Warum ist das Netz so rechts? Diese Extremismus-Forscherin kennt die Antwort
Julia Ebner hat sich undercover in Nazi-Netzwerke und Datingseiten eingeschlichen und darüber ein Buch geschrieben. (Foto: Phil Coomes, BBC and Suhrkamp Verlag)
Die Wissenschaftlerin Julia Ebner forscht an einem Londoner Thinktank zu Radikalisierung im Internet. In ihrem Buch „Radikalisierungsmaschinen“ schreibt sie über Alt-Tech – die Foren, Apps und Portale der rechten Szene. Ebner hat dafür undercover in rechten Netzwerken, Chatgruppen und Workshops recherchiert und sich sogar über rechte Dating-Apps zu Treffen verabredet.
Wir haben Julia Ebner für ein Gespräch getroffen, über das Attentat von Halle gesprochen und gefragt, wie Newsfeeds, Video-Vorschläge bei Youtube und rechte Meinungsmache zusammenhängen.
„Hasskampagnen sind nicht vorhersehbar.“

Julia Ebner forscht zu rechtem Terror im Netz und hat darüber ein Buch geschrieben. (Foto: Phil Coomes, BBC and Suhrkamp Verlag)
t3n: Du hast ein Buch über die Radikalisierung der rechten Szene im Internet geschrieben – hattest du Angst, dass du selbst Zielscheibe der Szene wirst?
Julia Ebner: Das war auf jeden Fall ein Gedanke. Ich habe kurz überlegt, ob ich unter einem Pseudonym schreiben soll. Natürlich kamen Reaktionen von rechts, aber die gibt es auch bei kleineren Artikeln, Beiträgen oder Kommentaren. Aber Hasskampagnen sind nicht vorhersehbar.
t3n: Du beobachtest rechte Foren schon seit einigen Jahren. Wie haben die Foren und Gruppen, die du beobachtest, auf das Halle-Attentat reagiert?
In den internationalen rechten Onlineforen und verschlüsselten Gruppen gab es unterschiedliche Reaktionen auf das Halle-Attentat. Während manche den Angreifer lobten und glorifizierten, zum Beispiel mit Joker-Memes arbeiteten und ihn einen Heiligen nannten, sahen ihn andere als Dilettanten oder verurteilten die Gewalttat.
„Der ‚Accelerationism‘ hätte ein Warnsignal sein können.“
Heute ist mein neues Buch #Radikalisierungsmaschinen offiziell bei @suhrkamp erschienen. Man bekommt es ab sofort in den deutschen Buchhandlungen oder hier auf Amazon: https://t.co/SGnIqVpIdn pic.twitter.com/lsi4Mj9A9I
— Julia Ebner (@julie_renbe) September 9, 2019
t3n: Hätte der Täter vorher in Foren auffallen müssen? Wäre so etwas dann zu verhindern gewesen?
Das kann man schwer sagen, aber es ist wahrscheinlich, dass es schon Hinweise auf seine Radikalisierung in den gewaltbereiten Extremismus gab. Falls er zum Beispiel in den Foren bereits entmenschlichende und gewaltvolle Sprache in Bezug auf Minderheiten oder auch Vokabular aus dem „Accelerationism“ (einer Ideologie, die einen als unvermeidbar gesehenen Rassenkrieg mithilfe von Gewalt und Terror beschleunigen will) verwendet hat, hätte das ein eindeutiges Warnsignal für die Behörden sein können. Das Problem ist, dass diese Äußerungen auf den einschlägigen rechten Plattformen sehr oft in satirischen Memes oder Posts verpackt und von anonymen Accounts gepostet werden, oft auch in verschlüsselten Chatkanälen, daher stehen die Behörden hier vor einer großen Herausforderung.
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„Manche sahen ihn als Loser, andere als Helden.“
t3n: Hat es für die Diskussion in den Foren eine Rolle gespielt, dass der Täter mit seinem eigentlichen Plan gescheitert ist?Das Scheitern wurde unterschiedlich aufgenommen in der Community: Manche sahen ihn als Loser, andere als Helden. Und dann gab es auch jene, die seine Gewalt als Grenzüberschreitung sahen. Er hat diese Spaltung ja scheinbar schon mit seiner Selbstironie im Manifest und Video vorhergesehen – vermutlich weil er die Community gut kennt –, und trotzdem auf Sympathie-Punkte gehofft.
t3n: Nach dem Attentat ist eine neue Debatte um rechte Foren und Hass im Netz entbrannt. Wie viel davon hat deiner Meinung nach mit dem Internet an sich zu tun – was hätte sich auch offline entwickeln können?