100 Millionen Dollar – Startup kauft Fabrik in Thüringer Dorf

Tech-Fieber in Eisfeld. (Foto: Harrys)
Eisfeld, Thüringen. 5.700 Menschen leben hier. Viele von ihnen arbeiten in der örtlichen Porzellan- und Feinindustrie. Es gibt ein kleines Schloss, ein paar Museen und viel Fachwerk. Nichts scheint die Ruhe in der beschaulichen Kleinstadt zu stören – bis vor kurzem. Da kauft ein US-amerikanisches Startup eine 93 Jahre alte Fabrik im Seeweg Nummer 4. Der Preis: 100 Millionen US-Dollar.
Käufer ist das US-amerikanische Startup „Harry’s“. Es verkauft Rasierklingen im Internet. Was auf den ersten Blick nicht sonderlich spannend klingt, entpuppt sich auf den zweiten Blick als ambitionierte Mission: Das von den New Yorkern Andy Katz-Mayfield und Jeffrey Raider gegründete Startup will nämlich nicht weniger als den durchweg von Gillette und Wilkinson-Sword dominierten Markt für Rasierklingen aufmischen. Beide Konzerne kontrollieren schätzungsweise rund 85 Prozent des Marktes, das entspricht einem Volumen von etwa zwei Milliarden Dollar. Auch etliche Produktionsstätten sind in fester Hand der Marktführer.„Zwei Konzerne kontrollieren 85 Prozent des Marktes.“
Wie also kann es einem erst wenige Monate alten Startup gelingen, der schier übermächtigen Konkurrenz auf die Füße zu treten? Ein Ansatz ist der Verkauf von Rasierklingen ausschließlich über das Netz. Das spart Kosten. Doch wer einen Markt wirklich umkrempeln will, muss mehr als nur den besten Preis bieten. Es geht auch um Qualität, eine starke Marke und viel Unabhängigkeit – und dafür kommt man an der Macht über die Produktion nicht vorbei.

Die Feintechnik-Fabrik in Eisfeld: Ein US-Startup legte 100 Millionen US-Dollar auf den Tisch. (Foto: Harry’s)
So schmieden die „Harry’s“-Gründer schon Pläne für den Bau einer eigenen Fabrik, aber das Projekt ist schnell zum Scheitern verurteilt – die hochgerüsteten Maschinen sind einfach zu teuer. Eine bestehende Fabrik muss her. Ein schwieriges Unterfangen – einerseits, weil nur wenige Manufakturen auf die Herstellung der hochwertigen Fünf-Klingen-Rasierer, die im Zentrum von Harry’s Produktportfolio stehen, spezialisiert sind. Andererseits, weil es eben kaum Fabriken gibt, die nicht unter der Kontrolle von Gillette oder Wilkinson-Sword stehen.
Nach Monaten der intensiven Suche werden Katz-Mayfield und Raider schließlich fündig. Nicht in Kalifornien, nicht in England, nicht irgendwo in Asien. Die Wahl fällt auf eine Fabrik in der thüringischen Provinz, genauer gesagt in Eisfeld. Dort produziert die Feintechnik GmbH seit 1920 Rasierklingen „von höchster Präzision“. Der entscheidende Tipp? Kommt aus einem Internetforum.
Im Sommer 2013 fliegen die Harrys-Gründer Katz-Mayfield und Raider schließlich nach Deutschland und handeln mit Heinz Dieter Becker, dem Geschäftsführer von Feintechnik, einen Deal aus: 100 Millionen US-Dollar für die Übernahme der Fabrik – Maschinen und Mitarbeiter inklusive. Dafür bekommt das US-amerikanische Startup finanzielle Unterstützung von Investoren. Mit Highland Capital, Tiger Global und Thrive Capital stehen plötzlich Venture-Kapital-Firmen vor den Toren Eisfelds, die schon in Zynga, Instagram oder Kickstarter investiert haben. Sie stellen den Harry’s-Gründern einen Scheck über 122 Millionen US-Dollar aus. 100 Millionen fließen an die Besitzer der Fabrik, der Rest geht für die Erweiterung der noch rar gesäten Produktpalette von Harry’s drauf.„Plötzlich stehen die Instagram-Investoren vor den Toren von Eisfeld.“
Für das US-amerikanische Startup scheint sich das Engagement in Eisfeld jedenfalls schon gelohnt zu haben. „Jetzt kontrollieren wir die ganze Wertschöpfungskette“, verkünden die Gründer spürbar stolz auf ihrer Webseite. Sogar vom „ersten Unternehmen, das seine Rasierklingen direkt an seine Kunden vertreibt“ ist die Rede. Die Euphorie ist spürbar groß, auch weil das Startup jetzt profitabel ist – denn wo der einstige Wachstumskurs zu Verlusten führte, schreibt Feintechnik schwarze Zahlen. Da stört auch die Personalexplosion beim Startup nicht. Dank der Übernahme hat Harry’s jetzt 400 Mitarbeiter. Zehn mal mehr als vorher.
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…wenn die jetzt auch noch in Deutschland liefern würden…
Von „verschlafen“ kann man bei Eisfeld nun nicht gerade reden und in einer Provinz liegt Eisfeld nun auch nicht – um das mal richtig zu stellen!