Privacy Reclaim: Warum ein Unternehmen Klageansprüche gegen Google kauft - t3n

40 Euro für Android-User: Diesen Deal bewirbt das Legal-Tech-Unternehmen Privacy Reclaim derzeit. Wir klären, was dahintersteckt und warum Privacy Reclaim gegen Google klagen will. „Dein Android-Handy sammelt täglich Daten über dich – Wir sorgen dafür, dass du nicht leer ausgehst!“ Mit dieser Versprechung wirbt das Legal-Tech-Unternehmen Privacy Reclaim auf Instagram. 40 Euro könne ich mir sichern, heißt es in der Anzeige, die mir ausgespielt wird. Ich bin skeptisch und frage mich: Was steckt hinter dem 40-Euro-Daten-Deal? Privacy Reclaim: Wofür gibt es 40 Euro? Das Geschäftsmodell von Privacy Reclaim ist schnell erklärt. Für 40 Euro kauft das Legal-Tech-Unternehmen Android-Usern potenzielle Klageansprüche gegen Google ab. Privacy Reclaim zieht dann im Namen einzelner oder aller Beteiligten gegen Google vor Gericht. [crosslinks ids= "1565215,1599414,1616642"] Der Vorwurf, den das Legal Tech unter Berufung auf ein eigens erstelltes Gutachten erhebt: Google verstoße seit Jahren massiv gegen die Datenschutzgrundverordnung. Das US-Unternehmen erfasse nicht nur viel zu viele User-Daten über Android-Smartphones, ein Großteil der gesammelten Informationen werde auch nicht ausreichend anonymisiert, sondern mittels Identifier zu detaillierten User-Profilen verknüpft. Dass diese Profile dafür genutzt werden könnten, personalisierte Werbung auszuspielen, ist naheliegend. Von Privacy Reclaim heißt es allerdings dazu, man wisse schlicht nicht, was mit den gesammelten Daten passiere. Gewinnt Privacy Reclaim die angestoßenen Prozesse, kassiert es dafür die Schadensersatzzahlungen von Google. Pro User könnte dabei ein niedriger vierstelliger Betrag herausspringen, schätzt das Legal-Tech-Unternehmen. Wichtig zu wissen: User, die ihren Klageanspruch für 40 Euro an Privacy Reclaim abgetreten haben, verzichten endgültig darauf. Sie können also nicht im Nachgang noch einmal selbst vor Gericht ziehen, um eine höhere Schadensersatzsumme zu kassieren. Für Einzelpersonen soll sich der Verkauf ihrer Klageansprüche insofern lohnen, als die ausgeschriebenen 40 Euro sofort und garantiert ausgezahlt werden. Man verzichte mit dem Verkauf zwar auf eine potenzielle Schadensersatzzahlung, müsse dafür aber auch nicht für möglicherweise hohe Prozesskosten aufkommen, argumentiert Privacy Reclaim. Wer trotzdem lieber selbst klagen will, sollte über eine gute Rechtsschutzversicherung verfügen –, und kann sich vom Legal-Tech-Unternehmen mit einer Partnerkanzlei vernetzen lassen. Im Kleingedruckten: „Man kann nicht einfach alles machen“ Die geplante Klage von Privacy Reclaim wäre nicht das erste Mal, dass Google sich dem Vorwurf stellen muss, Daten unrechtmäßig zu erfassen. 2022 zeigte eine Untersuchung, dass Google Telefon-Metadaten wie Anrufdauer, Nachrichtenversand und kontaktierte Nummern von Android-Usern abgegriffen hatte – und das auch, wenn die Datenerfassung zuvor aktiv abgelehnt worden war. Google wiegelte die Vorwürfe damals ab. In einem Statement hieß es, die Daten würden lediglich zweckgebunden im Sinne der Produktfunktionalität genutzt. Insgesamt verweist das US-Unternehmen in Datenschutz-Diskussionen immer wieder auf Unterpunkte in den allgemeinen Geschäftsbedingungen und darauf, dass User diesen nun mal zugestimmt hätten. Geht es nach Privacy Reclaim, wird Google im Fall einer Klage damit allerdings nicht durchkommen. [caption id="attachment_1663235" align="alignnone" width="620"] Alex Petrasincu vertritt Privacy Reclaim juristisch. (Foto: Hausfeld Rechtsanwälte LLP)[/caption] „Man kann nicht einfach alles machen, auch wenn man es in einer Datenschutzerklärung irgendwo auf Seite 98 ins Kleingedruckte der Fußnote packt“, sagt Rechts-Experte Alex Petrasincu von der Düsseldorfer Anwaltskanzlei Hausfeld. Das Team von Hausfeld begleitet die Privacy-Reclaim-Gründer Christian Steim und Roman Zagrosek juristisch. Zagrosek, der selbst Jurist ist, hat bereits mit einem anderen Legal Tech namens eClaim 15.000 Erstattungsansprüche von Verbraucher:innen gesammelt. Dabei ging es um die LKW-Maut: 2020 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die deutsche Lkw-Maut unrechtmäßig hoch angesetzt sei. Über eClaim und die Kanzlei Hausfeld laufen deswegen derzeit drei Musterklagen auf Rückerstattung gegen die Bundesrepublik Deutschland. Datenschutzklage gegen Google: Außergerichtliche Einigung als Option In der Google-Sache will Privacy Reclaim 2025 mit insgesamt 100.000 gesammelten Ansprüchen erstmals vor ein deutsches Gericht ziehen. Ende 2024 hätten immerhin schon einige Tausend User ihre Ansprüche abgegeben. Letztendlich werde es „mehrere Jahre dauern, bis in der ersten Instanz ein Urteil ergeht“, so Petrasincu. „Und damit ist das Thema nicht unbedingt abgeschlossen: Wenn wir in der ersten Instanz gewinnen, wird Google möglicherweise in Berufung gehen. Umgekehrt, sollten wir verlieren – was ich nicht glaube –, würden wir in Berufung gehen.“ Eine schnelle Lösung gebe es nicht, erklärt der Rechtsanwalt – „es sei denn, Google sieht ein, dass es sinnvoll wäre, das Ganze außergerichtlich aus der Welt zu schaffen“. Auf einen außergerichtlichen Vergleich würde sich Privacy Reclaim nämlich durchaus einlassen – schließlich klagt das Legal Tech auch, aber eben nicht nur aus ideologischer Grundsatzüberzeugung. Was sagt Google zur Mobilmachung von Privacy Reclaim? Google selbst lässt in einem Statement gegenüber der Süddeutschen Zeitung verlauten, Privacy Reclaim mangele es „an technischem Wissen“. Das Legal-Tech-Unternehmen verzerre „weithin dokumentierte Fakten über die Funktionsweise moderner Smartphones.“ Für Alex Petrasincu ist das ein „komplett inhaltsleeres“ Statement. Das US-Unternehmen sei „mit keinem Wort darauf eingegangen, ob Google Daten sammelt oder eben nicht, ob Google, wenn Daten gesammelt und verarbeitet werden, davon überzeugt ist, dass das datenschutzkonform stattfindet und was überhaupt mit den Daten passiert“. Noch lässt Goolge sich also kaum aus der Reserve locken – kommt es zu einem Gerichtsverfahren, wird der Android-Betreiber dann aber doch etwas mehr preisgeben müssen.