Vergessener Brief aus 1938: Physiker entdeckte Kernfusion – und niemand hat es bemerkt
Verstaubter Fund: Nach 80 Jahren taucht ein Beweis für Kernfusion auf. (Bild: Dall-E / t3n)
Es ist eine Meldung, die sowohl historisch als auch für die aktuelle Energieforschung von Bedeutung ist. Physiker:innen des Los Alamos National Laboratory im US-Bundesstaat New Mexico haben die Details eines Experiments aus dem Jahr 1938 rekonstruiert und damit einen fast vergessenen Wissenschaftler wieder ins Rampenlicht gerückt. Seine Arbeit liefert ein wichtiges Puzzlestück zur Geschichte der Kernfusion.
Die Rede ist vom Physiker Arthur Ruhlig. Laut einer kurzen Veröffentlichung will er bereits 1938 die Fusion von Deuterium und Tritium (D-T-Fusion) beobachtet haben, jene Reaktion, die heute als vielversprechendster Kandidat für zukünftige Fusionskraftwerke gilt.
Spurensuche mit Bezug zum Manhattan-Projekt
Die Initiative zur Recherche ging von den Physikern Mark Chadwick und Mark Paris aus Los Alamos aus. Sie fragten sich, warum der Physiker Emil Konopinski schon 1942 bei einer Konferenz unter der Leitung von J. Robert Oppenheimer die D-T-Fusion als besonders geeignet für das damals anlaufende Manhattan-Projekt vorschlug. Das war ein erstaunlich früher und präziser Einblick.
Ihre Nachforschungen führten sie, wie das Magazin SciTechDaily berichtet, zu Arthur Ruhlig, der in den 1930er-Jahren an der University of Michigan im US-amerikanischen Ann Arbor zur gleichen Zeit wie Konopinski studierte. In einem kaum beachteten Brief an die Fachzeitschrift Physical Review beschrieb Ruhlig 1938 seine Beobachtung. Er schlussfolgerte, die D-T-Reaktion müsse „außerordentlich wahrscheinlich“ sein.
Moderne Technik bestätigt alte Thesen
Diese Behauptung blieb über Jahrzehnte unbestätigt und die Arbeit wurde kaum zitiert. Um Ruhligs Ergebnisse zu überprüfen, wiederholte das Team aus Los Alamos das Experiment in Zusammenarbeit mit der Duke University in Durham im US-Bundesstaat North Carolina. Mit moderner Messtechnik am dortigen Triangle Universities Nuclear Laboratory konnten die Physiker:innen die Bedingungen von 1938 nachstellen.
Das Ergebnis, das nun ebenfalls in der Fachzeitschrift Physical Review C veröffentlicht wurde, ist eine Bestätigung mit einer wichtigen Einschränkung. Ruhligs grundlegende Entdeckung war korrekt. Die Fusion hatte stattgefunden. Die neuen Messungen legen jedoch nahe, dass die Reaktion in seinem Experiment weitaus seltener ablief, als er damals annahm.
Keine Abkürzung zur Fusionsreaktion, aber ein wichtiges Fundament
Diese historische Korrektur ist mehr als eine wissenschaftliche Anekdote. Sie zeigt, dass das grundlegende Wissen für die leistungsfähigste Fusionsreaktion schon vor dem Zweiten Weltkrieg vorhanden war.
Gleichzeitig mahnt die Geschichte zur Nüchternheit: Obwohl die Entdeckung so alt ist, steht die Menschheit noch immer vor gewaltigen technischen Hürden, um die Kernfusion kontrolliert und mit positivem Energiegewinn zu betreiben. Projekte wie der internationale Forschungsreaktor ITER im französischen Cadarache oder die National Ignition Facility in Kalifornien kämpfen weiterhin mit enormen Herausforderungen.
Die Wiederentdeckung von Ruhligs Arbeit liefert also keine Abkürzung zu kommerziellen Fusionskraftwerken. Sie schärft aber den Blick auf die wissenschaftlichen Grundlagen, auf denen all diese Bemühungen aufbauen.
Mark Chadwick, einer der leitenden Wissenschaftler in Los Alamos, fasst die Bedeutung zusammen. Ruhligs zufällige Beobachtung habe, zusammen mit späteren Messungen im Manhattan-Projekt, zu den friedlichen Anwendungen der D-T-Fusion beigetragen: „Ich glaube, wir sind alle stolz darauf, Arthur Ruhlig als wichtigen Beitragenden zu laufender, lebenswichtiger Forschung wieder aus der Geschichte hervorzuheben.“
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 08.07.2025 veröffentlicht, interessiert jedoch immer noch sehr viele unserer Leser:innen. Deshalb haben wir ihn aktualisiert und hier nochmals zur Verfügung gestellt.