Von Trump bis Homeoffice: Wie der Hindsight-Bias unsere Sicht verzerrt

Als Donald Trump die Wahl gewann und die US-Aktienkurse explodierten, waren sich alle einig: „Das war klar!“ Immerhin habe er vor der Wahl angekündigt, Steuern und Bürokratie zu senken. Als der US-Präsident dann in seinen Zollkrieg und die US-Börsenwerte damit in den Keller zog, drehte die Stimmung: „Es war absehbar, dass das passiert!“ Zölle würden einem nur selbst schaden.
Zurzeit gehen die Kurse wieder rauf. Trump rudert zurück. Und unter Beobachtern raunt es wieder: „Das habe ich immer schon gewusst.“ Das sei alles nur Säbelrasseln. „Trump always chickens out!“
Hindsight Bias – was ist das?
Hinter dem Satz „Das habe ich immer schon gewusst“ steckt jedoch ein Muster, das in der Psychologie gut bekannt ist. Der sogenannte Hindsight Bias oder auch „Rückschaufehler“ ist der personifizierte Selbstbetrug. „Diese verzerrte Erinnerung an die eigene Meinung ist ein sehr robustes Phänomen“, sagt Hartmut Blank, Sozialpsychologe an der Universität Leipzig gegenüber der Süddeutschen Zeitung.
Bezüglich der aktuellen Börsenturbulenzen erinnert er mit einem Vergleich an das Platzen der New-Economy-Blase, die auch alle für unvermeidlich gehalten haben – selbst diejenigen, die viel Geld verloren. Blank forscht seit Jahren dazu. „Etwas als zwangsläufig anzusehen, ist bei frustrierenden Erfahrungen eine Quelle des Trostes“, sagt er. Wenn es unabänderlich war, müsse man sich selbst keine Vorwürfe machen.
Fundament des Rückschaufehlers ist, dass es dem Menschen grundsätzlich schwerfällt, sich korrekt an frühere Gedankengänge zu erinnern. Erinnerungen lassen sich ihm zufolge leicht beeinflussen – in der Regel zum eigenen Vorteil.
Der Hindsight Bias hat psychologisch betrachtet aber auch eine wichtige Funktion für das eigene Ego. Denn er stabilisiert das Selbstwertgefühl.
Nicht nur an den Finanzmärkten, sondern auch in der Arbeitswelt ist er weitverbreitet. Kaum eine Führungskraft will sich heute noch an die vollmundigen Lobgesänge auf das Homeoffice während der Corona-Pandemie erinnern, als sich gezeigt hat, dass die Produktivität während der Arbeit auf Distanz nicht einbrach.
Inzwischen wird zurückgerudert, weil die schlechte Wirtschaftslage in den Unternehmen für Verwirrung sorgt. Es wird nach Gründen gesucht, warum Umsätze und Gewinne einbrechen. In der Rückschau liegen auch die oft nicht bei einem selbst, sondern woanders. „War doch klar, dass im Homeoffice gefaulenzt wird.“
Kompetenz statt Ego gegen Hindsight Bias
Interessant ist, dass das Maß an Expertenwissen einen wichtigen Einfluss auf das Auftreten des Rückschaufehlers in den Einschätzungen von Personen hat. Ein Experiment unter Pokerspielen konnte das gut nachweisen.
Sie sollten die Gewinnchancen einer Pokerhand bewerten – einmal vor und einmal nach dem Feedback zur tatsächlichen Gewinnwahrscheinlichkeit. Es zeigte sich, dass die Personen mit langjähriger Pokerkarriere bessere Voraussagen tätigten und sich zudem nach dem Feedback weniger oft selbst berichtigten.
Irren ist zwar menschlich, aber ausgeprägte Erfahrungen, die weniger auf schnellen Annahmen, sondern fundiertem Know-how basieren, verringern den Hindsight Bias erheblich.
Und warum ist das wichtig?
Im Volksmund gibt es einen Spruch, der den Rückschaufehler wie kaum ein anderer perfekt auf den Punkt bringt: „Nach dem Krieg ist jeder General“. Es ist eine Metapher, die darauf abzielt, dass am Ende ja jeder immer die Entwicklung einer Entscheidung – selbst unter hohem Druck – vorausgesehen hätte.
Menschen sollten sich dem Hindsight Bias jedoch bewusst sein und sich klarmachen, dass ihre vermeintliche Ad-hoc-Kompetenz oft verzerrt sein dürfte und die Expertenmeinung häufig die bessere ist.
Auch, wenn das bedeutet, das eigene Ego mal zu kränken und nicht immer der angeblich Schlauste im Raum zu sein.