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Selbstorganisation statt Hierarchie: Möge die Entscheidungsmacht mit dir sein!

Es ist paradox: Unternehmen wollen agil arbeiten und schaffen Hierarchien ab. An deren Stelle treten Regeln. Aber in einer komplexen Welt können wir Entscheidungen nicht durch Regeln ersetzen. Selbstorganisation ist die bessere Lösung.

Von Björn Waide
4 Min. Lesezeit
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(Foto: kenary820 / shutterstock)

Wenn ich von Regeln spreche, meine ich Ablaufpläne oder eben Prozesse, die bestehende Hierarchien ablösen. Ein Beispiel: Wer entscheidet über Weiterbildungen oder über Reisekosten? – Ohne hierarchisch geregelte Entscheidung wird so ein Fall entweder durch Konsens-Entscheidungen oder definierte Regeln gelöst. Beides ist nicht optimal. Regeln können nicht jeden einzelnen Schritt antizipieren und vorwegnehmen. Sie können nicht alles klären – vor allem können Regeln eigenständiges Handeln und Denken nicht ersetzen. Und jetzt? Doch wieder hierarchisch arbeiten? Nein. Unternehmen sollten sich vielmehr darauf einlassen, Selbstorganisation zu lernen und zu leben.

Segnen ist Aufgabe der Kirche – nicht die der Führungskräfte

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Wer kennt es nicht: „Kannst Du das bitte noch absegnen?“, lautete früher eine häufig geäußerte Bitte – eine, die vor allem Führungskräfte zu hören bekamen. Doch wir Führungskräfte sind nicht der Papst! Segnen oder Absegnen sollte lieber denjenigen überlassen werden, die sich damit auskennen. Stattdessen sollte aktives, selbstständiges Mitdenken und Entscheiden der Mitarbeitenden im Vordergrund stehen. Wichtig ist dabei, dass alle genau wissen, innerhalb welcher Rahmen sie sich bewegen können. Jeder muss die strategischen Leitplanken des Unternehmens kennen.

Verantwortung und Akzeptanz als Schlüsselkriterien

Im seinem Buch „Reinventing Organizations“ gibt der Wirtschaftsphilosoph Frederic Laloux mit dem „Advice Process“ einen Denkanstoß, wie Selbstorganisation gelingen kann. Im Grunde genommen kann jede:r Mitarbeitende alle Entscheidungen treffen – allerdings erst nachdem er oder sie zunächst jede:n, der von der Entscheidung betroffen sein wird, sowie weitere Personen, die Fachwissen in der Angelegenheit haben, um Rat gefragt hat.

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Dieses Verfahren erlaubt jeder:jedem, die Initiative zu ergreifen und Entscheidungen zu treffen. Auf Rat hören ist wichtig, aber letztlich muss man selbst entscheiden, wie sinnvoll dieser ist. Zur Selbstorganisation gehört auch, für die Konsequenzen der eigenen Entscheidungen gerade zu stehen. Zudem muss jede:r die Entscheidungen anderer im Team akzeptieren. Das ist Teil des Arbeitens ohne Hierarchien.

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Selbstorganisation ermöglicht zudem effizienteres und schnelleres Handeln, als es beispielsweise bei flachen Hierarchien der Fall wäre. Hier wären im Zweifel mehr Menschen in Entscheidungen involviert, die nichts Relevantes beizutragen haben. Bei Selbstorganisation werden hingegen nur Personen in die Entscheidung einbezogen, die fachlich etwas beizutragen haben.

Strategische Richtung muss abgesteckt sein

Wir haben bei Smartsteuer wenige, aber dafür einheitlich geltende Absprachen, wie zum Beispiel die Abwicklung wiederkehrender interner Formate. Das sorgt für eine gute Orientierung. Ein Beispiel ist der Strategiekreis: Für die strategischen Leitplanken des Unternehmens, innerhalb derer alle weiteren Entscheidungen getroffen werden, gibt es bei Smartsteuer ein rotierendes Team. Das besteht aus Vertreter:innen der Fachabteilungen, die gemeinsam die Gesamtstrategie und die „Fahrtrichtung“ des Unternehmens festlegen. Um die Bildung eines Elfenbeinturms zu verhindern, wechseln die Mitglieder des Strategiekreises regelmäßig.

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Zudem haben wir den Thesenbasar eingeführt, bei dem jede:r Innovationsthemen vorschlagen kann. Über diese wird abgestimmt – mit Händen und Füßen. Zustimmung erfolgt mit Handzeichen: Wer die Hand hebt und fünf Finger zeigt stimmt dem Vorschlag mit „Hell yeah“ zu, wer die Faust und somit Null Finger zeigt, sagt damit „Veto“. Ein Veto ist aber nicht gleichbedeutend mit einer Absage. Es bedeutet lediglich, dass der Rückhalt fehlt. Somit wäre ein Veto zumindest ein gewichtiger Grund für das Team, den eigenen Vorschlag nochmal zu überdenken. Bisher gab es übrigens noch kein Veto bei uns. Bei Entscheidungen und Abstimmungen über allgemeine Belange würde ich übrigens einen Mehrheitsentscheid nicht ausschließen – dazu kam es bisher jedoch noch nicht.

Es gibt Theorien, die besagen: Auch das Gehalt muss nicht immer eine einseitige Entscheidung seitens der Führungskräfte sein. Wir haben für uns jedoch noch keine passende Lösung dazu gefunden. Direkt nach unserer Reorganisation hatte sich ein „Talente-Team“ gegründet, das Antworten auf bestimmte Fragen finden wollte, die traditionell von Chef:innen gelöst werden. Dazu gehören zum Beispiel Feedback-Gespräche mit Mitarbeitenden, Einstellungen, Entlassungen und das Gehalt. Weil das Talente-Team feststellte, dass andere Themen höher priorisiert werden mussten – und hinter dem Gehalts-Thema nicht der größten Innovationsdruck steckt –, wurde das Projekt zunächst zurückgestellt. Aktuell gibt es aber wieder ein Team, das sich mit der Frage auseinandersetzt, wie wir zukünftig vielleicht doch selbstorganisiert über Gehalt bestimmen können.

Unsicherheiten gehören zur Entwicklung dazu

Die Umstellung von einem hierarchisch geprägten Unternehmen auf die komplette Selbstorganisation fällt nicht immer leicht. Die Abschaffung von Hierarchien kreiert meiner Erfahrung nach eine Art Machtvakuum, das mit Unsicherheit einhergeht. Sie bringt zunächst vielleicht auch ein Chaos mit sich, da sich neue Arbeitsweisen erst einpendeln müssen. So eine Situation unvorhersehbarer Entwicklung fühlt sich nicht immer toll an. Es ist genau das, was wir eigentlich intuitiv vermeiden möchten.

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Die Mitarbeitenden wissen kurzzeitig nicht mehr, woran sie sich orientieren sollen. Aber genau das ist der Moment, in dem organisationale Veränderungen und persönliches Wachstum zusammenfallen. Dann Halt in Regeln zu suchen ist ein absolut verständlicher Schritt – schließlich haben wir es vermutlich alle in unserem Leben nicht anders gelernt. Wer aber diesem Impuls widerstehen kann, beginnt selbst zu denken – und macht einen gewaltigen Schritt nach vorne. Persönlich und vielleicht auch als Unternehmen.

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Alexander Keller

=> Jedership – Warum Führung alle etwas angeht (www.jedership.com)
Wenn wir möchten, dass Menschen (Führungs-)Verantwortung übernehmen, dann müssen wir ein entsprechendes Umfeld schaffen und wir sollten die Menschen dabei auch etwas unterstützen. Einfach nur Rollen zu verteilen und darauf zu hoffen, dass Selbstorganisation schon von allein klappen wird, reicht einfach nicht aus.

Antworten
Christian

Ich habe leider doppelt solange gebraucht den Text zu lesen wie normal, da üerall gegendert wurde. Bei jedem Vertreter:innen kommt mein Lesefluss ins Stocken und ich muss mich beim Lesen stärker konzentrieren, um den inhalt zu begreifen.
ich würde mich freuen, wenn nicht mehr gegendert werden würde.

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