Die Psychologie der Desinformation: Wenn Rechthaben nicht das Ziel ist
Manche Menschen wollen gar nicht die Wahrheit kennen – sagt eine Studie. (Foto: Voyata/Shutterstock)
Es ist eine der frustrierendsten Erfahrungen im digitalen Diskurs: Man widerlegt eine offensichtliche Falschmeldung mit unumstößlichen Fakten, doch die Gegenseite beharrt nicht nur auf ihrer Position, sondern scheint sich darin sogar zu bestärken. Was lange als reine Ignoranz oder ideologische Verblendung galt, erhält durch eine neue Studie eine tiefere, psychologische Erklärung. Die Kernbotschaft: Für einen bestimmten Typ Mensch geht es nicht darum, recht zu haben, sondern darum, durch das Festhalten an einer Unwahrheit einen symbolischen Sieg zu erringen.
Die Studie wurde im Journal of Social Psychology veröffentlicht und von den Psychologen Randy Stein und Abraham Rutchick von der California State University geleitet. Wie Ars Technica in einer Analyse berichtet, identifizierten die Forscher:innen in einer Befragung von über 5.500 Personen in acht Ländern einen Faktor, der den Glauben an Fehlinformationen stärker vorhersagte als politische Zugehörigkeit oder Denkstil. Sie nennen dieses Phänomen „Symbolic Show of Strength“ (SSS), was sich am besten als „Symbolische Machtdemonstration“ übersetzen lässt.
Der psychologische Krieg im eigenen Kopf
Personen mit dieser Denkweise betrachten demnach Themen wie die Corona-Pandemie oder Kryptowährungen nicht primär auf einer sachlichen, sondern auf einer symbolischen Ebene. Jede Handlung, jede Information wird danach bewertet, ob sie als „Nachgeben“ gegenüber einem äußeren Einfluss oder als Akt der Stärke und Unabhängigkeit interpretiert werden kann. Das bewusste Ignorieren von Fakten und das Beharren auf einer widerlegten Behauptung wird so zu einer Machtdemonstration.
Es ist ein Signal an das Gegenüber, dass man sich nicht beeinflussen lässt. Die eigentliche Wahrheit der Aussage wird dabei irrelevant. Je offensichtlicher die Unwahrheit, desto größer ist der Akt des Widerstands und damit der gefühlte psychologische „Sieg“. Die Studie zeigt zudem eine beunruhigende Korrelation: Diese Denkweise war stark mit autoritären Einstellungen und der Befürwortung autokratischer Regierungsformen verbunden.
Die Grenzen des klassischen Faktenchecks
Diese Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf die Wirksamkeit von Faktenchecks. Für Menschen, die in diesem symbolischen Kampfmodus operieren, ist ein Faktencheck kein Korrektiv, sondern lediglich eine Reaktion des „schwachen“ Gegners. Die Richtigstellung beweist ihnen nur, dass sie die Gegenseite zu einer Reaktion gezwungen und somit die Deutungshoheit im psychologischen Krieg errungen haben.
Das Phänomen wird durch das digitale Umfeld oft noch verstärkt. Wie Analysen immer wieder zeigen, erhöht parteiische Voreingenommenheit die Tendenz, Nachrichten zu glauben, die zur eigenen Haltung passen. Das Teilen dieser Informationen in sozialen Netzwerken dient dann weniger der Aufklärung als vielmehr der Stärkung der eigenen Gruppenidentität – ein Loyalitätssignal an die Gleichgesinnten.
Die Herausforderung für Gesellschaft und Plattformbetreiber:innen liegt also tiefer als bisher angenommen. Es reicht nicht aus, lediglich richtige Informationen bereitzustellen, wenn die eigentliche Motivation für das Glauben an Falschinformationen in dem Bedürfnis nach Abgrenzung, Stärke und Gruppenzugehörigkeit liegt. Solange diese psychologischen Bedürfnisse nicht verstanden und adressiert werden, dürfte der Kampf gegen Desinformation einem Kampf gegen Windmühlen gleichen.
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass präventive Ansätze wie das sogenannte „Prebunking“, also die Vorab-Aufklärung über typische Manipulationsstrategien, wirksamer sein könnten als das nachträgliche Korrigieren. Denn wer die Mechanismen der psychologischen Kriegsführung durchschaut, ist möglicherweise weniger anfällig dafür, unbewusst zum Soldaten in einem Kampf zu werden, bei dem die Wahrheit das erste Opfer ist.
A propos psychologische Kriegsführung: Die Erwähnung von Corona und Krypto, wie nebenbei eingestreut und doch offensichtlich suggerierend dass diese Dinge „irgendwie dazugehören“ zu dem, an dem Menschen festhalten, gehört da auch dazu. Dass es für die „Gegenseite“ auch „unumstößliche“ Fakten gibt, bleibt dann auf der Strecke. Das Ziel darf doch nicht sein, jemanden zu überzeugen, sondern Neugierde zu ermöglichen und einzuladen. Natürlich wird dieser Effekt eintreten. Vielleicht ist also der Apell angebracht, nicht mehr die „absolute Wahrheit“ verbreiten und für sich beanspruchen zu müssen, sondern einzugestehen, dass es möglich ist, dass man nicht alles weiß, und wissen kann. Eine Erinnerung daran, dass das Wort Medium nicht bedeutet, die Wahrheit zu kennen, sondern Informationen zu vermitteln – nicht mehr, nicht weniger. Die Verantwortung liegt meiner Meinung nach darin, genau dies wieder „gesellschaftsfähig“ zu machen, und kritisches Denken zu fördern, anstatt es den Menschen abnehmen zu wollen. Dazu gehört auch, ALLE Informationen zu vermitteln. Lasst uns doch mal weniger Angst vor Diskurs haben.