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Valleycon Silly: Mein Büro, das in Deutschland keines wäre [Kolumne]

Unser Silicon-Valley-Korrespondent Moritz stellt fest: „Der Arbeitsplatz, an dem ich gerade arbeite, dürfte so in Deutschland gar nicht existieren.“

Von Moritz Stückler
5 Min. Lesezeit
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Mein Arbeitsplatz: In Deutschland eher klinisch rein, in San Francisco lieber richtig unordentlich. (Foto: Moritz Stückler)

Moritz Stückler berichtet für t3n als Korrespondent aus dem Silicon Valley. In seiner Kolumne „Valleycon Silly“ schreibt er über all das, was ihm abseits der tagesaktuellen Nachrichten begegnet. Anhand von Alltagserlebnissen nimmt er die kulturellen Unterschiede zwischen den USA und Deutschland – natürlich besonders in Bezug auf Technik und Startups – unter die Lupe.

Wo arbeitet man eigentlich als einziger Mitarbeiter in einem fremden Land?

Ein Teil des Jimdo-Büros in San Francisco. Sichtbar ist die Küche und der angrenzende Fahrradraum. (Foto: Moritz Stückler)

Ein Teil des Jimdo-Büros in San Francisco. Sichtbar sind die Küche und der angrenzende Fahrradraum. (Foto: Moritz Stückler)

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Wo arbeitet man eigentlich als einziger Mitarbeiter einer deutschen Firma in einem fremden Land? Im Home-Office? In einem Co-Working-Space? Hätten wir bei t3n nicht seit dem vergangenen Jahr eine unglaublich wertvolle Kooperation mit der Hamburger Firma Jimdo, würde es sicherlich auf eine der beiden Möglichkeiten hinauslaufen. Jimdo ist ein junges Unternehmen, das Website-Baukästen für Endanwender anbietet. Die Truppe bringt es inzwischen auf stolze 180 Mitarbeiter in vier Ländern – darunter eben auch eine Niederlassung in San Francisco, in der ich mich also für die nächsten Monate eingenistet habe.

Als ich im September hier zum ersten Mal ankam, war ich erst mal ziemlich überrascht darüber, was hier alle als „Büro“ bezeichnen. In Deutschland würde das vermutlich eher als große Studenten-WG durchgehen. Zusammen mit einem weiteren kleinen Startup teilen sich insgesamt etwa 25 Mitarbeiter ein großes ausgebautes Stockwerk in einem alten Gebäude im angesagten Mission-District in San Francisco.

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Wer das winzige Klingelschild an der Tür findet und sich danach auf der kleinen, engen und knarzenden Holztreppe nicht den Kopf stößt, der trifft auf eine schmale rote Holztür, die den Weg ins Büro freigibt. Dahinter wartet ein großer Raum von schätzungsweise 100 Quadratmetern – IKEAs Expedit-Armee trennt den Raum in zwei Hälften. Schreibtische sind wild verteilt und eine richtige feste Sitzordnung ist nicht zu erkennen. Manche der Tische hat das Team aus alten Massivholztüren selbst gebaut, wie ich später erfahre. Wer nicht an einem der Schreibtische sitzt, lümmelt auf einem der zwei Sofas oder in riesengroßen Sitzsäcken.

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Optisch will nichts so recht zum anderen passen und beim Inhalt der vielen Regalfächer würde jeder Messie auf seine Kosten kommen. Überall stehen Monitore, meistens zwei pro Arbeitsplatz, mal groß, mal klein, mal Apple, mal Samsung. Die Schreibtische sind vollgestellt mit Paketen, Büro-Utensilien, Visitenkarten, Xbox-Spielen und irgendwelchen Bällen. Auch die Bürostühle sind ein buntes Sammelsurium von Farben und Marken.

Fahrradraum neben dem Kühlschrank

Der große Raum beinhaltet auch gleichzeitig die offene Gemeinschaftsküche. Daneben gibt es ein Loch in der Wand, etwa halb so hoch wie eine normale Tür. Der Raum dahinter wurde in Anbetracht der Deckenhöhe wohl für Hobbits gemacht und dient jetzt als Fahrradraum und Abstellkammer, quasi direkt neben dem Kühlschrank. „Beware of Rat!“ steht übrigens darauf. Seit einigen Wochen treibt eine Ratte ihr Unwesen im Jimdo-Büro und seit fast so vielen Wochen muss man sehr genau aufpassen. wo man hintritt, da an vielen Stellen Rattenfallen auf geistig abwesende Jungunternehmer lauern.

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Ein Teil des Jimdo-Büros in San Francisco. Sichtbar ist die Küche und der angrenzende Fahrradraum. (Foto: Moritz Stückler)

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Auf dem Weg zwischen meinem Schreibtisch und dem Kühlschrank habe ich mir in den ersten paar Wochen übrigens drei paar Socken ruiniert. Ich bin an immer einem Eisenprofil auf dem Boden hängen geblieben und habe mir Löcher in die Socken gerissen. Der Boden besteht größtenteils aus Spanholzplatten, die an vielen Stellen eben mit ein paar kantigen Eisenprofilen verbunden sind. Die Decke wurde nach dem gleichen Prinzip abgehängt. Hier und da laufen Abflussrohre oder Kabel kreuz und quer an der Decke entlang. Interessant ist auch die Aufteilung der Beleuchtung im Büro. Den passenden Lichtschalter für die gewünschte Lampe zu finden, ist das tägliche Russisch-Roulette der neueren Mitarbeiter und Büro-Gäste. Ach ja: Und wenn es mal regnet (was zum Glück fast nie passiert), dann tropft es auch ein bisschen durch die Decke.

Säge ich an dem Ast, auf dem ich sitze?

Aber was soll das? Warum zähle ich an dieser Stelle diese ganzen Mängel auf? Will ich riskieren, dass mich Jimdo wieder rausschmeißt? Nein, ganz und gar nicht. Ich bin der Firma Jimdo zu größtem Dank verpflichtet, denn sie haben mich nicht nur äußerst freundlich und großzügig hier aufgenommen, sondern mir ganz unbewusst auch eine wichtige Lektion beigebracht: Ich habe dieses Büro in den letzten sechs Wochen schätzen und lieben gelernt. Trotz und gerade wegen all seiner Makel verbreitet der Ort unglaublich viel Wärme und Behaglichkeit.

Alle Aspekte, die ich bis hierher erwähnt habe, wären in Deutschland in einem Büro verboten oder zumindest bedenklich – aus diversen Gründen: Hygiene, Brandschutz, Ergonomie, Freihaltung der Fluchtwege und so weiter. Dieses Büro könnte in Deutschland kein Büro sein, das regelt unter anderem die sogenannte Arbeitsstättenverordnung. Kleine Unternehmer in Deutschland müssen sich also nach teuren und explizit ausgewiesenen Arbeitsstätten umsehen, die meistens den Charme eines Amtsgebäudes ausstrahlen. Ich möchte damit nicht behaupten, dass es in Deutschland unmöglich ist, ein familiäres und attraktives Büro zu gestalten. Ich möchte aber sehr wohl behaupten dass dieser Unterfangen in Deutschland deutlich schwieriger und teurer ist als in den USA.

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Deutsche Büros: Oft kalt und austauschbar

Mein Arbeitsplatz: In Deutschland eher klinisch rein, in San Francisco lieber richtig unordentlich. (Foto: Moritz Stückler)

Mein Arbeitsplatz: In Deutschland eher klinisch rein, in San Francisco lieber richtig unordentlich. (Foto: Moritz Stückler)

Ein Großteil der deutschen Büros sieht deswegen gleich aus: Kahl, kalt und austauschbar. Leuchtstoffröhre reiht sich an Leuchtstoffröhre und Yucca-Palme an Yucca-Palme. Bei den Wandfarben reicht die Vielfalt von Eierschale über Reinweiß bis hin zu Polarweiß – und die Fußböden wechseln zwischen groben Teppichböden und marmoriertem Linoleum. Jeder Schreibtisch ist identisch und natürlich im rechten Winkel angeordnet, die Rollfläche für den Bürostuhl wird ähnlich penibel ausgemessen wie der Freilauf in einem Hühnerstall.

Ich möchte nicht wissen, wie viele potenzielle Gründer mit guten Ideen sich alleine von den genannten Hürden in Bezug auf die Wahl eines Büros aufhalten ließen. „Mal eben eine Firma gründen?“ – Geht eben nicht in Deutschland.

Dabei ist eine angenehme Arbeitsumgebung so unglaublich wichtig, gerade für kleine Firmen. Ich erlebe es hier jeden Tag: In der Mittagspause wird die Beamer-Leinwand ausgerollt und eine Runde FIFA gespielt. Irgendwer räkelt sich dabei auf dem Sofa und shoppt währenddessen privat auf Amazon. Die Mitarbeiter kommen sogar am Wochenende freiwillig ins Büro, um zum Beispiel einen Film auf der großen Leinwand anzugucken oder die tolle Dachterrasse auszunutzen. An Feiertagen und besonderen Anlässen wird oft gemeinsam gekocht, gegessen und gefeiert – immer nach Feierabend. Das Büro wird hier eben nicht ausschließlich mit Arbeit assoziiert, sondern auch mit Freizeit – und ist daher ein Ort, der einfach gute Laune verbreitet.

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14 Kommentare
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Dein t3n-Team

Markus

ich würd mich da wohl fühlen ;)

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Mister T.

Richtig geiler Artikel :) Bitte mehr davon!

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Marco

Genau so stelle ich mir meinen Arbeitsplatz vor! :D

Antworten
Papa Bodehase

Ich glaube, man braucht so seine Zeit, bis man sich an solch einen Arbeitsplatz gewöhnt, oder?

Natürlich ist in Deutschland der Wohfühlfaktor leider nicht wirklich in den Köpfen von Entscheidungsträgern. Aber ich bin ehrlich: ein bißchen Ordnung brauche ich schon, um jeden Tag auf’s Neue mich mit meiner Arbeit beschäfftigen zu können. Wenn ich dagegen erst einmal 30 Minuten jeden Tag aufräumen oder umräumen müsste, hätte ich schon keine Lust mehr….

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Sanddorn

Firmen mit gammligen Räumen gibts hier auch genug. Ich vermittel auf Wunsch gern ein paar besonders schöne Firmen in Dresden und Umgebung.

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Karsten

Das Büro hab ich im Mai besucht, mich hat es überrascht. Meins wäre es wirklich nicht, sei es aus Deutschsein oder aus Engegefühl. Aber eine schön kreative Umgebung hatte uns da empfangen.

Schmunzeln musste ich aber bei der Schachtel „Guns & Amo“ im Regal. Liegt das an der Gegend? Oder sind doch nur die Gamer am Werke gewesen… :-D

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Moritz Stückler

@Andreas: Ich zitiere ;) „ Ich möchte damit nicht behaupten, dass es in Deutschland unmöglich ist, ein familiäres und attraktives Büro zu gestalten. Ich möchte aber sehr wohl behaupten dass dieser Unterfangen in Deutschland deutlich schwieriger und teurer ist als in den USA.“

Ich habe bewusst dieses offensichtlich doch sehr kleinteilige Thema gewählt, um es als Symbol für das große Ganze zu nutzen. Natürlich werden nicht so viele ihr Vorhaben, ein Unternehmen zu gründen am Arbeits- und Brandschutz scheitern lassen, wie zum Beispiel an der Steuerpolitik. Aber diese Kleinigkeit zeigt sehr gut, wie wahnsinnig kompliziert und bürokratisiert unser Land ist. Und – denn hier gibt es auch Vorschriften und Gesetze – wie ungemein stark die Gesetzestreue der Bürger in Deutschland ausgeprägt ist.

@Mister T. Danke. Mehr folgt!

@Papa Bodehase: Kommt drauf an, was man für ein Typ ist. Mir fiel das sehr leicht. Aber übrigens wäre es auch kein Problem hier, einen besonders ordentlichen Schreibtisch zu pflegen, es würde nur nicht ins Gesamtbild passen ;)

@Karsten: Wo denn?

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Thomas Hasenfratz

Kreatives Denken und Arbeiten wird gefördert. Ich denke, die neuen Generationen werden auch hierzulande eine Verschmelzung von Arbeit und Freizeit anstreben (im positiven Sinn). Etwas machen das Spass macht mit den Leuten die man mag.

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NurSo

Also ganz ehrlich: Kein Wunder, dass so wenige Frauen in der Tech-Industrie arbeiten (dürfen). In so einem dusteren Saustall mag doch kein normaler Mensch arbeiten – auch wenn das das Silicon Valley ist und wenn das manche Kommentatoren hier für den Himmel der Kreativität halten.

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