Naturkatastrophen und eine Krise nach der anderen: Warum wir trotzdem nicht den Mut verlieren sollten

Ein Blick in die aktuellen Zeitungen gefällig? Überall Kriege und Krisen, Skandale und Unruhen, begleitet von aktuellen Naturkatastrophen: Hier ein Erdbeben, da eine Überschwemmung, dort eine Hitzewelle und dann fängt schon wieder die nächste Sturmsaison an. Das alles wird begleitet von beinahe täglichen Wasserstandsmeldungen zu langfristigen Trends wie einem sich scheinbar unaufhaltsam beschleunigenden technischen Wandel – der droht, außer Kontrolle zu geraten –, der weltweiten Ausbreitung von Mikroplastik, dem Artensterben oder dem Klimawandel. Eine Pandemie haben wir zwar gerade nicht am Start, aber die nächste wird kommen. Die Frage ist nicht, ob, sondern nur, wann.
Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 4/2024 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr das Heft als pdf- oder Print-Ausgabe bestellen.
Eigentlich müssen wir an Lösungen für all diese Krisen arbeiten – zumindest an denen, die wir tatsächlich beeinflussen können. Aber warum tut dann keiner was? Vielleicht, weil wir im Zeitalter der „Polykrise“ einfach nicht wissen, wo wir anfangen sollen. Eine Polykrise ist eine „kausale Verflechtung von Krisen in mehreren globalen Systemen, die die Perspektiven der Menschheit erheblich verschlechtern“, schreiben Forschende des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Es entstehen Effekte, die sich gegenseitig verstärken.
Der Ukraine-Krieg etwa hat die Unsicherheit auf dem globalen Energie- und Lebensmittelmarkt verstärkt, was die globale Inflation angeheizt hat. „Wirtschaftliche Turbulenzen, die beispielsweise durch Inflation, Finanzkrisen und Verschuldung entstehen – oder vielleicht auch durch die Verknappung wichtiger Ressourcen wie Energie, Lebensmittel, Wasser und Rohstoffe –, führen zu massiven Missständen und bieten populistischen Führern institutionelle Möglichkeiten, die politische Macht zu übernehmen und die Rechtsstaatlichkeit zu schwächen“, schreiben die Autoren. Deren Bemühungen, die jeweils nationale Wirtschaft von der Weltwirtschaft abzukoppeln, verstärken in der Regel die internen wirtschaftlichen Turbulenzen und damit die Missstände.

Klimawandel konkret: Anhaltende Dürren in Südeuropa sorgen, wie hier in Griechenland, mittlerweile für eine Halbierung der Olivenernte.
Foto: Imago / Westend61
Kein Wunder, dass all dies zu anhaltender Verunsicherung führt. Widersprüchliche gesellschaftliche und private Anforderungen lähmen uns, und eine unsichere Zukunftsperspektive löst Ängste aus. Die gefühlte Dringlichkeit, „etwas zu machen“, steigt, während die gesellschaftlichen Eliten keinen Konsens mehr über die notwendigen Maßnahmen finden oder weitreichende Entscheidungen auf einer sehr dünnen Faktenbasis treffen müssen – was wiederum das Vertrauen in ihre Handlungsfähigkeit zerstört. Das alles führt zu einem „Verlust von Selbstwirksamkeit“, wie Psychologen es nennen, der uns nur noch tiefer in den negativen Sog zieht.
Fakten, Fakten, Fakten
Gibt es tatsächlich keinen Grund mehr, optimistisch in die Zukunft zu blicken? Die britische KI- und Kognitionsforscherin Margaret Boden reduzierte diese Frage 1966 – zu einer Zeit, in der Optimismus ebenfalls etwas aus der Mode gekommen zu sein schien – auf eine nüchterne, philosophische Analyse: Damit Optimismus „rational und vernünftig“ sei, schrieb sie, müssten Optimisten drei Bedingungen erfüllen: Sie müssen relevante Fakten präsentieren, Kriterien zur Bewertung dieser Fakten darlegen und zeigen, dass die Bewertung dieser Fakten optimistische Annahmen rechtfertigt.

Auch wenn die täglichen Schlagzeilen etwas anderes suggerieren: Die Anzahl von Naturkatastrophen ist seit 1990 leicht zurückgegangen.
Quelle: International Desaster Database / Institute of Health and Society / University of Louvain
Allerdings bietet auch diese Vorgehensweise immer noch zahlreiche Ansatzpunkte für Streit und weitere Diskussionen. Zunächst natürlich über die Auswahl der „relevanten Fakten“. Glaubt man etwa der schottischen Datenwissenschaftlerin Hannah Ritchie, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vieles zum Positiven entwickelt: Die weltweite Kindersterblichkeit ist gesunken, die Lebenserwartung insgesamt gestiegen, weniger Menschen leben in Armut, der weltweite Landverbrauch sinkt und der Anteil an erneuerbaren Energien ist in den vergangenen Jahrzehnten rasant gestiegen, fasst sie in ihrem neuesten Buch zusammen. Gehen wir also doch einer wunderbaren Zukunft entgegen und merken es nur noch nicht?
Auch andere Zahlen weisen in diese Richtung: So vergeht zwar gefühlt kein Tag, an dem wir nicht von Stürmen, Überflutung, Dürren, Erdbeben oder ähnlichen Katastrophen lesen. Laut der internationalen Datenbank zu Naturkatastrophen ist die Anzahl der entsprechenden Ereignisse in den vergangenen Jahren eher zurückgegangen (von 500 auf etwa 400), und die Anzahl der dadurch zu Tode gekommenen Menschen bewegt sich auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Nur bei den internationalen Konflikten bleibt die Datenlage düster: Seit 2010 ist die Zahl der Kriege weltweit von etwa 100 auf nun rund 180 angestiegen – und damit verbunden auch die Zahl der Todesopfer von 30 000 auf rund 230 000.

Bezogen auf Kriege und bewaffnete Konflikte stimmt die gefühlte Lage mit den Daten überein: Ihre Zahl steigt weltweit seit mehr als zehn Jahren wieder an.
Quelle: Uppsala Conflict Database, 2019
Aber was heißt das? Über die Frage, welche Fakten wirklich relevant sind und wie diese Fakten zu bewerten sind, kann man endlos diskutieren. Das Jahr 2023 beispielsweise war im globalen Mittel das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Ob das ein Effekt des Klimawandels ist, lässt sich aber allein auf der Basis dieser Daten gar nicht beurteilen, denn der klimatische Mittelwert wird über einen Zeitraum von 30 Jahren ermittelt. Kann also sein, dass – noch – alles gut ist. Die Rekordtemperaturen können aber auch das erste Zeichen einer dramatischen Entwicklung sein.
Oder nehmen wir ein anderes Beispiel: Der Absatz von Wärmepumpen in Deutschland hat sich den letzten mehr als zehn Jahren etwa vervierfacht. Das kann man als gute Nachricht für die Energiewende lesen. Andererseits scheint auch das nur ein Tropfen auf den heißen Stein zu sein – Deutschland liegt bei der Zahl der verbauten Wärmepumpen europaweit nur auf Platz 15. Und der erhöhte Strombedarf führt voraussichtlich dazu, dass hierzulande viel länger Kohle verbrannt werden wird, als für das Klima tragbar ist. Ähnliches bei der weltweiten Lebenserwartung: Zwar ist sie in den letzten 100 Jahren stark gestiegen, aber der Preis dafür sind überalternde westliche Gesellschaften. Es leben weniger Menschen in absoluter Armut, aber dafür ist auch das Vermögen der Superreichen gewachsen – und zwar überproportional. Ist das nun gut oder schlecht?
Technologie als Retter?
Technik-Optimisten versuchen, sich mit einem mentalen Trick aus dieser Falle zu befreien: Sie geben zwar zu, dass die Lage ernst ist, sind aber fest davon überzeugt, dass technische Innovationen uns schon irgendwie retten werden. „Wir hatten ein Problem mit der Dunkelheit, also haben wir das elektrische Licht erfunden“, schreibt Internet-Pionier Marc Andreesen 2023 in seinem Manifest für Techno-Optimismus. „Wir hatten ein Problem mit der Kälte, also erfanden wir die Raumheizung. Wir hatten ein Problem mit der Hitze, also erfanden wir die Klimaanlage. Wir hatten das Problem der Isolation, also haben wir das Internet erfunden. Wir hatten ein Problem mit Pandemien, also haben wir Impfstoffe erfunden. Wir hatten das Problem der Armut, also erfanden wir die Technologie, um Überfluss zu schaffen. Geben Sie uns ein reales Problem, und wir können eine Technologie erfinden, die dieses Problem löst.“

In China wird der weltweit erste kommerzielle kleine, modulare Atomreaktor gebaut. Technik-Optimisten setzen darauf, dass diese Technologie schnell zur Serienreife entwickelt werden kann.
Foto: China News Service / Getty Images / Luo Yunfei
Eigentlich hat der Technik-Optimismus seine Hochzeit längst hinter sich. Dennoch hält sich der Glaube an technische Durchbrüche im Zusammenhang mit dem Klimawandel hartnäckig: kleine, modulare Atomkraftwerke, Direct Air Capturing oder Geoengineering sollen es richten, obwohl bei nüchterner Betrachtung dieser Technologien klar wird, dass sie mindestens so viele neue Probleme aufwerfen, wie sie vorgeben zu lösen.
Zugegeben, die Technik-Optimisten haben die historische Entwicklung auf ihrer Seite. Schließlich haben wissenschaftliches Denken und technischer Fortschritt seit Jahrhunderten ganz eindeutig zur Verbesserung der Lebensqualität beigetragen. Warum nicht auch diesmal? „Solutionismus“ hat Evgeny Morozow diese Haltung genannt – die Idee, dass es für jedes Problem eine technische Lösung gäbe, die man einfach nur implementieren müsste.

In Island demonstriert das Unternehmen Climeworks, wie CO₂ aus der Luft geholt werden kann. Sollte die Technologie skalieren, könnte sie den Klimawandel zumindest bremsen.
Foto: Climeworks
Aber die Idee hat zwei entscheidende Schwächen: Zum einen setzt sie ein gewisses Vertrauen in die Uneigennützigkeit und Innovationskraft moderner Solutionisten voraus. Die haben sich aber in Gestalt der Silicon-Valley-Konzerne mittlerweile längst diskreditiert. Sie stehen nicht mehr für eine Zukunft, die durch mehr Technik automatisch immer besser wird, sondern mindestens zu gleichen Teilen für Überwachung, Manipulation, Verschärfung der sozialen Spaltung und Jobverlust durch Automatisierung.
Zum anderen zeigt die Geschichte, dass menschliche Gier, Gleichgültigkeit oder auch schlicht ein Mangel an Vorstellungsvermögen immer wieder zu schwerwiegenden Katastrophen geführt haben: in Bhopal oder Tschernobyl und Fukushima genau wie in den überhitzten Städten Südindiens oder den Überschwemmungsgebieten in Mittelamerika oder Afrika. Einfach darauf zu hoffen, dass Technikoffenheit und Innovation irgendwann in Zukunft die gegenwärtigen Probleme lösen, ist bestenfalls naiv.
Das Chaos nehmen
Wie also mit der Situation umgehen? Vielleicht hilft ein Ausflug in die japanischen Kampfkünste. Keine Angst, die Rede ist nicht von Zeitgeist-Esoterik, sondern von der ganz praktischen Trainingsform Randori. Oberflächlich betrachtet ist das eine Improvisationsübung: Der Übende wird im Training ohne vorherige Absprache irgendwie angegriffen und verteidigt sich möglichst spontan mit einer passenden Technik. Die Idee dahinter steckt im Begriff Randori, der übersetzt bedeutet „das Chaos nehmen“. Es geht darum, zu akzeptieren, dass man niemals weiß, was als Nächstes passieren wird, und zu lernen, möglichst unvoreingenommen zu reagieren. Die dafür notwendige Geisteshaltung wird Fudoshin genannt – was grob übersetzt „Gleichmut“ oder „Unerschütterlichkeit“ bedeutet. Aber es geht eben nicht darum, in einer Stresssituation oder einem Konflikt möglichst „cool“ zu bleiben und keine Emotionen wie Angst oder Wut zuzulassen. Das Ziel ist vielmehr, das, was geschieht, unvoreingenommen zu akzeptieren. Oder wie der Philosoph William Little in der Zeitschrift Martial Arts Studies schreibt: „Kampfkunst orientiert darauf, die Idee einer unbegrenzten und sich aus nichts ableitbaren Unsicherheit als eine grundlegende Eigenschaft des Lebens zu akzeptieren.“
Wem das dann doch zu esoterisch ist, der sei auf die Philosophin Lisa Bortolotti verwiesen, die eine „handlungsorientierte Theorie des Optimismus“ entwickelt hat. „Damit wir angesichts ständiger Herausforderungen erfolgreich agieren können, müssen wir daran glauben, dass wir die Dinge zum Besseren wenden können, und dazu brauchen wir ein Gefühl der Kompetenz, der Kontrolle und der Wirksamkeit, das uns vorwärtstreibt, ein Gefühl, dass unsere Ziele tatsächlich wünschenswert und erreichbar sind“, schreibt Bortolotti. Eine optimistische Herangehensweise sei zwar oft mit einer Überschätzung der eigenen Fähigkeiten verbunden, aber das sei nicht schädlich, solange diese Überschätzung nicht zu viele Enttäuschungen produziere. „Selbstverstärkende Überzeugungen, die zunächst die Stimmung und das Selbstwertgefühl heben, weil sie uns ein Gefühl der Unverwundbarkeit vermitteln, können uns daran hindern, uns angemessen auf die bevorstehenden Herausforderungen vorzubereiten, und zu Misserfolg und Rückzug führen“, schreibt sie. „Positive handlungsbezogene Überzeugungen“ dagegen würden helfen, handlungsfähig zu werden, „um gute (und bessere als gute) Ergebnisse zu erzielen, selbst wenn diese nur geringfügig und mit geringer Wahrscheinlichkeit eintreten.“
In diesem Sinne bin ich zwar ein Technik-Optimist, aber kein Determinist, weil ich nicht davon ausgehe, dass irgendein nebulöser Fortschritt die Zukunft schon besser machen wird. Das ist mühsam, denn es erfordert Engagement. Es erfordert Einmischung, weil wir für einen technischen Fortschritt streiten müssen, der möglichst vielen zugutekommt, und nicht nur einer Handvoll Privilegierter. Und es erfordert eine hohe Frustrationstoleranz – weil von 100 guten Ideen vielleicht eine am Schluss wirklich etwas taugt. Aber das würde ja schon reichen, um weiterzukommen. Und nicht einfach nur zu verzweifeln.