Leary als „den ­gefährlichsten Mann in Amerika“. Über den Zweikampf wurde so ­manches Buch geschrieben und Leary zur Ikone der Hippies. (Abbildung: Steven L. Davis / Bill Minutaglio)

Aber die Veränderungen sind auch kognitiv. Fundamentale Einsichten, Einswerden mit der Natur, ein neuer Blick auf die Welt – diese Wirkung beschrieben Autoren und Musiker, selbst die Beatles besangen angeblich LSD. In Kalifornien wurde es auf Happenings verteilt. Und auch manche Wissenschaftler ließen alle Zurückhaltung fallen: Psychologe Leary war schließlich überzeugt davon, dass durch LSD-Konsum das Gehirn neu programmiert werden könnte, und die Welt eine bessere wäre, wenn alle Menschen auf Acid wären. Er wurde in Harvard gefeuert und zu einer wichtigen Figur der Hippie-­Szene. Sein berühmtes Motto: „Turn on, tune in, drop out!“

Der damalige US-Präsident Richard Nixon nannte Leary laut New York Times einmal den „gefährlichsten Mann in Amerika“. Denn die Hippies und ihre Botschaft vom Frieden waren für ihn untrennbar mit LSD und Marihuana verknüpft, und so erklärte die US-Regierung den „War on Drugs“. Im Jahr 1966 wurde LSD in den USA verboten, kurze Zeit später auch im Rest der Welt, und in groß angelegten ­Kampagnen wurde der Bevölkerung erklärt, wie böse die Stoffe seien und welche – vermeintlich – verheerende Wirkung sie auf die Menschen haben könnten. Das war auch das vorläufige Ende der medizinischen Forschung mit LSD und dem beinahe wirkgleichen Psilocybin.

„Das Stigma ist definitiv das größte Problem für diese ­Therapieformen“, sagt Analystin Byrne von der Unternehmensberatung Prohibition Partners. „Von dem Image wegzukommen, das diese Substanzen seit den 1960er- und 1970er-Jahren haben, wird die größte Herausforderung für den Sektor.“

Spirituelle Erlebnisse können heilen

Fragt man Patienten, wie sie ihren ärztlich verordneten Trip erlebt haben, berichten sie, dass sie ihre Probleme mit anderen ­Augen sehen und sich plötzlich wieder mehr im Reinen mit der Welt ­fühlen. „Es wird nicht physiologisch etwas im Hirn korrigiert wie mit herkömmlichen Antidepressiva“, sagt Gründer. Das Erlebte zu verarbeiten, sei im Grunde der wichtigere Teil. „Viele Patienten machen eine derart fundamentale spirituelle Erfahrung, dass die Krankheit tatsächlich weg ist. Das ist es, was diese Therapieform so besonders macht.“

Trotz dieser Ergebnisse ist es Gründer wichtig, nicht in zu große ­Euphorie zu verfallen. „Ich bin Wissenschaftler“, sagt er. „Zu behaupten, man würde die gesamte Therapie psychischer ­Erkrankungen über Nacht revolutionieren oder die Probleme von 300 Millionen Menschen lösen, einfach indem man ­Psilocybin legalisiert, ist einfach nicht seriös“, sagt Gründer. „Das ist ­Marketing.“ Er will als jemand gesehen werden, der an einer ­neuen, vielversprechenden Therapie forscht. Nicht als jemand, der Drogen legalisieren will.

Die überschwänglichen Heils- und Wunderversprechen der ­Psychedelic-Gurus aus dem Silicon Valley sind Gründer erkennbar unbehaglich. „Viele Leute wollen auch einfach Geld verdienen“, sagt er. Und doch sind auch für ihn LSD, Psilocybin und verwandte Stoffe mehr als nur ein neues Medikament. „Wer ernsthaft über sich selbst und über den richtigen Weg durchs ­Leben nachdenkt, wird früher oder später auf die Idee der ­Bewusstseinserweiterung stoßen“, sagt er. Doch Gründer ist auch Realist: „Ich habe keine Zweifel, dass eine psychedelische Erfahrung auch für gesunde Menschen wertvoll sein kann“, ergänzt er. „Aber das ist erst der nächste Schritt. Jetzt kommt erst einmal die therapeutische Anwendung.“

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der t3n 61 Hier findest du die neuesten Magazin-Ausgaben und hier unser Archiv.

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