Praxisbericht zur 4-Tage-Woche: „Es geht auch um die psychische Gesundheit“
Vier Tage konzentriert durchpowern, drei Tage regenerieren: Nach diesem Modell arbeitet beim IT-Dienstleister Polyestate ein Großteil der 17-köpfigen Belegschaft. Der Rest hat sich freiwillig für fünf Tage, aber weniger Stunden pro Tag entschieden. Wie die Umstellung gelungen ist und warum das Modell überhaupt eingeführt wurde, darüber haben wir mit den beiden Unternehmensvorständen Markus Saxen und Matthias Opitz gesprochen.
4-Tage-Woche heißt auch: „Braucht man mich in diesem Meeting wirklich?“
t3n: Seit ein paar Monaten können die Mitarbeitenden bei euch in einer Vier-Tage-Woche arbeiten. Wie kam es dazu?
Markus Saxen: Wir haben ein fantastisches Team und wollten, dass es so bleibt. (lacht)
Matthias Opitz: Wir zahlen gute Gehälter, aber natürlich gibt es große Unternehmen wie Microsoft, die mehr Geld bieten können. Zum Gesamtpaket gehören neben dem Gehalt aber ja beispielsweise auch die Arbeitszeit und die Flexibilität. Und eine Reduktion der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Gehalt ermöglicht eine gute Erhöhung des Stundenlohns.
Die Vier-Tage-Woche wird ja viel diskutiert und ich glaube auch, dass es in bestimmten Branchen viel schwieriger ist, das einzuführen. Aber wir sind ein Softwareunternehmen in der Immobilienbranche, ein Großteil des Teams ist in der Entwicklung und arbeitet in der Zeit sehr konzentriert an Themen. Das kann sehr intensiv, sehr kopflastig sein, und ich habe in Gesprächen immer wieder mitbekommen, dass donnerstags viele schon ein bisschen durch sind und der Freitag dann einfach nicht mehr so produktiv ist.
Es geht also nicht nur um Mitarbeiterbindung und Lohnerhöhung, sondern auch einfach um Regenerationszeiten und die psychische Gesundheit. Jetzt ist es zwar immer noch so, dass man am Donnerstag schon ganz schön erschöpft ist, aber dieser eine Tag Ausgleich mehr bringt dann so viel, dass man am Montag wieder richtig motiviert und mit Schwung dabei ist.
Markus Saxen: Ein netter Nebeneffekt, den wir seit der Einführung beobachtet haben: Das Bewusstsein für die Wertigkeit von Arbeitszeit ist stark gestiegen.
Die Videocalls seit Coronazeiten haben dafür gesorgt, dass man zum Beispiel ganz leicht jemand zu einem Meeting hinzufügt, der ein bisschen was mit dem Thema zu tun hat, aber vielleicht überhaupt nicht viel beizutragen hat und nicht viel aus dem Call mitnimmt. Wenn diese Meetings wieder komplett vor Ort stattfinden würden statt per Videocall, würden sie wahrscheinlich in deutlich kleinerer Besetzung abgehalten. Und bei uns wird jetzt durch die Vier-Tage-Woche viel mehr darauf geschaut: ‚Braucht man mich in dem Meeting wirklich?‘ oder ‚Muss ich diese Person wirklich einladen?‘.
Vom Plan zur Umsetzung: Wie klappt die 4-Tage-Woche?
t3n: Wie habt ihr euer Konzept für die Vier-Tage-Woche entworfen?
Matthias Opitz: Wenn man so eine Idee von Anfang an offen kommuniziert, besteht ja die Gefahr, dass sich alle freuen und es am Ende aber vielleicht doch nicht klappt. Das wollten wir auf keinen Fall – also haben wir unser Konzept erst einmal zu dritt in der Geschäftsführung ausgearbeitet und uns dann einen sehr guten Arbeitsrechtsanwalt dazugeholt, der auch Interesse am Thema hatte. Er hat uns geholfen, das Ganze vertraglich umzusetzen und die Rahmenbedingungen zu formulieren. Zusätzlich haben wir im unternehmensextern Umfeld mit Vertrauenspersonen gesprochen und uns viel zum Thema durchgelesen. Wir sind ja nicht die ersten, die eine Vier-Tage-Woche machen.
Der Tag, an dem wir die Änderung verkündet haben, war ein bisschen komisch, weil wir das persönlich machen wollten und dafür alle einbestellen mussten. Wir haben vorher dazugesagt: „Wir wollen euch etwas erzählen, aber es ist etwas Gutes“, damit die Leute keine Angst haben. Letztendlich hat keiner damit gerechnet. Den restlichen Tag nach der Verkündung haben wir auch nicht mehr gearbeitet, sondern gegrillt und uns ausgetauscht.
t3n: Und welche Herausforderungen gab es bei der Einführung?
Markus Saxen: Die größte Herausforderung bestand darin, den Freitag abzubilden. Unsere Kunden haben nämlich keine Vier-Tage-Woche und brauchen deswegen auch freitags mal Support. In unserer alten Arbeitsweise hatten wir eine kleine Gruppe, das waren unsere Zuständigen für Außenkommunikation. Weil aber auch die jetzt in der Regel freitags nicht da sind, haben wir ihre Aufgabe auf alle im Team verteilt – jetzt ist jeder irgendwann Ansprechpartner für Kunden.
Das war am Anfang eine schwierige Sache. Wir mussten zuerst überhaupt den Gedanken für uns akzeptieren, weil wir natürlich auch nicht sicher waren, wie gut das im Team ankommt. Und dann mussten wir alles erklären, die Leute abholen. Das war kein Selbstläufer, aber im Nachhinein ist die Rückmeldung sehr positiv. Da heißt es dann: „Ich bin Entwickler und weiß jetzt plötzlich auch viel mehr über die konkreten Systeme unserer Kunden und welche Wünsche die eigentlich haben.“
Matthias Opitz: Letztendlich haben wir so eine Art Rotationsprinzip entwickelt. Jeden Tag, auch am Freitag, gibt es eine Person, die Ansprechpartner ist und dafür allen anderen ermöglicht, fokussiert zu arbeiten. Wer am Freitag arbeitet, hat dafür dann am Montag frei.
Grundsätzlich haben wir die Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden reduziert und die meisten Mitarbeiter haben sich für eine Vier-Tage-Woche entschieden. Ein paar arbeiten stattdessen an fünf Tagen und dafür jeweils kürzer. Für die Rotation haben wir uns entschieden, damit der Freitag selbst dann besetzt wäre, wenn alle die Vier-Tage-Woche wählen würden.