Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige
MIT Technology Review Analyse
Verpasse keine News mehr!

Trumps Autismus-Behauptung: Was die Studien über die Wirkung von Paracetamol wirklich aussagen

Paracetamol in der Schwangerschaft löse Autismus beim Kind aus – das behauptete kürzlich der US-Präsident Trump. Die europäische Zulassungsbehörde EMA sieht hingegen keine Hinweise dafür. Zudem enthalten Studien dazu Verzerrungen.

Von Veronika Szentpétery-Kessler
6 Min.
Artikel merken
Anzeige
Anzeige
Plastikflaschen können dank Bakterien in Paracetamol umgewandelt werden. (Bild: Shutterstock/Maderla)

Die US-Regierung hat am 21. September auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus Maßnahmen gegen den „kometenhaften Anstieg von Autismusfällen“ angekündigt. Schuld an den gestiegenen Zahlen seien neben Kinder-Impfungen die Einnahme von Tylenol – wie der Schmerz- und Fiebersenker in den USA genannt wird – während der Schwangerschaft. Deshalb soll das Medikament einen Warnhinweis bekommen: Die Einnahme während der Schwangerschaft könne das Risiko des ungeborenen Kindes für Autismus und ADHS erhöhen. Parallel dazu will die US-Zulassungsbehörde FDA Leucovorin-Calcium-Tabletten für die Behandlung bestimmter Autismusformen zulassen. Die Forschung stützt keine der beiden Initiativen. Nachfolgend beantworten wir einige der wichtigsten Fragen.

Anzeige
Anzeige

Was ist Tylenol?

Es ist ein schmerz- und fiebersenkendes Arzneimittel, das den aktiven Wirkstoff Acetaminophen enthält. Tylenol ist der US-Markenname, in Deutschland und anderen Ländern heißt dasselbe Medikament oft Paracetamol. In den USA ist es eines der häufigsten Arzneimittel, das in der Schwangerschaft gegen Fieber und Schmerzen zum Einsatz kommt.

War wirklich die Rede davon, dass Tylenol Autismus auslöst?

US-Präsident Trump sprach davon, dass die steigenden Fallzahlen nicht anders zu erklären seien, und warnte Schwangere davor, Tylenol zu nehmen – es sei denn, in geringen Dosen bei extrem hohem Fieber. US-Gesundheitsminister Kennedy suggerierte mit der Aussage, dass dies die erste von vielen Ankündigungen über die Ursachen von Autismus für Eltern sei, ebenfalls Kausalität. Marty Makary, Leiter der US-Zulassungsbehörde FDA, führte zwei Studien als nicht mehr ignorierbare Daten an, obwohl diese keinen Kausalzusammenhang hergestellt hatten. Er zitierte auch Andrea Baccarelli, den Dekan der Harvard T. H. Chan School of Public Health, der schon mehrfach explizit von einem kausalen Zusammenhang gesprochen hat.

Anzeige
Anzeige

Allerdings hatte 2023 eine Richterin Baccarellis diesbezügliche Aussagen als bezahlter Sachverständiger vor Gericht als „nicht verlässlich“ nachgewiesen – ebenso wie später auch das zugehörige Gerichtsverfahren, bei dem hunderte zusammengelegte Elternklagen gegen den Tylenol-Hersteller Kenvue und Einzelhändler mit ihren Tylenol-Eigenmarken verhandelt werden sollten.

Stimmt es, dass Tylenol Autismus verursacht?

Ganz klar nein, widersprechen Regulierungsbehörden, Fachgesellschaften und Wissenschaftler:innen umgehend: Ein kausaler Zusammenhang sei wissenschaftlich nicht belegt. „Unsere Empfehlung basiert auf einer strengen Bewertung der verfügbaren wissenschaftlichen Daten, und wir haben keine Hinweise darauf gefunden, dass die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft Autismus bei Kindern verursacht“, sagte etwa Steffen Thirstrup, Chief Medical Officer der europäischen Zulassungsbehörde EMA.

Was sagen die Studien zu dem behaupteten kausalen Zusammenhang?

Eine Reihe von Studien hat Korrelationen zwischen der Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft gefunden. Diese bedeuten aber noch keine Kausalität. Viele Untersuchungen befragten Frauen rückblickend, ob sie während ihrer Schwangerschaft Tylenol genommen haben, um herauszufinden, ob sie mit höherer Wahrscheinlichkeit autistische Kinder bekommen. Die Ergebnisse solcher epidemiologischen Studien können allerdings verzerrt sein, weil die Einnahmegründe wie Infektionen mit hohem Fieber selbst die Wahrscheinlichkeit für Autismus erhöhen können und das schwer herauszurechnen ist.

Um das auszuschließen, haben zwei große Studien aus Schweden und Japan die Gesundheitsdaten von Geschwistern ausgewertet, deren Mütter nicht bei allen Schwangerschaften Paracetamol genommen hatten. Bei beiden Studien verschwand eine anfänglich auftauchende Korrelation zwischen der Paracetamolnahme und späterer Autismusdiagnose, sobald die Geschwister aus Schwangerschaften ohne Paracetamol mitberücksichtigt wurden.

Anzeige
Anzeige

Eine kürzlich veröffentlichte US-Analyse von 46 Studien, die einen möglichen Zusammenhang untersucht haben, kam zu dem Schluss, dass 27 Studien einen Zusammenhang zeigten. Sieben Untersuchungen fanden keinen und vier sogar eine mögliche schützende Wirkung des Medikaments. Die Autoren hielten einen kausalen Zusammenhang „wegen der konsistenten Ergebnisse und ausreichender Kontrolle“ [Herausrechnen von Verzerrungen, Anm. d. Red.] für plausibel.

Die Meta-Analyse wurde allerdings unter anderem dafür kritisiert, dass die Autoren um Harvard-Dekan Andrea Baccarelli gründlich gemachte Studien nicht berücksichtigt hätten, die keinen Zusammenhang gefunden haben: zum Beispiel die schwedische Untersuchung mit 2,5 Millionen Kindern. Für den Arzt Wolfgang Paulus von der Universitätsfrauenklinik Ulm erweckten die „grenzwertig signifikanten Resultate in etlichen Studien“ schon 2022 den Eindruck eines sogenannten Publikationsbias. Diese Form der Verzerrung entsteht, wenn positive oder signifikante Ergebnisse zu einem Thema eher veröffentlicht werden als negative und nicht-signifikante.

Steigt die Zahl der Autismus-Fälle wirklich?

Ja, ein Anstieg ist weltweit zu beobachten, er ist regional aber unterschiedlich. In Deutschland verdoppelte sich die Diagnoserate nach einer Erhebung der Handelskrankenkasse zwischen 2013 und 2022 bei Kindern und Jugendlichen von 0,4 auf 0,8 Prozent, also von 1:250 auf 1:125. Erhielt 1995 in den USA etwa eins von 500 Kindern die Diagnose, ist es inzwischen 1:31. Die Zunahme ist jedoch nicht auf Paracetamol, sondern zum großen Teil auf eine stetige Erweiterung der diagnostischen Definition zurückzuführen. Inzwischen werden viele zuvor separate Diagnosen wie frühkindlicher Autismus und Asperger-Syndrom zu einer einzigen Diagnose zusammengefasst: der Autismus-Spektrum-Störung.

Anzeige
Anzeige

Insgesamt mehr Diagnosen sind auch das Resultat von besseren Schulungen der Ärzt:innen. Jungen erhalten immer noch häufiger eine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum als Mädchen – in Deutschland doppelt so oft, in anderen Ländern bis zu viermal häufiger – und auch viel früher. Das könnte teilweise hormonelle Gründe haben: So aktiviert etwa Testosteron bestimmte Risikogene überproportional stark, die in mutierter Form eine Rolle bei der Autismusentstehung spielen. Zudem können Symptome bei Mädchen anders und subtiler sein als bei Jungen. Ihre Auffälligkeiten werden oft als Depression, Ess-, Angst- oder Zwangsstörungen fehlinterpretiert. Entsprechend erhalten sie die Diagnose erst als Erwachsene, was auch zu den steigenden Autismuszahlen beiträgt.

Sollte man sicherheitshalber in der Schwangerschaft auf Paracetamol verzichten?

Nein, sagen Ärzt:innen. Wird hohes Fieber in der Schwangerschaft nicht gesenkt, bestehe sowohl für die Mütter als auch für ihre ungeborenen Kinder eine Gefahr für Gesundheitsrisiken, zum Beispiel hoher Blutdruck oder gar Fehlgeburten und Geburtsschäden. Wer bei hohem Fieber und Kopfschmerzen unsicher ist, holt sich am besten Rat von Ärzt:innen.

Stimmt es, dass Leucovorin Autismus lindern kann?

Das eigentliche Einsatzgebiet von Leukovorin ist die Krebsbehandlung, es macht dort Medikamente verträglicher. Das Mittel enthält Folinsäure, eine synthetische Variante von Folsäure (Vitamin B9). Synthetische und natürliche Formen fasst man als Folate zusammen. Folsäuremangel in der Schwangerschaft führt zu Fehlentwicklungen im Nervensystem wie Neuralrohrdefekten oder einer gespaltenen Wirbelsäule. Dass aber Autismus in vielen Fällen ebenfalls auf Folinsäuremangel beruhen soll, ist bisher nicht belegt oder weithin akzeptiert, sagen Expert:innen.

Anzeige
Anzeige

Zwar gibt es Kinder, die aufgrund eines Folatmangels in der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit neuronale Entwicklungsstörungen zeigen, die autistischen Symptomen ähneln und denen Folinsäure hilft. Ihr Einsatz bei Autismus wurde bisher aber nur in vier kleinen, sehr unterschiedlich aufgesetzten Studien getestet und die Evidenz einer positiven Wirkung laut der neugegründeten Koalition der Autismusforscher (Coalition of Autism Scientists) bisher „schwach“. Leucovorin wird in den USA trotzdem zunehmend oft als Off-Label-Medikament bei Autismus verabreicht.

Was genau ist Autismus?

Autismus ist sehr vielfältig und unterschiedlich stark ausgeprägt. Im Kern ist es eine Beeinträchtigung der Kontaktfähigkeit. Dazu können Schwierigkeiten beim Halten von Blickkontakt gehören, Ablehnung von Körperkontakt, Gefühle erkennen oder Mimik, Gestik und nichtverbalen Sprechkomponenten wie die Intonation erfassen und selbst meistern. Teilweise verspätet sich der Sprechstart oder bleibt ganz aus. Dazu kommen Rituale oder Routinen wie wiederholte Handlungen, das Ordnen von Gegenständen oder etwas immer zur gleichen Zeit oder auf gleiche Weise zu tun, weil es beruhigend wirkt. Allerdings brauchen bei weitem nicht alle Autist:innen eine umfassende Betreuung. Inzwischen wird oft erst im Erwachsenenalter eine sogenannte hochfunktionale Autismus-Variante wie das Asperger-Syndrom festgestellt.

Was verursacht Autismus?

Autismus hat verschiedene Ursachen, zu 70 bis 80 Prozent sind aber genetische Faktoren ausschlaggebend, sagt Alex Polyakov von der University of Melbourne. Mehr als 100 Gene wurden bisher mit dem Autismus-Spektrum in Verbindung gebracht, während US-Gesundheitsminister Kennedy die Forschung dazu in der Pressekonferenz als „fruchtlos“ abtat. Dazu kommen Umwelteinflüsse wie Luftverschmutzung, Fieber während der Schwangerschaft, aber auch das Alter und die Gesundheit der Eltern. Vor allem das väterliche Alter oberhalb von 40 Jahren scheint das Autismus-Risiko zu erhöhen, weil mit höherem Alter die Mutationsrate in den Spermien steigt. Insgesamt haben nicht-genetische Faktoren jeweils nur einen leichten Einfluss auf das Autismus-Risiko und erklären den starken Anstieg der Diagnosen nicht, sagte David Geffen, Neurologe und Genetiker an der University of California Los Angeles dem Magazin „Science News“.

Top-Artikel
Anzeige
Anzeige
Kommentare

Community-Richtlinien

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus!
Hallo und herzlich willkommen bei t3n!

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus, um diesen Artikel zu lesen.

Banner und ähnliche Werbemittel sind für unsere Finanzierung sehr wichtig.

Schon jetzt und im Namen der gesamten t3n-Crew: vielen Dank für deine Unterstützung! 🙌

Deine t3n-Crew

Anleitung zur Deaktivierung
Artikel merken

Bitte melde dich an, um diesen Artikel in deiner persönlichen Merkliste auf t3n zu speichern.

Jetzt registrieren und merken

Du hast schon einen t3n-Account? Hier anmelden

Auf Mastodon teilen

Gib die URL deiner Mastodon-Instanz ein, um den Artikel zu teilen.

Community-Richtlinien

Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.

Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.

Dein t3n-Team

Kommentar abgeben

Melde dich an, um Kommentare schreiben und mit anderen Leser:innen und unseren Autor:innen diskutieren zu können.

Anmelden und kommentieren

Du hast noch keinen t3n-Account? Hier registrieren