Einfach nichts übrig lassen vom Kuchen: Wie die Sharing-Economy unser Wirtschaftsgefüge zerstört [Kolumne]
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Teilen? Das war einmal. (Foto: Shutterstock)
Sharing-Economy 2021: Teilen war mal
Fahrer? Könnten bei Uber schon in wenigen Jahren nicht mehr gebraucht werden. (Foto: Uber)San Francisco im Jahr 2021: Vor rund einem Jahr sind selbstfahrende Autos von der KFZ-Behörde offiziell zugelassen worden, vom kurze Zeit später vorgestellten Google Car wurden seitdem rund 12.000 Stück verkauft, von Apples iCar rund 8.000. Vor drei Monaten hat Uber, ein Unternehmen mit mittlerweile 5,3 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz, die ersten 3.000 selbstfahrenden Taxis vom Stapel gelassen, seitdem ist die Zahl der Uber-Fahrer um rund 27 Prozent auf „nur“ noch 16.500 zurückgegangen. Die neue Konkurrenz wird von Uber nicht nur mit Rabatt angeboten, sie ist auch schneller und zuverlässiger als das bisherige Angebot. Die Maschine ist schneller und zuverlässiger als der Mensch.
Innerhalb von zwölf Jahren ist dem einstigen Startup damit gelungen, was etliche Großkonzerne seit Jahrzehnten so oft vergeblich versuchen: Sämtliche Konkurrenten und Mittelsmänner auszuschalten. Zunächst, in den Jahren 2009 bis 2020, hatte Uber der Taxi-Branche so lange zugesetzt, bis das letzte US-Taxi-Unternehmen im März 2020 schließlich Konkurs angemeldet hatte. Und jetzt, nach nur drei Monaten mit den selbstfahrenden Taxis, ist Uber drauf und dran, auch seine Fahrer auszubooten und so das Geschäft komplett an sich zu reißen. Partner? Braucht Uber nicht mehr. Von der Produktion der Autos bis hin zum eigentlichen Service hält der Konzern alle Fäden selbst in der Hand. Eine Dystopie? Vielleicht. Aber keine unrealistische.
Jedes Glied in der Kette profitiert vom anderen
Seit vergangenem Jahr schon gibt es immer wieder Gerüchte, Uber forsche an selbstfahrenden Autos, erst kürzlich hat The Verge nachgelegt und berichtet, Uber wolle dafür mit der Universität von Arizona kooperieren. Eine schlüssige Strategie, die das Unternehmen verfolgt, und eine, die offenlegt, was Disruption für manche Unternehmen bedeutet – und die zeigt, mit welchen Strukturen sich die Wirtschaft vielleicht schon in wenigen Jahren auseinandersetzen muss. „Uber ist teuer, weil du nicht nur für das Auto bezahlst, sondern auch für diesen Typen im Auto“, sagte CEO Travis Kalanick schon auf der Re/code-Konferenz im Mai 2014. „Aber wenn dieser Typ nicht mehr da ist, wird es billiger sein, ein Uber zu nehmen als ein eigenes Auto zu besitzen.“ Der Knackpunkt sei deshalb, die Kosten soweit zu senken, dass niemand mehr ein eigenes Auto haben wolle.„Uber ist teuer, weil du nicht nur für das Auto bezahlst, sondern auch für diesen Typen im Auto.“
Heute, im Jahr 2015, ist Wirtschaft oft noch ein Geflecht aus Produzenten, Zulieferern, Zwischenhändlern, Dienstleistern und Händlern. Jedes Glied in dieser Kette profitiert vom anderen, jedes Glied in dieser Kette ist auf die anderen angewiesen. Nun ist die These, dass Technologie und Automatisierung Arbeitsplätze vernichten, inzwischen oft genug widerlegt worden, doch natürlich würden durch Ubers Pläne zunächst einige Hunderttausend Fahrer ihren Job verlieren. Was Kalanick dazu sagt? Für ihn völlig in Ordnung. „So ist der Lauf der Welt, wenn Uber diesen Weg nicht gehen würde, würden wir nicht existieren.“
Eingespielte System geraten aus dem Gleichgewicht
Doch spinnen wir die Geschichte um Uber doch noch ein wenig weiter. Was ist mit anderen Startups der Sharing-Economy? Was ist mit Airbnb? Was wäre, wenn das 2008 gegründete Unternehmen anfinge, sich für den Immobilienmarkt nicht nur als Mittelsmann zu interessieren? Was, wenn das milliardenschwere Unternehmen anfinge, selbst Immobilien zu kaufen und damit all die Mieter und Wohnungsbesitzer auszubooten? Die Grundsätze der Sharing-Economy wären ad absurdum geführt, von Teilen wäre keine Rede mehr. Noch wirbt Uber mit dem Slogan „Werde dein eigener Chef“. Schon in wenigen Jahren könnte sich das erledigt haben.
Und was wäre, wenn sich etablierte Unternehmen diese Strategien abschauten und ebenfalls anfingen, den Wirtschaftskreislauf aufzuspalten und alle Teile der Produktionskette in die eigene Hand zu nehmen? Wenn Apple sein iPhone von der Idee bis zur Produktion selbst herstellen würde? Wenn die Pharmaindustrie oder die Lebensmittelproduzenten nicht mehr auf Zulieferer und Dienstleister vertrauen würde, sondern den kompletten Produktions- und Vermarktungsprozess an sich reißen würde? Die eingespielten Systeme, die sich zumindest teilweise durchaus bewährt haben, würden aus dem Gleichgewicht geraten.
Sharing-Economy „Metamorphose als Dauerzustand“
Die „Metamorphose als Dauerzustand“, mit der FAZ-Autorin Melanie Mühl die Sharing-Economy auf Nutzerseite beschrieben hat, würde sich in einem solchen Szenario auch auf die Wirtschaft übertragen. Ein halbwegs solider Status Quo, der Unternehmen für eine gewisse Zeit Stabilität und Planungssicherheit gewährt, würde in etlichen Branchen schon bald nicht mehr existieren. Und: Der Geldkreislauf, der ebenfalls zu einem guten Teil auf Stabilität beruht, würde aus dem Gleichgewicht geraten, Geld würde sich an monopolistischen Engstellen stauen und in Bereichen, die unter die Räder geraten, fehlen. Der Wirtschaftskreislauf, der auch im Dienstleistungssektor existiert, würde überhitzen.„Am Ende ist die Sharing-Economy nicht daran interessiert, dass die Lebensqualität steigt, sondern am Profit.“
Und die Mitarbeiter? Die Community? Sie müssten sich ständig auf neue Rahmenbedingungen einstellen. Das noch vor wenigen Monaten sichere Gehalt könnte schon morgen wegbrechen, der gerade erst angetretene Job vielleicht schon in wenigen Monaten nicht mehr existieren. Einzig die Konsumenten könnten profitieren, denn Produkte ohne Zwischenhändler können – in der Theorie zumindest – günstiger angeboten werden. Nur die Konsequenzen für diesen Vorteil sollten wir nicht aus dem Auge verlieren – und verlassen sollten wir uns darauf schon gar nicht. Unternehmen wie Uber oder Airbnb, ja – die Sharing-Economy an sich – sei, so der Publizist Evgeny Morozov, trotz aller Rhetorik am Ende nicht daran interessiert, die Weltwirtschaft dahingehend zu verändern, dass die Lebensqualität steigt, sondern am Profit.
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