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Schreibst du noch oder letterst du schon? Wie typografische Dialekte die Markenidentität stärken

Dialekte und Mundart sind ein beliebtes Stilmittel in Radio und TV-Werbung. Dahinter steckt eine psychologische Taktik. Gibt es dieses Phänomen auch beim geschriebenen Wort? (Typo)grafische Dialekte?

Von Jürgen Siebert
5 Min.
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Gibt es so etwas wie typografische Dialekte? (Grafik: Shutterstock)

Er ist gelernter Müller und produziert seine Radiospots im heimischen Tonstudio: Willi Pfannenschwarz, Gründer und Stimme der Müsli-Marke Seitenbacher. Was aus schwäbischer Sparsamkeit begann, wurde bald Kult: „Woisch, des isch des Müsli von dem Seitebacher!“ So packt Pfannenschwarz joviale Ratschläge, Familienbande und Vertraulichkeit in einen Satz, um seine Müslis und Bio-Öle bundesweit bekannt zu machen. Sprache als Kostüm.

Der nette Saft von nebenan: Der österreichische Fruchtsafthersteller Rauch lockt die Kunden mit frechen Sprüchen und typografischem Slang. (Foto: Jürgen Siebert)

Auch andere Marken setzen auf Mundart, zum Beispiel Flensburger, Astra, Ricola oder das Möbelhaus Ikea. In den meisten Fällen soll der Dialekt die regionale Herkunft eines Produkts signalisieren, quasi als Gegentrend zu Globalisierung und anonymer Massenware. Je größer, unpersönlicher und industrieller unsere Warenwelt wird, desto stärker wird die Sehnsucht nach Heimat, Ursprünglichkeit und Authentizität.

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Warum soll dieses Phänomen nicht auch im Geschriebenen funktionieren? Gemeint ist nicht das Übertragen eines sprachlich gefärbten Slogans in Gedrucktes wie das „Mia san mia“ von Bayern München, sondern die visuelle Inszenierung einer Botschaft, eines Produktnamens oder eines Logos. Tatsächlich existieren auch in der Typografie Slangs und Dialekte. Allerdings zeichneten sich die populärsten lange Zeit dadurch aus, dass sie trennten anstatt zu verbinden. Ihre Schöpfer wollen nicht von jedem verstanden werden, sondern nur von Gleichgesinnten, zum Beispiel in der Graffiti-Szene.

Ist das zum Lesen oder kann das weg: Graffiti-Schriftzüge in Berlin Neukölln. (Foto: Jürgen Siebert)

Style-Writing, Graffiti-Writing oder kurz Writing ist die verbreitetste Form von Street-Art. Dass sich hinter den bunten Bildern an öffentlichen Wänden meist Buchstaben, Wörter, ja ganze Botschaften verbergen, erschließt sich der breiten Bevölkerung kaum. Dieses Aneinander-vorbei-reden beruht auf Gegenseitigkeit: Den Sprayern geht es um den Fame, während Außenstehende prompt die Sachbeschädigung wahrnehmen und gar nicht erst versuchen, was anderes herauszulesen. Statt von einem Dialekt könnte man hier von einer Fremdsprache reden.

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Wie entsteht eigentlich ein typografischer Dialekt? Sehr ähnlich wie bei der gesprochenen Sprache. Entweder ist er durch die Herkunft gefärbt – Schweizer Typografie, französischer Chic, skandinavische Klarheit – oder durch eine Do-it-yourself-Technik, die von der professionellen Typografie/Sprache abweicht. Bei Seitenbacher kommt beides zusammen: Herkunft und Laiendarstellung.

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Typische Vertreter eines autodidaktischen Letterings sind die handgeschriebenen Tafeln auf Wochenmärkten, in Restaurants und Cafés. Diese Marktästhetik macht sich gerade im deutschen Einzelhandel breit. Mehr und mehr Handelsketten bedienen sich einer Lettering-Typografie, ergänzend zur „industriellen“ und informellen Hausschrift. Solche Script-Fonts können nicht nur am Verkaufsort Akzente setzen, sondern auch beim digitalen Advertising und in den sozialen Netzen.

Ein Vorreiter auf diesem Gebiet ist die US-amerikanische Lebensmittelkette Trader Joe’s, die seit 1979 zu Aldi Nord gehört. Ein augenfälliges Merkmal der 500 Filialen sind die lebendige Beschriftung von Ladenbereichen, Preisschildern und Packungen der Eigenprodukte. Die personalisierte Ästhetik passt hervorragend zu Trader Joe’s Geschäftskonzept, die das Handelsblatt so umschreibt: „… eine Mischung aus ein bisschen Öko, ein bisschen Gourmet und ein bisschen Discount. Kurzum alles, was der standesbewusste, linksliberale Amerikaner braucht.“ Handgeschriebene Schilder in Supermärkten assoziieren lokalen Handel, Frische und Engagement.

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Die US-Lebensmittel-Kette Trader Joe’s inszeniert sich wie ein lokaler Markt, mit handgeschriebenen Wegweisern und Preisschildern. (Foto: Jürgen Siebert)

Manchmal kann ein typografischer Slang helfen, das angestammte Image einer Marke zu schützen, zum Beispiel bei einer mutigen Line-Extension. So macht es der Schokoladenhersteller Lindt mit seiner experimentellen Tochtermarke Hello. Während sich das Schweizer Mutterhaus in der Werbung gerne traditionsbewusst inszeniert, mit weiß gekleideten Chocolatiers, die flüssige Schokolade in Formen gießen, wendet sich Hello mit Geschmacksrichtungen wie „Sundae Choco“, „Blueberry Muffin“ oder „Salted Caramel“ an die Millennials. So experimentell die Mischungen der Rohstoffe, so experimentell das Packungsdesign, vom handgezeichneten Schriftmix bis zur Farbgebung. Dies alles steht in krassem Gegensatz zum traditionellen Lindt- und Sprüngli-Design, basierend auf dem Schriftklassiker Optima von Hermann Zapf.

Die forsche Schoko-Linie Hello von Lindt inszeniert sich mit einem jugendlichen Lettering-Schriftmix. (Foto: Jürgen Siebert)

Am weitesten verbreitet sind typografische Dialekte im Natur- und Biomarkt-Segment sowie bei veganen Produkten. Platzhirsch ist die schwedische Hafermilchmarke Oatly. Ihre patentierte Enzymtechnologie kopiert einen natürlichen Prozess, der Haferflocken in trübe Flüssignahrung verwandelt, die wie Milch konsumiert werden kann. Das Unternehmen ist stolz auf seine Erfindung. Ein ungekünstelter typografische Auftritt unterstreicht die Glaubwürdigkeit der jungen Marke: Alle Texte sind in der spröden Schreibmaschinentype FF Magda gesetzt, in den Headlines und auf den Packungen kommen scherenschnittartige DIY-Buchstaben zum Einsatz.

Wie Schrift, aber für eine (vegane) Leserschaft gemacht: Der Hafermilch-Erfinder Oatly inszeniert sich in seiner jüngsten Kampagne als Kumpel von nebenan. (Foto: Jürgen Siebert)

Der kumpelhafte Slang von Oatly birgt allerdings eine Gefahr, die Sprachpsychologen als Fluency-Effect bezeichnen: Wer mit Akzent spricht, dem glaubt das Publikum weniger als einem Hochsprachler. Das Marketing mit gesprochenen und visuellen Dialekten ist eine Gratwanderung. Die Unterscheidung zwischen emotionaler und informeller Ansprache ist stets im Auge zu behalten. Und danach richtet sich die Wahl der Schriftart: Saloppe Botschaften gerne in einer affektiven Typografie, aber Produktinformationen, Verbraucheraufklärung und Fußnoten nur in klassischen Textschriften setzen!

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Verfeinerte typografische Dialektik bei DM Drogeriemarkt: vorher (links) eine fast normale grafische Dramaturgie, nachher (rechts) eine emotionale, ganzheitliche Gestaltung mit Handschrift und Illustrationen. (Foto: Jürgen Siebert)

Werber raten dazu, gesprochene Dialekte dezent und überlegt einzusetzen. Und sie müssen präzise und authentisch inszeniert sein. Andernfalls erntet man Spott und Hohn, wie Aldi vor einem Jahr anlässlich des Münchner Oktoberfests. Die Facebook-Kampagne „Gemma zum Oidi“ in der es hieß „Des Scheene an der Wiesn: Ma hod oan Grund mehr, si zua vakleidlen“ wurde zum Rohrkrepierer, weil ein Bayer weder „vakleidlen“ noch „Oidi“ sagen würde. Kommentar auf Facebook: „Das müssen sich Saupreußen ausgedacht haben.“

Präzision, Authentizität, Glaubwürdigkeit: Diese Werte gelten natürlich auch für grafische Dialekte. Sie werden zunehmen, weil die Verbraucher noch nie so viel Einfluss auf Marken hatten wie heute. Sie schätzen lokale Produkte, sie lieben Qualität, achten auf Inhaltsstoffe und lehnen umweltschädliche Landwirtschaft genauso ab wie Tierquälerei. Dieser Wertekanon lässt sich durch eine ehrliche Kommunikation bestens darstellen, gesprochen wie geschrieben. Akustische und (typo)grafische Dialekte können eine solche Kundenansprache würzen, aber nicht im Alleingang tragen.

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Dein t3n-Team

Laura Stein

Toller Beitrag, um etwas zu untermauern, was irgendwie schon bekannt, aber wenig bewusst war.
Die gewählten Fotos als Beispiele gefallen mir besonders gut!

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Julia Nikolaeva

Wunderschön geschrieben, der Artikel. War ein Genuss, ihn zu lesen.

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