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Kolumne

Wie viel Romantik steckt in den Computern?

Was prägt die Digitalbranche? New Work, Yoga-Stunden und Achtsamkeitsseminare oder kalte, gewinnmaximierende Plattformökonomie? Der kulturelle Gegensatz reicht dabei weiter zurück als bis zu den ältesten Computern. Die Neuland-Kolumne.

Von Stephan Dörner
3 Min.
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Meditation boomt – auch in der Tech-Szene. Wo steht die Digitalbranche beim Thema Fortschritt und Romantik? (Foto: Fizkes/Shutterstock)

Gibt es Fortschritt? Die Frage klingt banal und ist auf den ersten Blick leicht zu beantworten: Natürlich gibt es Fortschritt. Von Computern bis zu Zügen wird alles immer schneller, dank fortschrittlicher Medizin werden wir immer älter – selbst mit zahlreichen sogenannten Zivilisationskrankheiten von Diabetes bis Krebs. Aber ist das auch Fortschritt?

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Die Idee, dass es so etwas wie Fortschritt geben könnte, ist gar nicht so alt. Die Vorstellung von der Entwicklung einer Gesellschaft zu etwas Besserem und Höheren machte erst die Aufklärung ab etwa dem Jahr 1500 populär. Davor war Geschichte im Wesentlichen eine Abfolge verschiedener Herrschergeschlechter, bei denen mal die einen, dann die anderen Oberwasser hatten. Das Leben eines Bauern um 700 unterschied sich nicht wesentlich von dem eines Bauern, der Hunderte Jahre später auf die Welt kam.

Romantik: Der Zweifel am Fortschritt

Mit dem Glauben an den Fortschritt kam auch der Zweifel daran in die Welt. Der Aufstieg der gefühlsbetonten Romantik in Kunst und Literatur ab Ende des 18. Jahrhunderts wird häufig als die Gegenbewegung zur bis dahin vorherrschenden fortschrittsgläubigen Aufklärung gesehen – auch wenn manch einer wie der Dichter Heinrich Heine beides zugleich war: Romantiker und Aufklärer.

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Im Westen stellen wir uns Ideologien aber dennoch gerne als Gegensätze vor und wenn wir wollen, entdecken wir diesen Gegensatz immer wieder: In den 60er Jahren des 20. Jahrhundert glauben die fortschrittsgläubigen 68er an eine goldene Zukunft des Sozialismus, während die mystisch orientierten Hippies sich lieber der inneren Einkehr widmen. Und statt gleich die ganze Gesellschaft umstürzen zu wollen, suchten sie lieber das private Glück abseits der Gesellschaft.

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Auch in der Geschichte des Siegeszugs der Computer seit den 1980er Jahren lässt sich diese Erzählung fortführen. Die Wurzeln vieler Computerentwicklungen in der Hippie-Bewegung sind gut belegt. Apple-Gründer Steve Jobs reiste nach Indien, nahm LSD und wusch sich zweitweise nicht, weil er glaubte, dass er durch seine Frutarier-Ernährung nicht stinken könne. (Ein Irrtum übrigens – zum Leidwesen seiner Umgebung.)

Etwa zur selben Zeit legte sich Microsoft-Gründer Bill Gates kulturell mit dem hippie-dominierten Umfeld des Homebrew Computer Clubs an, indem er ihre Ideologie der Gratis-Kultur von Software infrage stellte. Gleichzeitig ist er fortschrittsgläubig, was sich beispielsweise an der von ihm und seiner Frau gegründeten Stiftung zeigt, die das Ziel hat, die Welt wissenschaftlich fundiert zu verbessern, indem immer wieder Hypothesen getestet werden.

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Renaissancen der Romantik in der Digitalbranche?

Wo also steht die Digitalbranche im Jahr 2020 zwischen Aufklärung und Romantik? Ist die Allgegenwärtigkeit von Yoga-Stunden, Bio-Essen in Startup-Küchen und Meditations-Apps ein Zeichen für eine Renaissancen der Romantik in der Digitalbranche oder herrscht angesichts einer wachstumsgetriebenen Wagniskapitalfinanzierung immer noch der Glaube an einen Fortschritt durch Technologie vor, der sich in der VC-Welt im Multiple auf die Investition niederschlägt?

Die Antwort lautet wahrscheinlich wie zu allen Zeiten: beides. Und doch spricht einiges dafür, dass die Romantik-Fraktion in jüngster Zeit an Einfluss gewonnen hat – und zwar im Grunde aus ganz rationalen Gründen. Fortschritt allein – und damit auch die Digitalisierung – macht nicht glücklich und ist kein Selbstzweck. Aus materieller Sicht haben große Teile Bevölkerung längst ein Niveau erreicht, in dem technischer Fortschritt, mehr Wachstum und mehr Effizienz nicht mehr Glück und Zufriedenheit bedeuten. Im Gegenteil: Das Streben danach bedeutet für viele vor allem Stress.

Vielleicht vollzieht sich in der Tech-Branche ja damit endlich die Versöhnung mit einem nur scheinbaren Gegensatz von Fortschritt und Romantik: technischer Fortschritt ja, aber nur so lange er uns als Menschen mit unseren Bedürfnissen dient – und nicht umgekehrt. Oder wie der aus der DDR ausgebürgerte Liedermacher Wolf Biermann einst textete: „Ja Wohlstand wollen wir gern anstatt, dass uns am Ende der Wohlstand hat.“

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