Studie entlarvt Fokuszeit-Mythos: Wer Ruhe sucht, wird unkonzentrierter
Ruhe, Konzentration – keiner stört: Das ist der Traum von Stillarbeit. Nicht alle teilen ihn, aber manche schwören auf diese Fokuszeit. Aus früheren Studien wissen wir: Unterbrechungen führen zu Fehlern und sie lösen Stress aus. Ruhige, echte Arbeitszeit könnte die Lösung sein. Doch Organisationspsychologinnen berichten nach einer Studie: Die Fokuszeit hat Kosten. Und auch die sind relevant.
Jette Völker und Julia Iser-Potempa von der Universität Mannheim wollten wissen, welche Konsequenzen der soziale Rückzug hat. Dafür haben sie über zwei Arbeitswochen hinweg mehr als 200 Menschen dreimal am Tag befragt. Im „European Journal of Work and Organizational Psychology“ berichten sie von ihrer Arbeit – und den durchaus überraschenden Ergebnissen.
Passionierte Stillarbeitende würden erwarten, dass sie konzentriert, zufrieden, gelassen und ein wenig stolz aus der Ruhezeit auftauchen. Die Ergebnisse sind besser, die Konflikte werden weniger und hinter ihnen liegt eine Zeit hoher Konzentration. Kleiner Spoiler: Das haben die Forscherinnen nicht beobachtet. Aber immerhin können wir eine Lösungsstrategie ableiten, mit der Teams, Führungskräfte, aber auch Einzelne ihren Tag viel besser gestalten können.
Wie können wir gut arbeiten?
Grundidee des Forschungsprojekts ist ein Modell, das beschreibt, wie Menschen klarkommen, wenn die Bedingungen nicht ideal sind – also immer. Nach dem SOC-Modell setzen wir dabei dabei Selection, Optimization und Compensation in ein vernünftiges Verhältnis. Auf die Arbeit bezogen bedeutet das:
- Auswahl von Zielen: Bis 11 Uhr will ich eine Entwurfsfassung der Präsentation haben. Das ist für den Moment wichtiger als andere Aufgaben.
- Optimierung von Ressourcen: Das gelingt mir am besten, wenn ich nicht erreichbar bin, meine Aufmerksamkeit also nicht aufteilen muss.
- Kompensation von Problemen: Im Büro würde ich ständig unterbrochen werden und das ruiniert gleichermaßen Konzentration, Leistung und Stimmung. Also fahre ich da gar nicht erst hin.
Die Grundidee ist also: Wir arbeiten nie unter idealen Bedingungen. Aber wir sind schlaue Wesen und wir können eine Strategie entwickeln, mit der wir unproduktive Umstände ausgleichen können. Völker und Iser-Potempa wollten in ihrer Untersuchung herausfinden, wie gut ihre Testpersonen das machen und ob sie sich dann tatsächlich besser konzentrieren können und am Abend gelassener sind.
Einsam, unkonzentriert und nicht einmal gelassen
Die Nachteile der Stillarbeit überwiegen die Vorteile, berichten die Forscherinnen nach ihrer Auswertung. Als besonders wichtigen Faktor nennen sie die Einsamkeit. Das Gefühl an sich ist schon negativ. Dazu kommt, dass die Einsamkeit auf die Gelassenheit drückt und wahrscheinlich sogar dazu führt, dass ausgerechnet jene, die sich für mehr Konzentration zurückgezogen hatten, sich schlechter konzentrieren können. Dies schade zudem dem Austausch im Team, koste soziales Kapital und könne das Vertrauen untergraben, schreiben die Autorinnen. Hierin stecke auch das Potenzial für größere emotionale Erschöpfung.
Um diesen Effekt zu vermeiden, raten Völker und Iser-Potempa dazu, im Team offener zu kommunizieren. Dies könne Stillarbeit ermöglichen, ohne dass die sozialen Kosten die einzelnen Mitarbeitenden und das Team belasten. Geeignet sei eher eine Mischform aus Interaktion und Stillarbeit, die in einer Kultur von hoher Autonomie und geringer Neigung zu Konflikten ausgestaltet wird.
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Stimmung schlägt Isolation
Gemessen wurde auch serenity, was wir mit heiterer Gelassenheit übersetzen könnten. Ich nenne das Gefühl: die Zufriedenheit, mit etwas fertig zu sein und sich dem Privatleben zuwenden zu können. Doch wer Interaktionen mit anderen vermied, um sich besser auf die Arbeit konzentrieren zu können, dem fehlte diese Gelassenheit mit größerer Wahrscheinlichkeit. Ergänzend sollte man aber erwähnen, dass Menschen, die sich tagsüber zurückzogen, schon eher schlecht gelaunt in den Tag gestartet waren. Wir können also mindestens sagen: Stillarbeit hat dann auch nicht getröstet.
Spannend ist dagegen der Zusammenhang zwischen der heiteren Gelassenheit und der Fähigkeit, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren. Die war durchaus positiv. Umgekehrt war die Konzentration schlechter bei denen, die ihre Kolleginnen und Kollegen mieden.
Wir können also sagen: Gute Stimmung wirkt sich besser auf die Konzentration aus, als die Suche nach einer Ruhezone. Vielleicht müssen wir also nicht nach Ruhe suchen, wenn wir uns den wichtigen und dringenden Aufgaben zuwenden wollen. Vielleicht ist es die Aufmunterung in Gesellschaft, die uns dabei viel besser dient.
Bei Fokuszeit geht doch eher darum sich als gefragter Mensch konkret Zeit einzuplanen für eigene Vorhaben. Das macht nicht für alle Sinn. Das hat für mich nicht unmittelbar mit Isolation zu tun.