Paradoxer Klimaeffekt: Wie stark tragen sauberere Schiffsabgase tatsächlich zur Erderwärmung bei?
Es klingt paradox: Maßnahmen zum Schutz des Klimas haben zur Folge, dass sich die Erderwärmung beschleunigt. Die globale Schifffahrt ist ein Beispiel dafür, denn eigentlich sollten schadstoffärmere Abgase eine gute Nachricht für den Klimaschutz sein. Doch eine neue Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Atomsphäre sogar schneller erwärmt, weil weniger Schwefelpartikel in der Luft sind.
„Der Erwärmungseffekt steht im Einklang mit der kürzlich beobachteten starken Erwärmung im Jahr 2023 und dürfte die 2020er Jahre außergewöhnlich warm machen“, schreibt das Forscherteam um den Geophysiker Tianle Yuan von der Universität Maryland in Baltimore in ihrer Studie. Der Strahlungsantrieb würde größenordnungsmäßig sogar 80 Prozent des gemessenen Anstiegs der planetarischen Wärmeaufnahme seit 2020 ausmachen. Die Wissenschaftler:innen hatten für ihre Berechnungen Satellitenbeobachtungen der Schwefelverschmutzung mit Computermodellen kombiniert.
Weniger Schwefel-Abgase aus der Schifffahrt
Die Arbeit wirft Fragen auf, welche Folgen unbeabsichtigte oder beabsichtigte Veränderungen in der Atmosphäre auf die Klimaentwicklung haben können. Grund für die sauberer Luft über den Ozeanen sehen die Forscher:innen in der Verordnung „IMO2020“. Darin hat die Weltschifffahrtsorganisation der UN (IMO) festgelegt, dass ab 2020 alle Schiffstreibstoffe statt 3,5 Prozent nur noch 0,5 Prozent Schwefel enthalten dürfen.
In Nord- und Ostsee gelten mit 0,1 Prozent sogar noch strengere Auflagen. Die verringerten Schwefelemissionen von Schiffen sollten dazu beitragen, sauren Regen und die Versauerung der Meere zu verhindern, um damit auch Nutzpflanzen, Wälder und Wasserlebewesen zu schützen.
Seitdem fehlen die weißen Wolkengespinste, die von Satelliten aus gesehen die weltweiten Schiffsrouten deutlich markierten. Es war das Schwefeldioxid aus den Schiffsschornsteinen. Die wurden in der Atmosphäre zu Schwebstoffen, Aerosolen. Sie lagerten sich zu hellen Wolkenstreifen zusammen, die einen nennenswerten Anteil der Wärmestrahlung von der Sonne zurück ins All reflektierten. Seitdem die Aerosole weniger geworden sind, erwärmt – wie die neue Studie feststellt – die durchkommende Strahlung die Erde zusätzlich.
Weiße Wolkenschleier kühlen die Erde
Doch dass ein solcher Effekt eintreten könnte, ist an sich nicht neu. Klimawissenschaftler:innen diskutierten schon vor 15 Jahren, also 11 Jahre vor Inkrafttreten der IMO2020-Regel, wie man die Klimaerwärmung und -abkühlung durch Schwefeldioxid und Stickstoffoxide aus Schiffsemissionen in die damaligen Klimamodelle einrechnen könnte. Denn der chemische Vorgang war ihnen seinerzeit durchaus klar, auch dass die weißen Wolkenschleier die Erde kühlen. Die kurzlebigen Stickstoffoxide spielen jedoch über dem Meer, weit ab von menschlichen Siedlungen, keine so große Rolle. Für sie gibt es nur Grenzwerte für Schiffe, die seit 2020 auf Kiel gelegt werden.
Noch im selben Jahr, in dem die IMO2020-Regel in Kraft trat, konstatierten NASA-Forscher:innen in der Tat anhand von Satellitendaten einen drastischen Rückgang der hellen Wolkengespinste.
Klimaexpert:innen haben Zweifel
Insgesamt ist die plötzliche Erwärmung also keine Überraschung. Was aber in der neuen Studie alarmierend wirkt, ist der hohe Anteil, den die Erwärmung durch die entfallenen Wolkenschleier gegenüber der globalen Erwärmung haben soll. Klimaexpert:innen ziehen das in Zweifel. Anders Levermann, Leiter der Abteilung für Komplexitätsforschung am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mahnte gegenüber der Nachrichtenagentur DPA zur Vorsicht: „Der Wert könnte in der Modellierung überschätzt sein.“ Denn einen Effekt über einen so kurzen Zeitraum von weniger als vier Jahren zu betrachten, sei fehleranfälliger, als lange Zeiträume zu untersuchen. Der Anteil der seit 2020 gespeicherten Wärmeenergie könne daher auch weit unter 80 Prozent liegen, so Levermann.
Das sieht auch der Klimaphysiker Helge Gößling vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven so. „Insgesamt scheinen diese Beiträge jedoch zu klein zu sein, um den jüngsten Temperaturanstieg zu erklären“, sagte er der Süddeutschen Zeitung.
„In der Tat rätselt die Wissenschaft, wieso die letzten zwölf Monate im globalen Mittel so außerordentlich warm waren, weit außerhalb des üblichen“, sagte Niklas Höhne von der Universität Wageningen und dem Newclimate Institute in Berlin der DPA. Doch hauptverantwortlich sei eindeutig der immer noch steigende Ausstoß von Treibhausgasen. „Aber ein zusätzlicher Effekt war bisher unerklärt.“
Im Übrigen scheinen sich die Meeresoberflächen auch schon wieder abzukühlen. In den vergangenen 15 Monaten wiesen sie in der Tat jeden Monat den jeweils höchsten Wert seit Messbeginn vor rund 40 Jahren auf.
Doch jetzt zeigen die Daten auf der Plattform „Climate Reanalyzer“ eine Abkühlungstendenz. Die globale Meerestemperatur in der zweiten Jahreshälfte werde eher unterhalb der extremen Rekorde von 2023 bleiben, schätzt Gößling.
Unvorhersehbare Komplexität
Eine wichtige Lehre lässt sich aus den Ergebnissen von Yuans Team dennoch ziehen: Sie veranschaulichen eine unvorhersehbare Komplexität sowohl bei der Modellierung als auch bei der Bekämpfung des Klimawandels. Gleichzeitig ist der Befund aber auch eine Warnung vor den Risiken des sogenannten solaren Geoengineerings, das den Planeten kühlen soll. Denn genau dieses untersuchte Abkühlungsprinzip wollen Geoingenieure anwenden, indem sie Schwefelpartikel in die oberen Luftschichten schießen. Wenn das nicht permanent geschieht, ist der Wärmeschock umso größer, wenn der Nachschub eines Tages ausbleibt. Nicht zuletzt wäre damit auch nicht das Problem des steigenden CO2-Gehalts in der Atmosphäre gelöst, der die Meere versauert und Ökosysteme zerstört.
So heißt es in der Studie denn auch: Geoengineering-Methoden „sind keine Lösung für die durch Treibhausgase verursachte globale Erwärmung und haben neben dem beabsichtigten kurzfristigen Kühleffekt ungewisse und komplexe zusätzliche Folgen.“
Das findet auch Levermann: „Es kann nicht die Entscheidung sein: Machen wir Klimaschutz oder weniger Umweltverschmutzung. Dass der Klimawandel durch sauberere Luft zeitweise noch sichtbarer wird, darf nicht zu dem Schluss führen, dass die Luft wieder dreckiger werden muss.“