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Reportage

Selbstfahrende Autos: Wenn der Computer am Steuer sitzt

In Zukunft werden selbstfahrende Autos auf den Straßen wohl dazugehören. Dabei kommen sie in Situationen, die für Menschen lebensbedrohlich sein können. Forscher sollen ihnen den Notfall beibringen.

6 Min.
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(Grafik: Shutterstock)

Chris Gerdes denkt viel nach über Computer auf vier Rädern. Also über selbstfahrende Autos. Sogar dann, wenn er mit dem Rennrad über die Hügel von San Francisco kurvt. Neulich hatte er wieder so einen Geistesblitz: Die Autos, die ihn überholten, wichen aus, sie überfuhren die doppelt durchgezogene Mittellinie. Würde ein selbstfahrendes Auto das auch tun, fragte er sich. Die kalifornische Straßenverkehrsordnung verbietet das Kreuzen der Mittellinie. Das Computer-Hirn im Fahrzeug würde sich wohl an die Regeln halten.

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„Wir haben hier also ein gelerntes menschliches Verhalten, das gesellschaftlich sogar erwartet wird: Platz machen für Fahrradfahrer. Das aber eigentlich nicht legal ist“, sagt Gerdes, Professor an der Elite-Universität Stanford. „Wie bringen wir einen solchen erwünschten Regelbruch dem autonomen Auto der Zukunft bei? Und macht die Mittellinie für ein Roboter-Fahrzeug überhaupt noch Sinn?“

Gerdes geht davon aus, dass ein autonomes Auto die Situation besser einschätzen kann als jeder Mensch. Der Wagen beobachtet die Umwelt mit Sensoren und Kameras. Das Auto wird den Radfahrer also sowieso nur überholen, wenn ihm nichts entgegenkommt. Und es wird dem Radler so viel Raum wie möglich geben. Für Autos ohne Fahrer werden Fahrbahnmarkierungen in Zukunft also womöglich unbedeutend werden.

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Wenn plötzlich jemand vors Auto springt

Gerdes forscht in der US-Technologie-Hochburg, im Silicon Valley, zu selbstfahrenden Autos. Mit Doktoranden steht er regelmäßig an einer Teststrecke. Gerade untersuchen sie, wie Shelley, ein umgerüsteter Forschungs-Audi, mit unerwarteten Situationen umgeht.

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Zum Beispiel damit, dass hinter jedem am Straßenrand parkenden Auto plötzlich ein erwachsener Fußgänger oder gar ein Kind hervorlaufen kann. „Wir werden nie ein perfektes System bauen“, räumt Gerdes ein. „Aber wir müssen versuchen, es so sicher wie möglich zu machen.“

Eine Frage für Philosophen

Bei der mühsamen Kleinarbeit an der Schaltzentrale der Zukunftsautos stellen sich die Forscher viele Fragen. So bekam Gerdes vor einiger Zeit eine E-Mail von Patrick Lin, einem Philosophieprofessor in San Luis Obispo, gelegen auf halber Strecke zwischen San Francisco und Los Angeles. „Denken Sie auch über all die ethischen Fragen nach, die die autonomen Autos uns bringen werden?“, wollte Lin wissen.

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Seitdem forschen die beiden Wissenschaftler gemeinsam. Der Philosoph entwirft ein Szenario, der Ingenieur sucht nach technischen Antworten. Zum Beispiel: Stellen wir uns vor, unser Auto kommt in eine Gefahrensituation und kann einem Crash nur noch entgehen, indem es nach links ausweicht. Dort würde der Wagen eine achtzigjährige Großmutter töten. Er könnte auch nach rechts umlenken, wo er in ein achtjähriges Mädchen steuern würde. Wie soll das Auto entscheiden?

Der Philosoph Lin sagt: „Es gibt nicht die einzig richtige Antwort hier, das liegt in der Natur des ethischen Dilemmas.“ Der Autobranche selbst sind solche Fragen spürbar unangenehm. Die Hersteller betonen, Autos würden nicht dahin programmiert, zwischen Opfertypen zu unterscheiden. Vielmehr sollen die Fahrzeuge jede Kollision vermeiden, erst recht mit ungeschützten Fußgängern und Radfahrern.

Ein wichtiges Argument für mehr Sicherheit, wenn der Computer die Kontrolle übernimmt, ist die traurige Realität auf den Straßen: Sowohl in den USA als auch in Deutschland ist der Mensch am Steuer für die Masse der Unfälle verantwortlich. Experten erwarten, dass es durch autonome Fahrzeuge drastisch weniger Unfälle geben wird.

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Trotzdem fordert Philosophieprofessor Lin eine gesellschaftliche Diskussion über die ethischen Fragen: „Wie kommen die Programmierer zu ihrer Entscheidung? Haben sie die Konsequenzen durchdacht?“ Lin rät, dass die Autoindustrie über ethische Fragen offen sprechen sollte. „Macht sie das nicht, wird dieses Informationsvakuum von anderen mit Spekulationen und Ängsten gefüllt werden.“

Tesla und Google: Der Crash macht unsicher

Für einen Aufschrei sorgte im Mai 2016 der erste tödliche Unfall mit einem gerade vom Computer gesteuerten Tesla im US-Staat Florida. Der Wagen war nicht komplett autonom, er fuhr im sogenannten Autopilot-Modus. Dabei handelt es sich um ein ausgeklügeltes Assistenzsystem, das vom Fahrer bewusst angeschaltet werden muss und dann unter anderem Spur und Abstand halten soll. Die US-Verkehrsbehörde NHTSA stellte in ihrem Untersuchungsbericht fest, das Assistenzsystem habe wie zugesichert funktioniert, der Fahrer hätte sich aber nicht auf die Technik verlassen dürfen.

Auch Roboter-Wagen geraten in Unfälle – meistens fahren unachtsame Menschen auf die korrekt fahrenden Testautos auf. Anfang 2016 jedoch provozierte ein Google-Auto selbst einen Blechschaden, als es beim Umfahren eines Hindernisses einem Bus in den Weg steuerte.

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Aktuell sorgt noch fast jeder Zwischenfall für Schlagzeilen. Experten erwarten, dass diese Phase mit mehr Wagen und immer besserer Technik vergehen wird. 2016 jedoch fürchteten sich drei von vier Amerikanern davor, von einem selbstfahrenden Auto durch die Gegend chauffiert zu werden. Bei den Deutschen ist die Skepsis ähnlich groß.

Dabei war es ausgerechnet ein Deutscher, der die Roboter-Wagen-Welle entscheidend anschob: Sebastian Thrun war Professor für künstliche Intelligenz in Stanford und entwickelte den autonomen Wagen Stanley auf Basis eines VW Touareg. Später engagierte ihn Google, um für den Konzern den ersten Prototypen zu bauen.

Google startete 2009 Tests mit Roboter-Wagen auf der Straße und setzte mit dem Projekt auch etablierte Autokonzerne unter Zugzwang. Seit kurzem stellt die Google-Schwesterfirma Waymo Familien selbstfahrende Minivans für den Alltag zur Verfügung.

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Auch die großen deutschen Autobauer forschen im Silicon Valley und sind mit Testlizenzen unterwegs. So will BMW 2021 gemeinsam mit Intel ein vollautonomes Auto auf die Straße bringen.

Der Mann für ethische Fragen im BMW-Konzern, Dirk Wisselmann, berichtet, dass man viel an Szenarien arbeite, wie sie der Philosoph Lin entwirft. Zugleich versichert er, dass ein Algorithmus – also eine Computerregel – mit Wertungen wie „Kind geht vor Großmutter“ niemals in ein deutsches Auto hinein programmiert werden dürfte. „Das verstößt gegen das Grundgesetz. Die Antwort kann immer nur lauten: Sachschaden vor Personenschaden.“

Weil allgemein davon ausgegangen wird, dass vollautonome Wagen oft langsam unterwegs sein werden, sieht Wisselmann keine große Gefahr für Fußgänger. „Bei 30 Kilometer pro Stunde in der Innenstadt ergibt sich ein Bremsweg von etwa 4 Metern. Bei dieser Geschwindigkeit bleiben etwa 50 Zentimeter, die ein Auto nach links oder rechts ausweichen könnte. Also, wie realistisch ist dann ein solch dramatisches Szenario noch?“

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Nicht alles machen, was geht

Mirko Franke, Entwickler bei Bosch, sieht sich stärker in der Moral-Zwickmühle: „Technisch sind wir längst so weit, dass die Sensoren gut erkennen, was sich um das Auto herum tut. Eine etwa einen Meter große Person ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kind, jemand mit einem Stock wahrscheinlich ein älterer Mensch.“ Trotzdem soll das Auto solche Unterschiede nicht berücksichtigen. „Was ethisch ist und was nicht, ist eine gesellschaftliche Frage, das können wir nicht als Unternehmen festlegen“, betont Franke.

Die Deutschen sind gewohnt vorsichtig. US-Wettbewerber wie Tesla und Waymo wollen sich zum Thema Ethik erst gar nicht äußern. Und dann sind da noch die vielen Startups. So wie Peloton. Die Firma entwickelt führerlose Lastwagen für das sogenannte Platooning. Dabei sollen Fahrzeuge automatisch gesteuert in Kolonne fahren. Software-Entwicklerin Alison Chaiken sagt: „Ingenieure wollen coole Sachen bauen und kümmern sich nicht so sehr um die Konsequenzen.“

Ist ein Notfallknopf die Lösung?

Nach den ersten Kollisionen wird über Roboter-Autos zumindest schon diskutiert. Dabei ist oft vom roten Not-Knopf die Rede. Damit könnte der Mensch beim hochautomatisierten Fahren im Krisenfall die Kontrolle wieder übernehmen. Aber wie realistisch ist das? BMW hat es getestet: „Wir haben über 400 Fahrsimulationsversuche gemacht, wo wir Realfahrer – natürlich unter Laborbedingungen – mit solchen Situationen konfrontiert haben“, sagt Wisselmann.

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„Man schickt den Fahrer dabei in die komplette Ablenkung, zum Beispiel liest er ein Buch, wenn plötzlich ein Warnton im Auto ertönt. Der Fahrer muss sich dann in kürzester Zeit orientieren und ein Manöver einleiten, also bremsen oder ausweichen“, so der deutsche Experte. „Die Ergebnisse waren erstaunlich, die Schnellsten brauchten in einfachen Situationen nur zwei bis drei Sekunden.“

Stanford-Professor Gerdes hält menschliches Eingreifen dagegen für keine gute Idee. „Die meisten Unfälle werden heute dadurch verursacht, dass wir Menschen falsch auf unvorhergesehene Situationen reagieren.“ Mit dem Notfallknopf bekomme man die Kontrolle zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt. „Nein, das Auto sollte seine eigenen Entscheidungen treffen können oder zu einem sicheren Stand kommen.“ dpa

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Dein t3n-Team

Gert Büttgenbach

Das fahrerlose, vollständig autonom handelnde Auto wird eine Illusion bleiben, weil es eben nicht die ethischen Fragen stellvertretend für den Fahrzeughalter lösen kann. Die rechtlichen Probleme, die sich ergeben, sind immens und können, wenn überhaupt, nicht in so kurzen Zeiträumen, wie die Hersteller sich das wünschen, gelöst werden. Für mich ist erstaunlich, mit welcher Konsequenz in der aktuellen Diskussion die einzig denkbare Alternative ausgeblendet wird: Nur die Entflechtung der Verkehrsebenen – Fußgänger und Straßenverkehr – kann die Lösung sein. Die Kosten für den entschlossenen Umbau unserer Infrastruktur beim Namen zu nennen oder auch nur darüber offen nachzudenken, scheut natürlich jeder Politiker. Die scheinbar schnelle und kostengünstige Lösung, künstliche Intelligenz einusetzen, um Unfälle im heutigen, von allen Verkehrsteilnehmern geteilten Raum zu verhindern, wird uns eine Sackgasse führen (man denke nur an die latente Anarchie, die zwischen den Verkehrsträgern Fahrrad und Auto herrscht)

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