Ein präziser Bluttest könnte die Alzheimer-Diagnose bereits beim Hausarzt ermöglichen – so funktioniert er

Gedächtnisprobleme können das Anzeichen der Alzheimer-Krankheit sein. (Bild: Lightfield Studios)
Eine von fünf Frauen und einer von zehn Männern erkrankt im Laufe ihres/seines Lebens an der Alzheimer-Krankheit. Für eine Diagnose müssen sie bisher in spezialisierte Gedächtniskliniken überwiesen werden, damit bestimmte Gedächtnistests sowie PET-Scans (Positronen-Emissions-Tomographie) ihres Gehirns durchgeführt und ihre Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) untersucht werden können. In der Primärversorgung in Krankenhäusern oder beim/bei der Hausarzt/Hausärztin aber, wo die Demenz-Probleme meist zuerst angesprochen werden, gibt es keine einfacheren und schnelleren Diagnosemöglichkeiten wie zum Beispiel Bluttests.
Erste Bluttests wurden zwar schon entwickelt, bislang aber noch nicht im großen Maßstab in der Primärversorgung validiert. Jetzt hat eine Studie unter der Federführung von Oskar Hansson und Sebastian Palmqvist von der schwedischen Universität Lund gezeigt, dass der Bluttest „PrecivityAD2“ des US-Unternehmens C2N Diagnostics die Alzheimer-Krankheit in der Routineversorgung zu 88 bis 92 Prozent korrekt anzeigen kann. Die Ergebnisse sind im Fachjournal Journal of the American Medical Association (JAMA) veröffentlicht. Beteiligt waren auch Forscher:innen von C2N Diagnostics.
Was im Gehirn vor sichtbaren Alzheimer-Symptomen passiert
Als Ursache der Alzheimer-Krankheit gilt weithin die Anhäufung eines klebrigen Proteins namens Beta-Amyloid um Nervenzellen im Gehirn. Beta-Amyloid entsteht, wenn ein bestimmtes Zellmembranprotein zerschnitten wird und gilt als verdächtig, weil es in Zelltrümmern um die sterbenden Nervenzellen von Alzheimer-Patienten vorkommt. Bisherige Behandlungen zielen deshalb darauf ab, die Bildung dieser sogenannten Plaques zu bremsen, aufzuhalten oder idealerweise auch wieder abzubauen. Die Erfolge sind bisher allerdings bestenfalls moderat.
Das Tau-Protein stabilisiert normalerweise eine Art Transportseil-Struktur in den Nervenzellen, die für das Verteilen und die Entsorgung von Stoffen wichtig ist. Bei der Alzheimer-Krankheit werden eine oder mehrere Phosphat-Gruppen an die Tau-Proteine angehängt, wodurch sie sozusagen zu Knäueln verfilzen und selbst als Müll in den Zellen verbleiben. Das Auftreten der Knäuel wird mit den Beeinträchtigungen der kognitiven Fähigkeiten in Zusammenhang gebracht. Beide Anhäufungen, die Tau-Knäule und die Beta-Amyloid-Verklumpungen, beginnen deutlich vor dem Auftreten sichtbarer Symptome und sollen zum Absterben der Nervenzellen beitragen.
Was misst der neue Alzheimer-Bluttest?
„PrecivityAD2“ misst das Verhältnis von zwei Amyloid-Beta-Arten namens Αβ42 und Aβ40, sowie auch zweier Versionen des Proteins Tau217. Beide Werte gelten als aussagekräftige Biomarker für die Alzheimer-Diagnose. In einer früheren Studie hatte das schwedische Team Grenzwerte für diese Moleküle für eine Alzheimer-Diagnose definiert.
Für die aktuelle Studie wurden 1.213 Personen mit leichten Gedächtnisproblemen rekrutiert, die ein mögliches Frühsymptom der Alzheimer-Krankheit darstellen. Im Schnitt waren sie 74 Jahre alt. 515 Proband:innen wurden in der Primärversorgung und 698 in einer spezialisierten Gedächtnisklinik untersucht. An den Patient:innen wurde der neue Bluttest durchgeführt, dessen Ergebnisse mit der Einschätzung von Ärzt:innen in der Primärversorgung und von Fachärzten verglichen wurden, bevor diese die Ergebnisse des Bluttests oder der ebenfalls zur Überprüfung durchgeführten Liquor-Untersuchung sehen durften.
Im Vergleich zu der etwa 90-prozentigen Zuverlässigkeit des Bluttests „lag die Genauigkeit der Ärzt:innen in der Primärversorgung bei der Erkennung der Alzheimer-Krankheit bei 61 Prozent, während die Fachärzte in 73 Prozent der Fälle richtig lagen“, sagt Palmqvist. Das unterstreiche den Mangel an guten Diagnoseinstrumenten, insbesondere in der Primärversorgung, und zeige, wie sehr sich die Diagnose verbessern könnte.
„Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend, da neue Behandlungen entwickelt werden, die das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen“, ergänzt Hansson. So wurden beispielsweise vor Kurzem in den USA zwei Immuntherapien zugelassen. Eine frühzeitige und genaue Diagnose ist auch wichtig, um die Erforschung neuer Behandlungsmöglichkeiten zu erleichtern. Hinzu kommt, dass damit andere behandelbare Ursachen für Gedächtnisverlust leichter ausgeschlossen werden können, zum Beispiel Depressionen oder chronische Müdigkeit.
Aussichten auf den breiten Einsatz des neuen Alzheimer-Tests
„Die Aussagekraft der Tests ist hoch“, sagt Jörg Schulz, Direktor der Klinik für Neurologie an der Uniklinik RWTH Aachen. Allerdings sei das diagnostische Verfahren aufwendig und damit teuer, schließlich braucht man für die Auswertung ein Massenspektrometer. Dadurch seien die aktuellen Tests zwar „vermutlich nicht in der Breite anwendbar“, allerdings rechnet Schulz mit der Entwicklung günstigerer biochemischer Tests für diese Aufgabe. Diese müssten nur ausreichend sensitiv sein, da die Protein-Konzentrationen im Blut geringer sind als im Liquor. „Die Daten suggerieren auch, dass für ein erstes Screening in der Primärversorgung die Bestimmung von pTau217 vermutlich ausreichend ist“, sagt Schulz. Die Bestimmung von Αβ42/Aβ40 bringe keinen großen Gewinn.
Als nächsten sollen klinische Leitlinien für den Einsatz des Bluttests entwickelt werden, sagen die schwedischen Forscher. Die US-Zulassungsbehörde FDA hat dem Test bisher noch kein grünes Licht erteilt, allerdings können ihn Ärzt:innen in den USA über ein zertifiziertes Labor beziehen. Palmqvist rechnet damit, dass die klinische Anwendung auch auf Europa ausgeweitet wird. „Zunächst wird er vor allem in spezialisierten Gedächtniskliniken eingesetzt werden, und es kann etwa ein bis zwei Jahre dauern, bis Leitlinien und Schulungen in der Primärversorgung eingeführt werden“, sagt Hansson.
Wirkliche Ursache von Alzheimer?
Allerdings halten nicht alle Alzheimer-Forscher:innen und Unternehmen die Anhäufung der Beta-Amyloid-Plaques für die Ursache der Erkrankung. Sie sehen vielmehr ein Symptom darin, die Plaques sollen Anzeichen einer verlorenen Abwehrschlacht gegen Keime sein, die auf bisher ungeklärten Wegen ins Gehirn gelangen und sich dort in Nervenzellen einnisten. Im Fokus stehen zum Beispiel Erreger wie Porphyromonas gingivalis, der Auslöser von Zahnfleischentzündungen. Einen medikamentösen Durchbruch gibt es allerdings auch bei diesem alternativen Beta-Amyloid-Erklärungsansatz noch nicht.