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MyEnso-Gründer: „Was Amazon macht, kann uns egal sein“

Das Bremer Lebensmittel-Startup MyEnso macht vieles anders als die Großen der Branche: Basisdemokratie, Genossenschaft der Kunden, Ersetzen des Dorfladens. Kann das gut gehen?

7 Min. Lesezeit
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Norbert Hegmann und Thorsten Bausch wollen mit MyEnso die Lebensmittelbranche aufmischen. (Foto: MyEnso)

Lebensmittel online zu bestellen ist ein Trendthema. Spätestens seitdem Amazon im vergangenen Jahr seinen Lieferdienst für Lebensmittel auch in Deutschland an den Start gebracht und Rewe seine Liefer-Flatrate eingeführt hat. Der Markt, soviel steht fest, kann in den nächsten Jahren noch auf hohe Zuwachsraten hoffen.

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Zum ersten Mal hat im vergangenen Jahr der Online-Umsatz für Lebensmittel die Grenze von einer Milliarde Euro überschritten und der achtfache Umsatz ist laut einer Studie der Unternehmensberatung Oliver Wyman in den nächsten fünf Jahren realistisch. Lebensmittel gelten als situatives Handelsgut: 56 Prozent der Kunden kaufen gelegentlich online ein, nutzen aber genauso selbstverständlich den Discounter oder Supermarkt in herkömmlicher Form.

MyEnso will gegen Amazon und Rewe antreten

Einen etwas anderen Ansatz als die großen Food-Ketten fährt MyEnso. Das Bremer Startup hat dieser Tage seinen Webshop auf die Straße gebracht – beliefert bis Ende des Jahres aber zunächst aber nur die „Pioneers“ genannten Modellkunden, klassische Early Adopter. Die durften in den letzten Wochen (und auch in Zukunft) darüber abstimmen, welche Produkte und Hersteller ins Sortiment kommen und welche Shop-Features und Services umgesetzt werden. Ob eine solche basisdemokratische Herangehensweise funktioniert, wird sich also erst noch zeigen müssen.

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Die Pioniere dürfen mitbestimmen: MyEnso setzt auf viel Marktforschung und will Kunden so langfristig an sich binden. (Bild: MyEnso)

Spannend genug ist das Modell aber in jedem Fall, weswegen wir mit Thorsten Bausch, einem der beiden Gründer, gesprochen haben. Er hat uns erklärt, weshalb es ihnen eigentlich egal sein kann, was Amazon mit seinem Lieferdienst macht und warum der Preis zumindest bislang gar nicht mal der wichtigste Punkt beim Online-Lebensmittelkauf ist.

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t3n.de: Thorsten, ihr fragt eure Kunden, welche Artikel ins Sortiment sollen und welche Dienstleistungen sie erwarten. Was hat euch das an Erkenntnissen gebracht?

Thorsten Bausch: Wir haben schon vor der Gründung unseres Unternehmens 1,5 Millionen Euro in Marktforschung investiert, um herauszufinden, was potenzielle Kunden wollen, wer sie sind und unter welchen Umständen sie ihre Lebensmittel online einkaufen würden. Uns ging es darum, dass wir verstehen, warum die Deutschen bisher nicht so gerne im Online-Supermarkt einkaufen. Unsere erste große Erkenntnis war, dass über 50 Prozent aller Deutschen im Internet bereits Supermarkt-Produkte eingekauft haben, aber eben nicht in einem Online-Supermarkt, sondern bei Spezialanbietern. Überraschend war auch, dass die typischen Käufer nicht unbedingt die jungen Hipster sind. Das Durchschnittsalter liegt bei 44,2 Jahren, der Anteil der Männer sogar bei 45 Prozent. Nur 14 Prozent der befragten Käufer besitzen kein Auto. Die Hauptgründe, warum die Menschen ihren Lebensmitteleinkauf online tätigen würden, sind natürlich die Bequemlichkeit und Zeitersparnis. Aber ein weiterer wichtiger Treiber, den ein Viertel der Befragten angab, war, dass manche Produkte offline schwer erhältlich sind.

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t3n.de: Wie aussagekräftig ist eine solche Befragung überhaupt? Möglicherweise verhalten sich die Kunden dann tatsächlich doch anders, als sie in einer solchen Befragung erklären, etwa beim Thema Zahlungsbereitschaft und Kaufhäufigkeit.

Wir konnten nahezu alle Erkenntnisse kreuzen und so an anderer Stelle noch einmal beweisen. So haben wir beispielsweise gemeinsam mit dem führenden Marktforschungsinstitut Kantar TNS 6.000 Online-Interviews geführt, haben mehr als 100.000 Bons von Online-Einkäufen ausgewertet und eine achttägige Online-Community mit Online-Käufern sowie einen eigenem Testmarkt durchgeführt. In einem Workshop mit einer Supergroup haben wir dann konkrete Ideen entwickelt, wie ein Online-Supermarkt sein sollte, der den Kunden gefällt. Die Erkenntnisse lassen sich also verlässlich hochrechnen und verifizieren.

t3n.de: Wo liegt denn das Hauptbedürfnis der Kunden?

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Convenience ist der Haupttreiber für den Online-Lebensmittelkauf. In der Konsequenz muss der Online-Supermarkt „convenienter“ sein, um zu überzeugen. Das ist er noch nicht. Der Preis scheint momentan noch nicht der Treiber zu sein. Es herrscht noch keine hohe Loyalität zu den Händlern, es besteht Neugierde und Wechselbereitschaft – ein Indiz dafür, dass die Bedürfnisse noch nicht optimal bedient werden. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass der Online-Supermarkt noch das deutlich schlechtere Angebot im Vergleich zum stationären Laden ist. Es fängt damit an, dass Online-Supermärkte oft ein kleineres Sortiment haben als der Supermarkt um die Ecke. Auch ist das Einkaufen, wie wir es gelernt haben, im Internet nicht umgesetzt. Wo finde ich die Produkte und passende Artikel? Wie wird das Sortiment präsentiert? Warum werde ich online nicht inspiriert?

t3n.de: Wie positioniert ihr euch, um eure Nische zu finden? Konkurriert ihr überhaupt mit den Rewes, Amazon Freshs und Allyouneedfreshs dieser Welt?

Wir haben es weltweit mit dem großen Wachstumsmarkt zu tun, Deutschland steht an dritter Stelle. Noch wird aber erst ein Prozent der im Lebensmittelhandel getätigten Umsätze hierzulande online erwirtschaftet. Ein riesiger, nicht gehobener Schatz. Da ist genug Platz für alle. Natürlich hat Amazon auch dazu beigetragen, den Markt für dieses Thema vorzubereiten. Das haben wir auch so erwartet und alarmierend war das nie für uns. Es war doch klar, das Amazon in diesen Markt gehen wird – wir dachten sogar, früher. Und Amazon wird auch noch ein paar Schippen drauf legen. Aber was hat das mit uns zu tun? Unsere Chance liegt darin begründet, dass wir etwas grundlegend anders machen, das einerseits nicht von den anderen Marktteilnehmern kopiert werden kann und zweitens von einem attraktiven Marktanteil von den Menschen gewollt ist. Unsere Aussage, dass wir uns um Amazon und Rewe nicht kümmern, ist keine Arroganz, sondern eine Erkenntnis, die sich aus der Abgrenzung der Geschäftsmodelle ergibt.

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t3n.de: Jetzt habt ihr ja schon reichlich in Marktforschung investiert, wollt aber dennoch dem Kunden noch kein fertiges Produkt vorsetzen, sondern ihr lasst ihn mitgestalten. Wie geht’s weiter?

MyEnso kann alles neu machen, wir starten auf der grünen Wiese und können die bisherigen Prinzipien auf den Kopf stellen: Bei uns entscheidet der Kunde über essenzielle, den gesamten Einkaufsprozess und alle damit verbunden Bedürfnisse betreffende Sachen und nicht nur über den Zuckergehalt eines Lebensmittels. Wir sind nicht fertig an den Markt gegangen – unsere gestaltungswilligen Kunden, wir nennen sie Pioniere, gehen mit uns den Weg. Wir haben gemeinsam die Idee entwickelt und die Marke, das Geschäftsmodell, das Sortiment, die Services und Shop-Funktionen. Alles in kleinen Schritten. Deswegen hast du bei uns heute auch keinen fertigen Shop, sondern eine Version 1.0, die in kleinen Schritten durch das Testen und Lernen mithilfe einer immer größer werdenden Anzahl von Pionieren bis zum Jahresende Shop 9.0 wird. Von diesem Prinzip der Unternehmensentwicklung weichen wir auch nicht ab, es hat sich bewährt. Schon jetzt haben wir 25.000 Artikel in unserem Shop und gehören damit jetzt schon zu den großen. Aber MyEnso wird nie fertig sein.

t3n.de: Kann es eine Strategie sein, in Dörfer zu liefern, in denen es keinen Supermarkt mehr gibt? Ihr habt da ja einen Case bei Bremen, wo ihr das probiert.

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Absolut, das ist eine unserer Strategien. Wir bringen den Supermarkt ins Dorf zurück. In vielen Ortschaften haben sich die Nahversorger zurückgezogen. Gerade für ältere und nicht so mobile Menschen ist das ein Problem. Seit Anfang Mai beliefern wir Blender, ein niedersächsisches Dorf in der Nähe von Verden, mit Lebensmitteln und schaffen eine Wochenmarktstruktur gemixt mit persönlicher Belieferung und einem Stützpunkt beim örtlichen Bäcker. Mit diesem Modell decken wir nicht nur eine offenstehende Bedarfslücke, sondern erschließen auch logistisch optimiert die Regionen außerhalb der Städte. MyEnso ist nicht nur ein Onlineshop, sondern ist da und so wie die Menschen ihn brauchen.

t3n.de: Logistik scheint immer noch eines der Hauptprobleme bei Lebensmitteln via Internet zu sein. Wie löst ihr das Frischeproblem und die Risiken, dass ein Paket nicht auf dem ersten Versuch beim Kunden landet? Was und wie trackt ihr da?

Wir arbeiten eng mit SGS Fresenius zusammen, die uns rund um die Zertifizierung betreuen. Darüber hinaus führen wir eigene Tests in Klimakammern durch, um sicherzustellen, dass Temperatur zu führende Ware auch bis zur Haustür in dem jeweils benötigten Klima bleibt und Kühlketten sicher eingehalten werden. Einen weiteren Beitrag liefert unser Partner auf der letzten Meile, Liefery, mit seinen sehr kurzen Auslieferungszeiten und Nachbarschaftszustellung. In keinem Fall ist die Ware nach Verlassen unseres Lagers länger als 24 Stunden unterwegs bis zur Zustellung an die Haustür. Und der Kunde kann bis 4 Stunden vor Auslieferung die Lieferadresse und das Zeitfenster noch ändern. All das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde auch bereits im ersten Versuch seine Bestellung zugestellt bekommt. Livetracking und eine außergewöhnliche, intensive Kundenkommunikation zum Letzte-Meile-Status runden dieses ganze Konzept ab. Und unsere Frischware werden wir in Zukunft direkt, also ohne Umweg über Handelspartner, vom Großmarkt beziehen. Damit ist unsere Frischware dann um mindestens einen Tag frischer als in den meisten stationären Supermärkten.

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t3n.de: Was sind eurer Meinung nach die besonderen Herausforderungen für Lebensmittel-Startups im Vergleich zu anderen E-Commerce-Unternehmen?

Zwei Dinge machen das Leben eines E-Commerce-Lebensmittelangebotes entscheidend schwerer als das von Schuhen, Büchern und anderen Waren: erstens die enorme Komplexität, die ein Lebensmittelvollsortiment aus 25.000 Produkten mit Artikeln vom feuergefährlichen Haushaltsreiniger über frisches Gemüse und Fleisch bis Tiefkühlware im Lager und in der Auslieferung in Verbindung mit unterschiedlichen Haltbarkeitszeiträumen und Drehgeschwindigkeiten mit sich bringt. Und zweitens die erheblich geringere Handelsmarge, mit der aber das gesamte System finanziert werden muss. Das kriegt man nur gelöst, wenn man groß denkt. Dazu wird eine sehr smarte und vorausschauende infastrukturelle Gesamtlösung benötigt, die sich erst ab einer bestimmten Größenordnung lohnt. Das können Nischenanbieter, Spezialsortimenter, Startups in der Regel nicht abbilden. Allein die Intralogistik wird da irgendwann zu einer natürlichen Wachstumsbremse. Deswegen bieten wir diesen Unternehmen die Möglichkeit, unsere Infrastruktur zu nutzen und damit nicht nur Kosten zu sparen, sondern auch das eigene Wachstumshemmnis damit lösen zu können. Hinzu kommt das Vertrauen, denn es geht um Lebensmittel, mit denen ich meinen Körper füttere.

t3n.de: Welche Wege sind es, die euch bekannt machen und mit denen ihr Kundenbindung erreichen wollt?

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Wir haben anders als die meisten anderen Marktteilnehmer gesellschaftliche Relevanz, sind Teil einer umfassenden Wertebewegung, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Bei MyEnso hat der Kunde das Sagen, wir sind nur die Steuermänner. Deshalb beteiligen wir unsere Pioniere auch am Unternehmen. Dazu haben wir eigens eine Genossenschaft gegründet. Wir setzen klassische Instrumente ein wie PR und Content-Marketing. Außerdem haben wir eine eigene Videosendung „Foodpioniere“, bei der wir Kunden und Hersteller direkt zusammenbringen. Hier können sich Hersteller mit ihren Produkten bei den Kunden um Aufnahme ins Sortiment bewerben.

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