Shitstorms 2011: Die größten Aufreger des Jahres

Shitstorms – was ist das eigentlich?
Was genau einen Shitstorm ausmacht, darüber gibt es sehr unterschiedliche Ansichten. Aus der PR-Sicht sind viele der allgemein als Shitstorm bezeichneten PR-Krisen eigentlich gar keine. Erst wenn der Anteil der unsachlichen, persönlichen Kritik die argumentative Kritik übertönt, sprechen sie von einem Shitstorm. Berechtigte Kritik von Kunden an einem Unternehmen oder einer Marke fällt demnach nicht darunter.
Allgemein betrachtet wird der Begriff aber sehr viel weiter gefasst. Alles was die Reputation eines Unternehmens, einer Marke oder einer Person schadet und über das Social Web eine Eigendynamik entwickelt und eine kritische Masse überschreitet, wird schnell als Shitstorm bezeichnet. Ob das immer gerechtfertigt ist, ist die andere Frage. Fakt ist: 2011 gab es sehr viele Shitstorms, die wir für euch noch einmal Revue passieren lassen wollen.
Die größten Shitstorms aus 2011
Gleich im Januar startete das Shitstorm-Jahr 2011 mit einer Auseinandersetzung zwischen dem Blogger René Walter und dem Internetdienstleister Euroweb.
Nerdcore vs Euroweb
Was war geschehen: René Walter hatte auf seinem Blog Nerdcore.de schlecht über die Arbeit von Euroweb geschrieben. Daraufhin bekam er erst eine Abmahnung und weil er darauf nicht reagierte auch noch eine einstweilige Verfügung. Seine Haltung änderte Walter auch nach einer gerichtlichen Vorladung nicht, zu der er in allem Überfluss auch nicht erschien. Das Landgericht Berlin sprach daher ein Versäumnisurteil aus und Walter hatte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Weil er Euroweb aber nicht die Gerichtskosten erstattete, ließ das Unternehmen die Domain Nerdcore.de schließlich pfänden.
Der Shitstorm: Das sorgte beinahe reflexartig für einen Shitstorm in der deutschen Blogoshäre, denn einer der ihren wurde ja offensichtlich angegriffen. Ob man das nun als gerechtfertigt oder nicht einstuft, bleibt jedem selbst überlassen. Nach dem Shitstorm standen jedenfalls beide Seite nicht wirklich gut da.
Der Ausgang: Die Denic entschied sich nur wenige Tage nach der Domainpfändung dafür, Nerdcore.de wieder an René Walter zurückzugeben. Die rechtlichen Hintergründe, die zur Rückgabe der Domain führten, erklärte Udo Vetter im Law Blog. Euroweb sah im Handeln der Denic einen Skandal und fragte: „Das Internet – eine rechtsfreie Zone?“. Da der Grund für die Pfändung mit der Zahlung der im Verfahren aufgelaufenen Kosten aber beseitigt wurde, war die Rückgabe der Domain zumindest moralisch vertretbar. Rein rechtlich gesehen handelte die Denic aber ohne Gerichtsbeschluss, was Euroweb monierte. Interessanter Nebenfakt: Der Schätzwert der Domain Nerdcore.de wurde im Pfändungsbeschluss lediglich auf 100 Euro festgelegt.
Unser Bericht zum Shitstorm Nerdcore vs Euroweb.
TelDaFax-Shitstorm: Beschwerden sind unerwünscht!

Social Media Fail à la TelDaFax
Was war geschehen: Wer heute eine Fanpage bei Facebook betreibt, muss damit rechnen, dass Kunden kommunizieren wollen. Das hat schon die Deutsche Bahn bei ihrem Chefticket erlebt und das galt im Februar auch für den einstigen Telefonanbieter und späteren Billigstromverkäufer TelDaFax. Doch die Mitarbeiter, die für die Facebook-Fanpage zuständig waren wollten die Fans lediglich unterhalten, informieren und auf verschiedene Themen aufmerksam machen.
Der Shitstorm: Auslöser war letztlich ein sehr flapsiger Post, der darauf hinwies, dass es für Beschwerden und Kundenanliegen ja andere Stellen geben würde.
Der Ausgang: Die Facebook-Fanpage von TelDaFax gibt es heute nicht mehr, genauso wenig wie das Unternehmen selbst. Die Gründe für die Beschwerden auf der Fanpage hatten in vielen Fällen sicherlich mit der Gesamtsituation von TelDaFax zu tun, die alles andere als rosig war. Es kam wie es wohl kommen musste: TelDaFax ging in die Insolvenz.
Unser Bericht zum Shitstorm TelDaFax.
Plagiatsaffäre Karl-Theodor zu Guttenberg
Was war geschehen: Der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg geriet in die Kritik, weil Auffälligkeiten in seiner Doktorarbeit gefunden wurden. Über „schlampige Arbeit“ und „abgeschriebene Passagen“ war da die Rede. Ein Ärgernis für den Minister mit dem Saubermann-Image, doch ernsthafte Folgen wurden für ihn erst durch die Online-Debatte ausgelöst.
Der Shitstorm: Wie groß der Anteil der abgeschriebenen Passagen wirklich war, wollten die Macher vom GuttenPlag Wiki offenlegen. Diese kolloborative Plagiatsdokumentation fand heraus, dass insgesamt 1218 Fragmente aus 135 Quellen für die Dissertation genutzt wurden. Als zu Guttenberg dann auch noch bei Facebook verkündete, er wolle über seine Doktorarbeit nur noch mit der Universität Bayreuth reden, war der Proteststurm nicht mehr aufzuhalten.
Der Ausgang: Am Ende des Shitstorms trat der Minister zurück. Der Doktortitel wurde ihm aberkannt und der Ex-Minister verabschiedete sich auf unbestimmte Zeit in die USA. Erst vor wenigen Wochen sorgte sein Buch „Vorerst gescheitert“ für Aufsehen, weil zu Guttenberg darin mit der CSU abrechnete. Dennoch scheint eine Rückkehr in die deutsche Politik schon bald möglich, denn CSU-Parteichef Horst Seehofer buhlt momentan aktiv um die Dienste des Ex-Verteidigungsministers.
Übersicht zum Shitstorm Guttenberg.
Pril schmeckt lecker nach Hähnchen
Was war geschehen: Eigentlich hatte die Marke Pril aus dem Hause Henkel eine schöne Idee. Sie wollte per Crowdsourcing eine limitierte Auflage des Geschirrspülmittels entwerfen, die garantiert den „Geschmack“ der Kunden trifft. Die nahmen das aber etwas zu wörtlich und voteten unter den eingegangenen Vorschlägen eher kuriose Entwürfe wie „Schmeckt lecker nach Hähnchen“ an die Spitze.
Der Shitstorm: Bis dahin war alles noch sehr lustig, doch Pril bestand auf seine Regeln. Eine Jury sollte bestimmen, welche Vorschläge zur Marke passten und da war schnell klar, dass es die Spaßversionen bei aller Begeisterung nicht schaffen würden. Damit die Top 10 nicht von Satire überflutet wurden, ließ man „unpassende“ Entwürfe dann bald gar nicht mehr zu. Zudem wurden angeblich gefakte Votes bereinigt. Der eigentlich führende Vorschlag wurde letztlich von der Jury aussortiert und es gewannen „Mr. Pril“, ein Etikett im Anzugs-Design und „Prrrrrrril – tierisch gut drauf!“, eine Flasche im Leoparden-Look. Da diese beiden Vorschläge aber die wenigsten Stimmen aus den eigentlichen Top 10 hatten, fühlten sich die Teilnehmer verschaukelt und machten ihrem Ärger Luft.
Der Ausgang: Henkel zog den Pril-Design-Wettbewerb durch und beharrte auf der Aussage, man müsse eine Edition produzieren, die im Handel auch Akzeptanz finden würde. Die beiden siegreichen Editionen gingen im Oktober in Produktion. Ein bisschen beeindruckt war man von der Resonanz auf die Satire-Versionen wohl doch und produzierte 111 Flaschen mit dem Internetmeme „Rage Guy“ und verloste sie hier bei Facebook.

Pril-Shitstorm: Wie man unter den Designvorschlägen erkennen kann, landeten die beiden als Sieger gekürten Flaschen in der Gunst der Teilnehmer nur auf den Plätzen 9 und 10.
Unser Artikel zum Pril-Shitstorm.
WWF-Shitstorm: Wir machen um 18 Uhr Feierabend
Was war geschehen: Eigentlich traf den WWF sogar ein doppelter Shitstorm. In einer TV-Dokumention vom WDR wurde die Umweltorganisation zunächst hart kritisiert. Dabei ging es vor allem um enge Verflechtungen zur Wirtschaft durch die der WWF der Umwelt sogar Schaden zufüge – alles finanziert durch Spenden.
Der Shitstorm: Als wäre das nicht schon genug, sorgte die mangelhafte Kommunikation auf der Facebookseite für weiteren Zündstoff. Man wollte die kritischen Diskussionen auf eine Website außerhalb von Facebook verlegen und verwies zudem noch auf die Öffnungszeit zwischen 8 und 18 Uhr. Das wurde dann neben der ursprünglichen Thematik heftig kritisiert, zumal der WWF von der WDR-Doku im Vorfeld wusste.
Der Ausgang: Der WWF Deutschland sorgte mit einem umfangreichen Faktencheck für Aufklärung und nahm darin ausführlich Stellung zu den Vorwürfen aus der WDF-Dokumentation. Außerdem stellte man sich in einem Forum den Fragen. Nach etwa vier Wochen ebbte dort der Ansturm merklich ab und das Forum wurde wieder geschlossen. Für den 7. September lud der WWF Deutschland dann noch die aktivsten Kritiker zu einer offenen Diskussionsrunde nach Berlin ein.
WWF-Shitstorm: Warum Krisenkommunikation nicht um 18 Uhr enden sollte – t3n News
Photoshop-Panne: Die Sparda-Bank und die „schwarzgelbe Karte“
Was war geschehen: Die Sparda-Bank West wollte mit einer Anzeige im Stadionblatt von Borussia Dortmund für ein Produkt mit dem Namen „schwarzgelbe Karte“ werben. Auf der ganzseitigen Anzeige war ein BVB-Fan zu sehen, der die Menge mit einem Megafon in Stimmung versetzte. Der peinliche Fehler: Auf dem Megafon war ein Aufkleber der Ultras aus Gelsenkirchen, dem Erzfeind der Borussen.
Der Shitstorm: Das offensichtlich per Photoshop bearbeitete Bildmaterial wirbt im Stadionheft des BVB mit Fans von Schalke 04. Darüber lachen sicherlich nur Unbeteiligte, für die Fans von Borusssia Dortmund war das ein unverzeihlicher Fehler, der in einen Shitstorm mündete.
Der Ausgang: Die Sparda-Bank gehört auch aktuell noch zum Sponsorenpool von Borussia Dortmund und bietet auch die „schwarzgelbe Karte“ weiterhin an. Auf der Facebook Fanpage entschuldigte man sich für den Vorfall und versprach die Bildauswahl noch genauer und sorgfältiger zu prüfen. Da auch keine kritischen Kommentare gelöscht wurden, ebbte der Shitstorm wieder ab.
Bericht zum Sparda-Bank-Shitstorm.
Schlecker: For You. For Ort.
Was war geschehen: Eigentlich wollte sich die Drogeriekette Schlecker mit einem neuen Claim modern geben und dabei eine emotionale Nähe zur nachbarschaftlichen Zielgruppe schaffen. Herausgekommen ist dabei der Claim „For You. Vor Ort.“, der dann von vielen Seiten belächelt und kritisiert wurde.
Der Shitstorm: Zu einem Shitstorm entwickelte sich die Geschichte aber erst mit einer öffentlichen Diskussion über die Hintergründe des Claims. In einem persönlichen Brief an den Verein für Sprachpflege bezog Schlecker Stellung und verteidigte den Claim mit dem „niedrigen bis mittleren Bildungsniveau der Zielgruppe“. Der Brief wurde schließlich bei Facebook veröffentlicht und die besagte Zielgruppe fand das natürlich gar nicht witzig.
Der Ausgang: Mit einem abschließenden Blogpost erklärte Schlecker die Diskussionen um den Claim und dessen Hintergrund zu einem Missverständnis, das durch einen „unglücklich formulierten Brief“ des Pressesprechers ausgelöst wurde. Schlecker versicherte den Kunden, man würde sie keinesfalls für „dumm“ oder „unterbelichtet“ halten. Auf der Facebook-Fanpage gab es dazu noch einige kritische Stimmen, die dann aber spätestens mit den nächsten Gewinnspielen wieder verstummt waren.
Übersicht zum Schlecker-Shitstorm.
Adidas und die Tierquälereien in der Ukraine
Was war geschehen: Die Ukraine, neben Polen Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft 2012, hatte beschlossen die heimischen Straßen von herrenlosen, streunenden Hunden und Katzen zu „säubern“. Nach Berichten von Tierschützern sind die dafür angewendeten Methoden grausam. Sie sprechen von massenhaften Verbrennungen lebendiger Tiere und organisieren den Protest.
Der Shitstorm: Da sich das Social Web für einen Protest gegen ein Land eher schlecht eignet, wurden kurzerhand die EM-Sponsoren instrumentalisiert. Im Mittelpunkt stand dabei die Facebookseite des Sportartikelherstellers Adidas, als einer der größten Sponsoren. Schnell kam es dabei zu Boykottaufrufen für Adidas-Produkte. Der gesamte Protest wurde dadurch zu einem Shitstorm für Adidas.
Der Ausgang: Auf Druck der Sponsoren und der UEFA haben die Behörden in der Ukraine versprochen, die Tötung von Hunden sofort zu stoppen. Auch wenn damit noch nicht absolut sicher ist, dass die Tierquälereien auch tatsächlich abgestellt sind, rückten die EM-Sponsoren aus dem Zentrum der Kritik.
In einem Gastbeitrag hat Tapio Liller die Hintergründe dieser organisierten Shitstorms beleuchtet.
Wie lange wirken Shitstorms nach?
Ein Shitstorm gilt als PR-GAU und ist sicherlich sehr unangenehm für die Betroffenen. Doch wie lange hält diese Art der Negativ-PR eigentlich an? Gibt es einen langfristigen Schaden für die Reputation? Natürlich bleibt immer etwas hängen, aber wirklich überdauernde Reputationsschäden sind eher die Ausnahme. Man erinnert sich zwar noch an die Shitstorms der vergangenen Jahre und spätestens bei erneuter Kritik werden sie auch wieder an die Oberfläche geholt, aber der Spruch „Das Internet vergisst nichts!“ sollte man hier nicht zu wörtlich nehmen.
Natürlich findet man die Berichte über Shitstorms aus den vergangenen Jahren auch heute noch, aber in der Regel eben nicht mehr bei eine allgemeinen Suche nach der beteiligten Marke oder dem Unternehmen. Anders könnte das bei Personen wie Politikern sein. Als Karl-Theodor zu Guttenberg in den letzten Wochen wieder vermehrt in die Öffentlichkeit trat und ihn die EU als Berater anstellte, war der Shitstorm um seine Doktorarbeit plötzlich wieder präsent.
Zudem gehört „Shitstorm“ zu den Begriffen, die schon fast inflationär benutzt werden. Was früher noch als Kritik begriffen wurde, ist heute dann oft schon ein Shitstorm. Das wird wohl auch 2012 nicht anders sein.
Welche Shitstorms aus 2011 sind denn bei euch noch hängengeblieben?