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MIT Technology Review Feature

The Boys Club: Wie Männer das Silicon Valley prägen

Die Geschichte der großen Technologieunternehmen beruht auf einem eng geknüpften sozialen Netzwerk weißer Männer. Das steht noch heute einer Erneuerung im Weg.

Von MIT Technology Review Online
15 Min.
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USA 1955: Eine weibliche Angestellte sortiert Lochkarten. An der Konsole des IBM-Großrechners 707 III, der von der US-Armee betrieben wird, sitzt ein Mann. (Bild: Archive Photos/Getty Images)

Über ein Jahrzehnt ist vergangen, seit Ellen Pao eine Klage wegen sexueller Diskriminierung gegen ihren Arbeitgeber eingereicht hat, den Silicon-Valley-Investor Kleiner Perkins. Kurze Zeit später kam es zu den toxischen, frauenfeindlichen Vorfällen im Rahmen der Gamergate-Affäre, gefolgt von #MeToo-Skandalen und weiteren Enthüllungen über das Fehlverhalten mächtiger Männer aus der Techbranche. All dies löste eine überfällige öffentliche Abrechnung mit dem in der Branche vorherrschenden Sexismus, Rassismus und der mangelnden Diversität an der Spitze von Hightechfirmen aus. Und mit welchem Ergebnis?

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Viele raffiniert gestaltete Diversity-Berichte und Zehntausende Grace-Hopper-Kaffeebecher später haben sich eigentlich nur die Größe und der Reichtum des Technologiesektors verändert. Selbst als sich der Markt im Jahr 2022 insgesamt rückläufig entwickelte, erreichte die Marktkapitalisierung der fünf größten Technologieunternehmen zusammengenommen fast acht Billionen US-Dollar. Doch trotz des großen Reichtums der Branche und des lautstarken Engagements der Unternehmen für die Rechte von Frauen, LGBTQ+-Personen und ethnischen Minderheiten ist die Technologiebranche nach wie vor überwiegend eine Welt der weißen Männer.

Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 8/2022 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr das Heft als Print- oder pdf-Fassung bestellen.

Der Anteil von Frauen in technischen Positionen in großen Unternehmen ist zwar höher als früher, liegt aber immer noch bei schmerzhaft niedrigen 25 Prozent. Es gibt zwar immer mehr Programmierschulen für Angehörige marginalisierter Geschlechter und die Zahl der Forscherinnen in einigen hochkarätigen Informatikprogrammen ist gestiegen. Doch insgesamt bleibt der Frauenanteil niedrig und die Fluktuation hoch, was insbesondere für schwarze Frauen gilt.

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Eine aktuelle Umfrage der Unternehmensberatung Deloitte ergab, dass die Mehrheit der Frauen in der Branche ihre Karriereaussichten pessimistischer einschätzt als vor der Pandemie. Nahezu sechs von zehn Frauen erwarteten, dass sie aufgrund der unzureichenden Vereinbarkeit von Beruf und Familie den Arbeitsplatz wechseln würden. Mehr als 20 Prozent zogen in Erwägung, die Technologiebranche ganz zu verlassen.

Selbst für die wenigen, einst gefeierten erfolgreichen Technologie-Frauen in den Vorstandsetagen des Silicon Valley hat sich das Blatt gewendet. Sheryl Sandberg kündigte im Juni ihren Rücktritt an, Elizabeth Holmes muss wegen Betrugs als CEO von Theranos in Haft. Bei Amazon, Apple, Google und Microsoft ist der Staffelstab des CEO von einem Mann zum anderen übergegangen. Der #girlboss-Moment – eine kurze Phase, in der erfolgreiche Business-Frauen gefeiert wurden – ist erneut dem Bild vom betont männlichen Techmogul gewichen, wie es etwa von Jeff Bezos gelebt wird, der mit Raumanzug und Cowboyhut in einer phallischen Rakete in den Himmel aufsteigt.

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Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA, mit der das Urteil Roe v. Wade aufgehoben wurde (eine Grundsatzentscheidung des Obersten US-Gerichtshofs zum Abtreibungsrecht, Anm. d. Red. ), gehörten große Technologieunternehmen zwar zu den ersten, die ankündigten, dass sie die Kosten für Mitarbeiter übernehmen würden, die in einen anderen Bundesstaat reisen müssten, um eine Schwangerschaft zu beenden. Sie nahmen jedoch keine Stellung zu dem Urteil selbst. Meta riet den Mitarbeitern davon ab, in Unternehmensforen darüber zu sprechen, und schränkte sogar die Sichtbarkeit von Social-Media-Posts von Sandberg ein, in denen sie die Entscheidung beklagte. Die Unterstützung für Abtreibungsrechte und für die Frauen, die dafür eintreten, war begrenzt.

Natürlich gilt das nicht nur für die Technologiebranche, sondern auch für andere amerikanische Unternehmen. Frauen, insbesondere schwarze Frauen, sind in den Führungsetagen aller Branchen nach wie vor stark unterrepräsentiert. Aber es war gerade die Techbranche, die versprochen hatte, anders zu denken, die Welt zu verändern und Geld zu verdienen, ohne „böse“ zu sein. Doch ausgerechnet aus dem IT-Bereich sind Frauen offenbar besonders effektiv herausgedrängt worden.

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Denn Softwareprogrammierung war einst ein Beruf, der fast ausschließlich Frauen vorbehalten war. Noch 1980 waren 70 Prozent der Programmierstellen im Silicon Valley mit Frauen besetzt. Dieses Verhältnis hat sich völlig umgekehrt. 1986 waren 36 Prozent der Bachelor-Absolventen in Informatik Frauen. Diesen Wert hat der Frauenanteil nie wieder erreicht.

Viele Faktoren haben zu dieser Verschiebung beigetragen: die Bildungswege, die Stereotypen der Technikfreaks, das langjährige und enthusiastische Vertrauen der Branche in die Einstellung durch Empfehlungen von Mitarbeitern und die ermüdend hartnäckige Fiktion von Technik als geschlechtsblinde „Leistungsgesellschaft“. Kein einzelner Faktor erklärt sie vollständig, aber zusammen ergeben sie ein Muster.

Genau genommen gab es nie wirklich ein goldenes Zeitalter für Frauen in der Technologiebranche. Wenn ein Job weiblich dominiert war, wurde er oft schlechter bezahlt und weniger wertgeschätzt und galt als leicht ersetzbar. Wenn Frauen die gleichen Tätigkeiten wie Männer ausübten, betrachtete man sie als Kuriosität, als Ausreißer in einer von Männern dominierten Unternehmenswelt.

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1935 machte IBM-Chef Thomas Watson Sr. eine große Show daraus, 35 frischgebackene Hochschulabsolventinnen als erste Klasse von „Systemservice-Frauen“ seines Unternehmens einzustellen, die neue Kunden technisch unterstützen sollten. Auch Männer bekamen diese Stellen, aber nur die Frauen wurden in der ersten Woche wie Debütantinnen mit Blumensträußen und einem von Watson organisierten Tanzabend begrüßt.

Die Frauen, die in den 1940er-Jahren in Computerprojekten für den Krieg arbeiteten (um zum Beispiel ballistische Probleme numerisch zu lösen, Anm. d. Red.), wurden zunächst „Operatoren“ genannt, weil sich ihre Aufgaben scheinbar kaum von denen der Frauen unterschieden, die in den Telefonzentralen der Nation saßen. Als in den frühen 1950er-Jahren die ersten Compiler (ein Compiler übersetzt eine für Menschen verständliche Programmiersprache in konkreten Maschinencode für den Computer, Anm. d. Red.) aufkamen – eine Technologie, die von einer Frau, der Mathematikerin Grace Hopper, erfunden wurde – wurden die Arbeiterinnen zu „Codern“. Ein Wort, das das hartnäckige Missverständnis widerspiegelt, Programmieren sei etwas Mechanistisches, praktisch Stenografisches.

Etwa zur gleichen Zeit bauten die IBM-Führungskräfte Großrechner in der Lobby des Hauptsitzes in New York City auf und stellten Programmiererinnen ein, die im Blickfeld der Passanten arbeiten sollten. Auf diese Weise, so erklärte ein Vorgesetzter einer weiblichen Anwerberin, „sehen die Maschinen einfach aus, und Männer werden sie kaufen“.

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In der Zwischenzeit warben die Unternehmen aggressiv um technisch versierte Männer und versprachen gute Gehälter und Aufstiegschancen. In den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren wimmelte es in den nach Geschlechtern getrennten Stellenanzeigen nur so von Annoncen, die männliche Ingenieure mit Versprechungen wie „Ihr eigener Enthusiasmus und Ihr berufliches Wachstum sind die einzigen Grenzen für eine Zukunft ohne Grenzen“ lockten. Die wenigen Frauen, die in dieser Zeit in leitende technische Positionen aufstiegen, arbeiteten oft für militärische Einrichtungen oder bei der NASA, wo klar kodifizierte Beförderungsstandards Frauen besser vor den Launen der Manager schützten.

Während Frauen in technischen Berufen hauptsächlich in großen Organisationen blieben, verließen männliche Ingenieure allmählich die akademische Welt und das Unternehmensleben, um ihre eigenen Unternehmen zu gründen. Dieses unternehmerische Modell erreichte seinen Höhepunkt im Santa Clara Valley in Nordkalifornien.

An der Stanford University ausgebildete Ingenieure hatten seit den 1930er-Jahren in örtlichen Garagen und stillgelegten landwirtschaftlichen Gebäuden Unternehmen gegründet, aber erst in den 1950er-Jahren wurde das Tal zu einem technischen Kraftzentrum. Die Ausgaben für den Kalten Krieg veränderten Stanford, füllten das Tal mit Rüstungsunternehmen und förderten das Wachstum einer neuen Gruppe von Silizium-Halbleiter-Start-ups. Diese Firmen gaben dem Silicon Valley seinen Namen, sorgten für viele der ersten großen Vermögen und prägten die Unternehmenskultur.

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Wie in der Serie „Mad Men“: Sekretärinnen waren die einzigen Frauen

Das Leben in den frühen Chip-Firmen im Silicon Valley kann man sich vorstellen wie in der Fernsehserie „Mad Men“, nur mit weniger Anzügen, mehr Nachtschichten und gelegentlich lautstark ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten über das Design von Leiterplatten. Sekretärinnen waren in der Regel die einzigen Frauen. Von den Angestellten wurde erwartet, dass sie vor 8 Uhr morgens auftauchten, so lange arbeiteten, wie sie es ertragen konnten, und dann noch ein Bier trinken gingen. Die Gegenkultur der 1960er-Jahre hat in der Halbleiterindustrie nie wirklich stattgefunden. Das Management belohnte rationale Köpfe und dicke Häute. „Ich habe Sie eingestellt“, sagte Don Valentine, ein leitender Angestellter bei National Semiconductor, einmal zu einem neuen Mitarbeiter, „weil Sie der Einzige waren, den ich nicht einschüchtern konnte“.

Ermöglicht wurde diese Intensität der Arbeit durch die Hausfrauen – die verborgensten Figuren in der Technologiebranche, die sich um Kinder und Haushalt kümmerten, damit ihre Männer ganz in die Arbeit eintauchen konnten. Die seltene weibliche Führungskraft musste mithalten und so tun, als ob sie von den persönlichen Anforderungen ebenso wenig gestört würde, und nebenbei mit ihren Kindern telefonieren.

Nicht an dieser „Olympiade“ teilgenommen, aber dennoch zum Erfolg der Branche beigetragen haben auch die Tausenden von Frauen, die von den 1960er- bis zu den frühen 1980er-Jahren in den Mikrochipfabriken und anderen Produktionsstätten des Valley arbeiteten. Einige von ihnen gehörten der asiatischen und mexikanischen Arbeiterklasse an, deren Mütter und Großmütter vor dem Krieg in den Obstgärten und Obstkonservenfabriken des Tals gearbeitet hatten. Andere waren erst kürzlich aus dem Osten und dem Mittleren Westen zugewandert, weiß und oft mit College-Ausbildung, die ein Einkommen brauchten und sich für eine technische Arbeit interessierten.

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Produktion bei Fairchild Semiconductor 1964: Die schlecht bezahlten Jobs waren fast ausschließlich von Frauen besetzt. (Bild: MediaNews Group / Getty Images)

Da es im Valley nur wenige andere technische Berufe gab, waren die Frauen oftmals bereit, für wenig Geld zu arbeiten. Das Übergewicht der Frauen an den Fließbändern trug dazu bei, dass die Löhne in den Fabriken der Region zu den niedrigsten im ganzen Land gehörten. Frauen dominieren nach wie vor die Hightech-Fließbänder, obwohl die meisten Fabriken jetzt Tausende von Meilen entfernt sind. Im Jahr 1970 beschäftigte eine frühe mexikanische Produktionslinie in amerikanischem Besitz 600 Arbeiter, von denen fast 90 Prozent Frauen waren. Ein halbes Jahrhundert später setzte sich dieses Muster fort: In Vietnam machen weibliche Produktionsarbeiter 80 Prozent der gesamten Tech-Belegschaft aus.

Die ursprünglichen Risikokapitalgeber des Valley waren eine eingeschworene Gruppe, meist junge Männer, die das Geld älterer, viel reicherer Männer verwalteten. Anfangs gab es so wenige von ihnen, dass sie einen Tisch in einem Restaurant in San Francisco reservierten und die Gründer aufforderten, alle auf einmal zu präsentieren. Es boten sich so viele Gelegenheiten, dass es kaum ins Gewicht fiel, wenn ein Geschäft an jemand anderen ging. Gründungsmitglieder wie der Risikokapitalgeber Reid Dennis aus dem Silicon Valley nannten sie „die Gruppe“. Andere Beobachter, wie der Journalist John W. Wilson, nannten sie „The Boys Club“.

In den frühen 1970er-Jahren expandierte das Risikokapitalgeschäft. Die Unternehmen, die in dieser Zeit von Halbleiter-Veteranen gegründet und geleitet wurden, entwickelten sich zu branchenbestimmenden Firmen. Gene Kleiner verließ Fairchild Semiconductor, um Kleiner Perkins mitzugründen, zu dessen langer Erfolgsliste Genentech, Sun Microsystems, AOL, Google und Amazon gehörten. Don Valentine gründete Sequoia Capital und investierte in der Frühphase in Atari und Apple, später dann in Cisco, Google, Instagram, Airbnb und viele andere.

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Die Risikokapitalgeber des Silicon Valley waren mehr als nur Banker. Sie waren Mentoren und Vaterfiguren für junge, unerfahrene Gründer, die oft viel über Technologie wussten, aber nichts darüber, wie man ein Unternehmen leitet und wachsen lässt. „Dieses Modell, bei dem eine Generation erfolgreich ist und sich dann umdreht, um der nächsten Generation von Unternehmern finanzielle Unterstützung und Management-Know-how zu bieten“, schreibt die Silicon-Valley-Historikerin Leslie Berlin, „ist eines der wichtigsten und zu wenig beachteten Geheimnisse für den anhaltenden Erfolg des Silicon Valley.“

Dabei waren die Risikokapitalgeber oft der Meinung, dass die Person genauso wichtig ist wie das Produkt, wenn nicht sogar noch wichtiger. „Eine durchschnittliche Idee in den Händen eines fähigen Mannes“, erklärte Georges Doriot, der als „Vater des Risikokapitals“ bekannte Professor der Harvard Business School, „ist viel mehr wert als eine herausragende Idee im Besitz einer Person mit nur durchschnittlichen Fähigkeiten.“

Eine todsichere Methode, „fähige Männer“ zu finden, bestand darin, Leute zu finanzieren oder einzustellen, mit denen man zuvor erfolgreich zusammengearbeitet hatte. Dies ist ein weiterer wichtiger Aspekt des Silicon-Valley-Modells: eng geknüpfte Netzwerke, die oft in mehreren Startups zusammenarbeiten. Die berühmtesten dieser Gruppen erhielten Spitznamen. Die Männer, die den ersten Siliziumchiphersteller des Valley, Shockley Semiconductor, verließen, um Fairchild Semiconductor zu gründen, wurden „die verräterischen Acht“ genannt. Vier Jahrzehnte später wurde eine Gruppe von Männern, von denen sich viele beim Schreiben für die konservative Stanford-Studentenzeitung kennengelernt hatten (darunter Peter Thiel, der sie mitbegründete), zum Kern des Gründungsteams von Paypal. Mit der Übernahme des Unternehmens wurden sie zur „Paypal-Mafia“ und nutzten ihren Reichtum, um neue wagnisfinanzierte Unternehmen zu gründen und in viele andere zu investieren.

Wenn es um Personen ging, die ein Investor noch nicht kannte, verließen sich die Risikopartner auf persönliche Eigenschaften und eine gesunde Portion Bauchgefühl und setzten auf Gründer, die viele Qualitäten mit denjenigen zu teilen schienen, die bereits erfolgreich waren – kurz gesagt, auf Personen, die denjenigen ähnelten, die bereits in ihrem Netzwerk waren. „Mustererkennung“, so hat es Kleiner-Perkins-Partner John Doerr einmal formuliert. Die erfolgreichsten Gründer „scheinen alle weiße, männliche Nerds zu sein, die ihr Studium in Harvard oder Stanford abgebrochen haben und absolut kein Sozialleben haben“; wenn sie in seinem Büro auftauchten, sagte er, wusste er, dass es Zeit war, zu investieren. Die Bemerkung war ein unbeabsichtigter Fauxpas, aber sie traf den Nagel auf den Kopf. Doerr war bei Intel aufgestiegen und nutzte das, was er in der Chipherstellung gelernt hatte, um eine der erfolgreichsten Investorkarrieren in der Geschichte der Technologiebranche aufzubauen. Er finanzierte und betreute Marc Andreessen von Netscape, Sergey Brin und Larry Page von Google und Jeff Bezos von Amazon – alles nur Männer.

Doerr und die Risikokapitalgeber vor und nach ihm waren begierig darauf, neue Ideen aufzunehmen, aber ihre Erfahrungen hatten sie davon überzeugt, dass Technologieentwicklung in einer Leistungsgesellschaft eben genau so funktioniert. Deshalb ignorierten sie die Ausgrenzung, die durch die engmaschigen Netzwerke des Silicon Valley aufrechterhalten wurde.

In den 1970er-Jahren dominierten Hardwareunternehmen sowohl im Silicon Valley als auch in Boston. Software war selten ein eigenständiges Produkt, sondern wurde mit dem Kauf eines Computers gebündelt oder kostenlos abgegeben. Dies erklärt, warum viele Frauen weiterhin als Programmiererinnen arbeiteten, selbst als sich der Bereich professionalisierte, an Prestige gewann und von vielen Unternehmen als eine Umgebung angesehen wurde, die am besten für „asoziale, mathematisch veranlagte Männer“ geeignet war.

Als die ersten Desktop-Computer auf den Markt kamen, betrachteten einige Arbeitgeber das Programmieren als einen Job, der sich perfekt für berufstätige Mütter eignete, die zwischen dem Abholen der Kinder von der Schule und der Hausarbeit ein Modem einstecken und von zu Hause aus programmieren konnten. Dieser Moment war nur von kurzer Dauer, denn das Geschäft mit den Personal Computern brachte auch die immens profitable Desktop-Software-Industrie hervor. Programmieren war nicht mehr nur etwas für Introvertierte und Mütter von kleinen Kindern. Es brachte Milliardäre hervor.

Der Koloss im Zentrum der Branche war Microsoft, angeführt vom berühmtesten aller Software-Freaks, Bill Gates. In den späten 1990er-Jahren liefen die Produkte des Unternehmens auf über 90 Prozent aller PCs auf der Welt. Gates war der reichste Mann der Welt. Auf dem Microsoft-Campus außerhalb von Seattle arbeiteten Heerscharen von Software-Ingenieuren sieben Tage in der Woche. Die Aktienzuteilungen von Microsoft machten etwa 10.000 Mitarbeiter, meist Männer und viele unter 30, zu Millionären. Geld regierte die 1980er- und 1990er-Jahre und darüber hinaus. „Striking It Rich“, lautete 1982 eine „Time“-Schlagzeile, die über einer Abbildung von Steve Jobs auf der Titelseite des Magazins schwebte. 1984 folgte Gates, der eine Diskette schwenkte. Im Jahr 1996 übergab Time die Krone an Netscape-Mitbegründer Andreessen. „The Golden Geeks“ titelte das Magazin und zeigte den 24-jährigen Multimillionär, wie er barfuß auf einem vergoldeten Thron sitzt.

Im Jahr 1982 schaffte Apple-Gründer Steve Jobs es auf das Cover des Time Magazine. (Bild: Time)

Nach dem Jahr 2000 war das Silicon Valley die unbestrittene Hightech-Hauptstadt, nicht mehr nur ein Ort in Kalifornien, sondern die Kurzform für die Branche selbst. Die Gründer dieser neuen Generation hatten eine Reihe neuer Mentoren, von denen sie lernen und die sie bewundern konnten. Steve Jobs beispielsweise – seine triumphale Rückkehr zu Apple im Jahr 1997, nachdem er über ein Jahrzehnt zuvor aus dem Unternehmen gedrängt worden war, hatte ihn zu einer Unternehmenslegende gemacht. Sein vorzeitiger Tod im Jahr 2011 hat sein Vermächtnis als der Gründer, dem man nacheifern sollte, nur noch weiter gefestigt.

Netscape-Entwickler Marc Andreessen war nun ein erfolgreicher Risikokapitalgeber, der bei Kaffee und Pfannkuchen Managerweisheiten verteilte, so wie es eine ältere Generation Jahrzehnte zuvor für ihn getan hatte. „Er wurde zu einem Ratgeber in Sachen Management und dem Aufbau eines starken Technologieunternehmens“, erinnert sich Mark Zuckerberg an die regelmäßigen Treffen mit Andreessen in den Anfangstagen von Facebook. „Er hat starke Ansichten, und die haben meine geprägt.“

Bill Gates, hier 1984 auf der Time-Titelseite, wurde als Prototyp des erfolgreichen Nerds gefeiert. (Bild: Time)

Die neue Generation von Gründern war tendenziell jünger und frecher. Männer, die ihre Jugend damit verbracht hatten, auf Computerbildschirme zu starren, verfügten nun über Macht, Geld und Angeberei. Ein paar Monate nach der Gründung von Facebook beispielsweise wurde Zuckerberg klar, dass er Visitenkarten brauchte. Er bestellte zwei Versionen. Auf der einen stand einfach „CEO“. Auf der anderen: „I‘m CEO … bitch!“

Heute ist die Arbeitskultur der großen Technologieunternehmen ähnlich vereinnahmend wie die der frühen Chiphersteller. Und die Vergünstigungen, mit denen die Firmen ihre Angestellten vor der Pandemie überhäuften, sagen viel darüber aus, welche Art von Mitarbeitern diese Unternehmen am meisten schätzen: Im Jahr 2017 bezog Apple seinen neuen 5-Milliarden-Dollar-Hauptsitz mit einem zweistöckigen Yogaraum und sieben Cafés. Obwohl er für 12.000 Mitarbeiter ausgelegt ist, gab es keine Kinderbetreuung.

Heute wird der Staffelstab an Krypto-Enthusiasten und Web3-Evangelisten weitergegeben. Die personelle Besetzung ist zwar etwas vielfältiger als früher, aber die potenziellen Superstars der nächsten Generation – Brian Anderson von Coinbase und Sam Bankman-Fried von FTX, um nur zwei zu nennen – sind nach wie vor in der Regel weiß und männlich.

Doch die geschlechtsspezifische Benachteiligung hat in der Technologiebranche eine neue Welle des Mitarbeiteraktivismus ausgelöst. Zum ersten Mal äußern sich die Angestellten des Silicon Valley öffentlich gegen ihre Arbeitgeber und drängen diese in einigen Fällen erfolgreich zu Änderungen der Unternehmenspraktiken. Auffällig an den heutigen Aktivisten, Organisatoren und Whistleblowern ist, dass fast alle von ihnen weiblich, geschlechtsuntypisch oder queer sind. Einige sind nicht weiß. Da sie nicht in den privilegierten Kreisen der Techbranche verankert sind, konnten sie deren Probleme klarer erkennen. Sechs der sieben Organisatorinnen des Google-Streiks mit 20.000 Teilnehmern im Jahr 2018 waren Frauen. Sie protestierten gegen die 90-Millionen-Dollar-Abfindung, die dem Topmanager Andy Rubin nach glaubwürdigen Vorwürfen sexueller Belästigung zugesprochen wurde.

Die Informatikerin Timnit Gebru wurde wegen ihrer bahnbrechenden Arbeit über algorithmische Voreingenommenheit bei Google eingestellt und dann gefeuert, weil das Unternehmen angeblich mit ihren Erkenntnissen unzufrieden war. Seitdem ist sie zu einer scharfen Kritikerin der Geschäfts- und Forschungspraktiken im Silicon Valley geworden. Die Datenwissenschaftlerin Frances Haugen arbeitete bei Google, Yelp und Pinterest, bevor sie zu Facebook kam, wo sie aus Sorge über die Geschäftspraktiken des Unternehmens Tausende von Seiten interner Dokumente kopierte und sie an Reporter weitergab. (Haugen gab zu, dass sie bei Facebook auspacken konnte, weil sie durch ihre Tech-Karriere wohlhabend genug geworden war, um ihren Job zu verlassen).

Timnit Gebru hat bei Google als KI-Ethikerin gearbeitet – und wurde gefeuert, als ihre Kritik an dem Unternehmen zu unbequem wurde. Ihre Entlassung hat den firmeninternen Widerspruch jedoch eher verstärkt. (Bild: Timnit Gebru)

Innerhalb von Unternehmen nimmt der Aktivismus der Mitarbeiter:innen täglich zu. Er verändert nicht nur die Unternehmenskultur, sondern führt auch – was angesichts der Geschichte des Silicon Valley bemerkenswert ist – zu einer klassenübergreifenden Unterstützung der gewerkschaftlichen Organisierung von Arbeitnehmer:innen. Auch Frauen und geschlechtsuntypische Mitarbeiter:innen stehen an vorderster Front dieser Bewegungen.

Die Techbranche spricht gerne darüber, wie sie die Welt verändert. Doch rückschrittliche, geschlechtsspezifische Muster und Gewohnheiten haben lange Zeit die außergewöhnliche Geldmaschine der Techbranche angetrieben. Aus ihnen auszubrechen, könnte letztlich der innovativste Schritt von allen sein.

Die Historikerin Margaret O’Mara hat diesen Text geschrieben. Sie ist die Autorin von The Code: Silicon Valley and the Remaking of America.

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