
Dass das so ist, hängt mit der hochkomplexen Anlagenplanung zusammen und mit der Tatsache, dass Industrieanlagen in nahezu allen Fällen einen aufwendigen standardisierten Zertifizierungsprozess durchlaufen müssen, der (insbesondere wenn es sich um eine Zertifizierung durch die amerikanischen Behörden handelt) hochkomplex und teuer ist. Gerade bei Industrieanlagen, die für international tätige Unternehmen gefertigt werden, ist es nicht ungewöhnlich, dass ein und dieselbe Anlage an mehreren Standorten weltweit im Einsatz ist.
Dem gegenüber steht die zunehmende Digitalisierung von Anlagen – in der Industrie wird das mit der aussagekräftigen Unterscheidung Greenfield-Anlage versus Brownfield-Anlage umschrieben. Während die Greenfield-Anlage – wie der Begriff suggeriert – auf der grünen Wiese, also neu, entsteht, handelt es sich bei Brownfield-Installationen um solche, bei denen man eine bereits bestehende Anlage Industrie-4.0-fähig gemacht hat. Egal ob man hier von einer reinen Überholung der Maschinen, also gleichbleibender Funktionalität, ausgeht oder aber Maschinen und ganze Anlagen zukunftsgerecht erweitert, Retrofitting ist gerade im Sondermaschinen- und Anlagenbau heute mehr denn je ein Thema.
In aller Regel ist zunächst erst einmal die Erstellung eines digitalen Zwillings erforderlich, quasi einer virtuellen Maschine, die möglichst detailliert die Funktionsweise der Anlage dokumentiert. So kann nicht nur beurteilt werden, an welchen Stellen und in welchem Umfang Erweiterungen vorgenommen werden sollten und in welchen Bereichen eine Digitalisierung überhaupt sinnvoll möglich ist. Bei Greenfield-Anlagen, etwa komplexen Anlagen zur Ölförderung, dient der Zwilling darüber hinaus auch zur Ausbildung der Mitarbeiter. Denn jeder Tag, um den die eigentliche Förderung oder Produktion früher beginnen kann, bringt mehrere hunderttausend Euro ein.
Anders als bei Greenfield-Anlagen geht es hierbei weniger um den räumlich sinnvollen Aufbau einer Anlage als um das Verstehen der Funktionalität. Die Überarbeitung einer Anlage erweist sich dabei oft als schwieriger als gedacht, weil eine Maschine zwar in einem bestimmten Zustand errichtet und abgenommen wird, es aber nicht auszuschließen ist, dass kleinere, aber nicht zu vernachlässigende Änderungen vorgenommen werden. Das ist auch der Grund, warum ein digitaler Zwilling bei mehreren vermeintlich identischen Maschinen in aller Welt eben gerade nicht mehr als ein Anhaltspunkt sein kann. In aller Regel ist es dann aber so, dass erfahrene Betriebsleiter „ihre“ Anlage so gut kennen, dass sie die relevanten Abweichungen erkennen.
Doch Retrofitting ist mehr als nur das Ersetzen in die Jahre gekommener Anlagenteile. Oft werden in diesem Zusammenhang auch das gesamte Bussystem sowie die damit verbundenen Sensoren und Messinstrumente digitalisiert. Für welches Bussystem man sich hierbei entscheidet, hängt zumeist von der IT-Infrastruktur des Unternehmens und den bereits in anderen Anlagen eingesetzten Modulen ab. Schöner Nebeneffekt: Steht eine Anlage dann an mehreren Standorten mehr oder weniger identisch zur Verfügung, lassen sich Rückschlüsse auf deren Produktivität durchführen und die Anlage kann optimiert werden.
Eine Anlage zu digitalisieren, also beispielsweise mit maschinenlesbaren Sensoren und entsprechender digitaler Messtechnik auszustatten, ist eine Maßnahme, die sich trotz aller Kosten binnen weniger Jahre bezahlt machen wird. Denn zum einen lassen sich so schnell und individuell Berichte und Monitoring-Maßnahmen definieren, mit denen alle Beteiligten jederzeit die für sie relevanten Daten erhalten, zum anderen dient eine solche Maßnahme auch der Predictive Maintenance, also Reparaturmaßnahmen, die innerhalb einer großen Anlage quasi vorauseilend durchgeführt werden können – immer dann nämlich, wenn ein Messgerät unbrauchbar zu werden droht und ohnehin gerade ein Techniker in der Nähe ist. Das ist billiger als ein Stillstand nebst Fehlersuche innerhalb der Anlage, der schnell viele tausend Euro kosten kann und im Falle von prozesstechnischen Anlagen auch eine ganze Produktionscharge zerstören kann.
Das könnte dich auch interessieren:
- Industrie 4.0: Das steckt wirklich hinter dem Hype-Begriff
- Proglove: Vorzeige-Startup mit smartem Handschuh sammelt Millionen ein
Bitte beachte unsere Community-Richtlinien
Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.
Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.
Dein t3n-Team