Payment-Anbieter: Big Tech in der Brieftasche – was kommt nach dem Bargeld? - t3n

Das Bargeld verschwindet, was kommt danach? Geht es ums Bezahlen der Zukunft, wird die Diskussion schnell politisch – auch weil Konzerne wie Apple und Alibaba in den Finanzmarkt drängen. Ende Juni, ein Biergarten in Köln. Wir schauen das letzte Vorrundenspiel der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft, es geht gegen die Schweiz. Beim Essen ist hier Selbstbedienung angesagt, ich hole für alle Pommes. Kann ich das mit Karte zahlen? „Na klar.“ Glück gehabt, denn selbstverständlich ist das nicht. Digital zahlen in Deutschland? „It’s complicated“ – das haben ausländische Fußballfans bei der EM gemerkt. Der Kiosk ums Eck nimmt sowieso nur Bargeld, bei der Dönerbude darf man erst ab zehn Euro digital zahlen, der Biergarten akzeptiert zwar Karten, aber bitte nur die deutsche EC-Karte. Die gibt es bei uns kostenlos zum Girokonto dazu, in anderen Ländern sind dagegen Kreditkarten weit verbreitet. Kein Wunder, dass der britische Sportreporter Kaveh Solhekol die englischen Schlachtenbummler auf Social Media warnte: Nehmt bloß genug Bargeld mit, wenn ihr nach Deutschland reist! Über die Hälfte aller Transaktionen in Deutschland wird immer noch in Scheinen und Münzen bezahlt. Doch langsam ändert sich etwas – und das weckt Begehrlichkeiten. Um den Payment-Markt der Zukunft ist längst ein Wettbewerb entbrannt, in dem neben den traditionellen Banken auch Fintechs und viele Big-Tech-Player mitmischen. Sie alle wollen in unsere digitale Brieftasche. „Die Generation Nur-Bargeld und die Generation Nur-Karte sterben nach und nach aus“, sagt Sarah Palurovic, die beim Digitalverband Bitkom den Payment-Sektor beobachtet. „Die Generationen, die nachkommen, empfinden es als normal, mit der Uhr und mit dem Handy zu bezahlen.“ Zahlten 2017 noch knapp drei Viertel der Bundesbürger:innen ihren täglichen Einkauf in bar, waren es vier Jahre später laut der Bundesbank nur noch 58 Prozent. Momentan tritt vor allem Plastik, also Debit-Kreditkarten, an die Stelle von Papier und Metall. In Zukunft steht aber wahrscheinlich das Smartphone im Mittelpunkt des Bezahlvorgangs. Denn wer heute mit Karte zahlt, tut das schon jetzt bevorzugt kontaktlos. Die in den digitalen Wallets der Smartphones hinterlegten Debit- und Kreditkarten werden deutlich häufiger genutzt als noch vor zwei Jahren. Und das mobile Bezahlen mit Smartphone oder -watch wächst besonders schnell. Kampf der Wallets „Soll ich dir das Geld für das Essen schon mal paypalen?“, fragt meine Freundin Janna mich später an diesem Fußballabend in Köln. Wenn eine von uns Geld auslegt, ist der US-Bezahldienst oft der einfachste Weg, Geld zu verschicken und Rechnungen aufzuteilen: digital, kostenlos und ohne dass wir mit IBAN-Kontonummern rumfummeln müssen. Paypal ist hierzulande auch die erste Wahl bei Online-Zahlungen, neben dem in Deutschland beliebten Rechnungskauf. Geht es ums Bezahlen per Smartphone, sind dagegen jene Konzerne bestens positioniert, die die Kontrolle über das Endgerät haben: Wer heute schon mit dem Smartphone an der Ladenkasse zahlt, nutzt mit einiger Wahrscheinlichkeit Apple Pay, wie eine Bundesbank-Studie zeigt. Bislang sind Banken auf Apple Pay angewiesen, um einen Bezahlweg auf dem iPhone bereitzustellen. Kontaktloses Zahlen ist nur möglich, wenn die Debit- oder Kreditkarte des Kunden zuvor in der Apple-Wallet hinterlegt wurde. Auf Android-Geräten heißen die Dienste entsprechend Google Pay oder Samsung Pay. Ob Apple seine Vormachtstellung bei den Smartphonezahlungen halten kann, ist allerdings fraglich. Anfang des Jahres musste sich das Unternehmen dem regulatorischen Druck der EU beugen und seine NFC-Schnittstelle für andere Anbieter öffnen. Jetzt bekommen auch andere Entwickler von mobilen Geldbörsen und Zahlungsdiensten Zugang zum NFC-Chip der Geräte. Die NFC-Technologie (Near Field Communication) ist dafür verantwortlich, dass das kontaktlose Bezahlen mit dem Smartphone überhaupt funktioniert. NFC könnte auch ein Schlüssel sein, um mehr Zusatzfunktionen in den Bezahlprozess einzubauen. Das NFC-Forum, ein Konsortium, das sich um die Weiterentwicklung des NFC-Standards kümmert, sieht die Zukunft im sogenannten „NFC Multipurpose Tap“. Hält man sein Smartphone ans Bezahlterminal, soll dann nicht nur die Transaktion ausgelöst, sondern auch gleich die Rechnung aufs Smartphone geschickt oder ein Rabattcode eingelöst werden. Auf diesem Weg ließe sich das Einkaufserlebnis personalisieren, etwa um Produktinformationen zu übermitteln. Oder um Kund:innen gezielte Werbung aufs Smartphone zu spielen. Werbung aus der Bezahl-App Die jüngsten Pläne von Paypal zeigen, dass die Payment-Branche genau in diese Richtung denkt. Der US-Anbieter kündigte an, ins Werbegeschäft einzusteigen und dabei auf die Daten seiner Bestandskunden zurückzugreifen. „Wenn Sie Produkte im Internet kaufen, wissen wir, wer die Produkte wo kauft, und wir können diese Daten nutzen“, sagte Mark Grether, Leiter von Paypals Werbeinitiative, im Wall Street Journal. Daneben soll es künftig auch die „Advanced Offers“ geben, bei denen Kund:innen per KI-Technologie personalisierte Angebote und Kaufempfehlungen gemacht werden. Gerade solche Zukunftsvisionen lassen allerdings auch die Kritik an den Big-Tech-Konzernen wachsen. Verbraucherschützer stört, dass bei deren datengetriebenen Geschäftsmodellen die Nutzer:innen immer auch mit ihren Daten zahlen und somit zu gläsernen Kunden werden. So könnten private Daten beispielsweise für Risikobewertungen bei der Vergabe von (Raten-)Krediten und anderen Finanzprodukten genutzt werden. Bitkom-Expertin Sarah Palurovic fällt allerdings „eine gewisse Diskrepanz“ auf, „zwischen dem, was beim Thema Datenschutz gefordert wird, und dem tatsächlichen Verhalten von Verbraucher:innen, die dann doch viele Daten teilen, wenn dadurch das Leben bequemer wird“. Sicher ist: In einem immer enger werdenden Markt werden Wettbewerber wie Paypal oder Apple ihre aktuelle Vormachtstellung nicht einfach so aufgeben. Während der Fußball-EM konnte man den „Kampf der Wallets“ auch auf dem Bildschirm beobachten. Zum Beispiel, wenn in der Halbzeitpause Werbespots von Paypal oder Apple Pay um die Aufmerksamkeit der Zuschauer wetteiferten. Oder wenn während der Spiele die Bandenwerbung von Alipay Plus eingeblendet wurde, einem der UEFA-Hauptsponsoren. Unter dem Namen vereint der chinesische Alibaba-Konzern Finanz-Apps wie Alipay, Bluecode oder Kakao Pay und ermöglicht es seinen geschätzt drei Milliarden Nutzer:innen, überall auf der Welt mit einem QR-Code zu bezahlen. In Europa hat man es momentan noch vor allem auf die Akzeptanz durch Händler:innen abgesehen. Besucher:innen der Fanzonen der Euro 2024 konnten mit Chinas führendem Bezahldienst aber schon ihre Wurst nebst Bier zahlen – ansonsten wurden hier wieder nur Bares oder die EC-Karte akzeptiert. Es war also ein erster Versuch, das System an den Menschen hierzulande zu testen. Eine App für Europa? Einige Banken wollen nicht mehr zusehen, wie Firmen aus den USA und China den Payment–Markt der Zukunft unter sich aufteilen. 16 europäische Banken und zwei Zahlungsdienstleister haben sich deshalb in der European Payment Initiative (EPI) zusammengetan. Gemeinsam wollen sie ein Zahlungsverkehrssystem für Europa schaffen, sowohl für Online- als auch für Offline-Zahlungen. Als erstes EPI-Produkt ist der Peer-to-Peer-Zahlungsservice Wero Anfang Juli gestartet. Nutzer:innen können damit wie bei Paypal Geld von einem Handy zum anderen schicken. Die Telefonnummer oder eine E-Mail-Adresse reichen. Die Zahlungen sind kostenlos und werden in Echtzeit verbucht, das Geld kommt also innerhalb von zehn Sekunden bei den Empfänger:innen an. Zum Start funktioniert das innerhalb der Banking-Apps der Wero-Partner. Ende August soll dann auch eine App für alle anderen Banken verfügbar sein. Und das ist erst der Anfang: Ab 2025 sollen Nutzer:innen von Wero auch online und ab 2026 im Einzelhandel damit bezahlen können und somit eine europäische Alternative zu Paypal und Co. haben. In Europa gibt es bereits erfolgreiche Vorbilder: Spanien hat mit Bizum, Polen mit Blik und Schweden mit Swish erfolgreiche Payment-Apps auf nationaler Ebene. Der deutsche Versuch ist allerdings gescheitert: Giropay wird – wohl auch zugunsten von Wero – Ende des Jahres abgeschaltet. Richtig erfolgreich war das Projekt, das von den deutschen Sparkassen, Genossenschaftsbanken, der Commerzbank und der Deutschen Bank ins Leben gerufen wurde, nie. Was wollen die Kund:innen? Auch Wero steht vor dem Problem, sich in einem ziemlich gesättigten Markt behaupten zu müssen. Einfach, schnell und sicher, das bieten schließlich alle Zahlarten, die an der Ladenkasse, online oder auf dem Smartphone bereitstehen. Wie kann man Kund:innen da noch von einem neuen Angebot überzeugen? „Das Payment-Thema ist gelöst“, sagt Sarah Palurovic vom Bitkom, „echte Innovation ist hier kurzfristig nicht zu erwarten.“ Der Trend gehe zu stärker personalisierten Finanzlösungen und zum Open Banking, wobei Drittanbieter von Finanzdienstleistungen durch die Verwendung von API-Schnittstellen einen offenen Zugang zu Bank-, Transaktions- und anderen Finanzdaten von Banken und Finanzdienstleistern bekommen. „Sie müssen einen Zusatznutzen bieten, eine User-Journey, die einen echten Mehrwert im Alltag hat“, sagt Jens Plath. Der Payment-Experte ist mit der Zahlungs-App Twint in der Schweiz erfolgreich, die 2017 dort an den Markt ging. Was er damit meint? Zum Beispiel, dass Nutzer:innen aus der Twint-App heraus „parkieren“ können, also einen Parkplatz digital buchen, den Parkvorgang bezahlen – und, falls die Parkzeit doch mal kürzer war, das Geld auch wieder zurückgebucht bekommen. „Es sind solche sehr tiefen Integrationen mit Händlern, die auch den Alltag der Menschen leichter machen. Das macht den Unterschied“, sagt Plath. Mit der Twint-App können die Nutzer:innen Rechnungen aufteilen, digital für wohltätige Organisationen spenden, im Supermarkt oder auch per QR-Code auf dem Schweizer Hofmarkt bezahlen. „Wir sagen immer, wir sind Technologie-agnostisch“, sagt Plath. Was für Twint gut funktioniert hat: nah am Ökosystem des Marktes zu sein, „im Zweifel eben näher als irgendein globales Unternehmen, das versucht, in 25 Ländern erfolgreich zu sein“, sagt der Gründer. Von Anfang an hat die App daher eng mit Händler:innen und Banken zusammengearbeitet, über Letztere wird sie an die Kund:innen ausgegeben. Beide Partner sind ein entscheidender Faktor, um einer Bezahl-App zum Erfolg zu verhelfen. Geben die Banken sie – wie jetzt im Fall von Wero – an die Kund:innen aus, ist damit nicht nur ein Distributionsweg geschaffen, sondern auch eine Vertrauensvorschuss eingebaut. Mindestens genauso wichtig ist die Akzeptanz bei den Händler:innen. Bei ihnen könnte Wero punkten, wenn der Bezahlvorgang dort tatsächlich wie angekündigt nicht mehr kostet als eine übliche Überweisung. Zum Vergleich: Bei Paypal fallen für den Handel 2,49 Prozent plus Fixgebühr von derzeit 35 Cent bei jeder Transaktion an. Auch die Zahlungen per Mastercard oder Visa sind für Händler:innen teuer: Bei Kreditkarten werden 1,19 Prozent und bei Debitkarten 0,89 Prozent fällig. Die Diskussion um den digitalen Euro So europäisch, wie Wero einmal gedacht war, ist die neue App allerdings nicht mehr. Bislang wird die Zahlungsfunktion vor allem von Banken aus Deutschland, Belgien, Frankreich und den Niederlanden unterstützt. Partner aus anderen großen europäischen Ländern wie Spanien waren im Vorfeld abgesprungen. Eine echte europäische Lösung kommt von der Europäischen Zentralbank (EZB). Auch die beobachtet, dass Digitalzahlungen immer beliebter werden, und schickt mit dem digitalen Euro wohl bald eine eigene Alternative zum Bargeld ins Rennen. Digitales Geld, das soll nach der Vorstellung der Zentralbanker ihr Hoheitsgebiet bleiben. Auch die EZB wird dabei wohl von der möglichen Konkurrenz der Big Techs getrieben. Der Versuch von Meta, mit Libra/Diem eine eigene globale Währung aufzubauen, ist zwar gescheitert, aber dennoch als Angriff auf die Hoheit der Zentralbanken über die Währungs- und Geldpolitik verstanden worden. Ob der digitale Euro eingeführt wird, liegt letztlich in den Händen der Politik. Aktuell befindet er sich seit November 2023 in der sogenannten Vorbereitungsphase, in der die technischen und rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. EU-Bürger:innen können damit frühestens 2028 zahlen, Banken werden ihn wie Bargeld von den Notenbanken beziehen können. Auch die Macher des digitalen Euro arbeiten an einer Wallet für Mobilgeräte, mit der Nutzer:innen dann direkten Zugriff auf das digitale Geld haben, online und offline zahlen und Geld verschicken können. Außerdem soll es möglich sein, die digitale Brieftasche mit einem Geschäftsbankkonto zu verknüpfen, sodass Nutzer:innen damit bezahlen können, ohne vorher Geld aufladen zu müssen. So will die EZB auch die Banken mit ins Boot holen. Auch der Einsatz von Chipkarten als eine Art Brückentechnologie für weniger Smartphone-begeisterte Menschen ist im Gespräch. So will man verhindern, dass es eine Art technologische Diskriminierung von Menschen ohne Smartphone gibt. Schon seit Beginn des Projekts dominiert beim digitalen Euro das Thema Datenschutz die Diskussion. Immer wieder gibt es Befürchtungen, das digitale Zentralbankgeld könne als Überwachungsinstrument genutzt werden. Die EZB beschwichtigt: Der digitale Euro soll eine Offline-Funktion bekommen, die Nutzer:innen ein „bargeldähnliches Maß an Privatsphäre“ bei Zahlungen in Geschäften und beim Geldversenden bietet. Eine Nutzung der Daten für kommerzielle Zwecke soll nur möglich sein, wenn Nutzer:innen dem auch ausdrücklich zustimmen. Doch gerade in Deutschland wird die Diskussion „digitaler Euro gegen Bargeld“ emotional geführt. Für viele Menschen sind Scheine und Münzen eben immer noch ein Ausdruck von Freiheit und dem Recht auf Anonymität. Auf die alten wie die neuen Player in der Payment-Branche wartet deshalb noch viel Arbeit, bis das Bargeld nicht mehr lacht.