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MIT Technology Review Analyse

Wann kippt es? Es gibt erneut Streit um die kritische Klima-Schwelle im Atlantik

Die Atlantische Umwälzzirkulation (AMOC) nähert sich einem Kipppunkt. Doch ob man diesen so exakt definieren kann, darüber streitet die Forschungscommunity.

Von Hanns-J. Neubert
4 Min.
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Ein gewaltiger Ozean bedeckt höchstwahrscheinlich den Planeten K2-18 b. Gibt es unter seiner Oberfläche Leben? (Foto: Owlie Productions/Shutterstock)

Die Atlantische Umwälzzirkulation (AMOC) ist die riesige, weltumfassende Meeresströmung, die wie ein Förderband warmes, salzhaltiges Oberflächenwasser vor allem aus dem Golf von Mexiko bis nach Nordeuropa transportiert. Angetrieben wird sie zum Teil vom Wind, wie es beim Golfstrom vor der Ostküste Nordamerikas der Fall ist, zum Teil von den Temperatur- und Salzgehaltsunterschieden im Meer.

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Im Nordatlantik trifft das warme Wasser auf kalte Luft und verdunstet. Die Atmosphäre heizt sich so weit auf, dass Europa ein wärmeres Klima genießt als Alaska und Nordkanada. Das jetzt kältere und salzigere Meerwasser sinkt ab und kriecht in der Tiefe zurück gen Süden bis in die Antarktis.

Pro Sekunde bewegt dieses Förderband rund 20 Millionen Kubikmeter Wasser und transportiert mehr als eine Million Gigawatt Wärme, fast das Hundertfache des Energieverbrauchs der Menschheit.

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Verdünnt jetzt aber Süßwasser von den schmelzenden Gletschern Grönlands die Salzkonzentration im Meerwasser, sinkt es nicht mehr so schnell ab, hört vielleicht sogar ganz auf. Das gestoppte Förderband schaltet damit auch Europas Zentralheizung ab. So lässt sich jedenfalls das theoretische Konzept für den klimatischen Kipppunkt der AMOC beschreiben.

Hoffnung auf bessere Klima- und Ozeanmodelle

Doch viele Wissenschaftler:innen hofften, dass das Kippverhalten in ihren Modellen verschwinden würde, sobald es möglich wäre, das gesamte Klimasystem mit all seinen zusätzlichen Rückkopplungen in den Klima- und Ozeanmodellen zu berücksichtigen.

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Andererseits steht das Kippen aber durchaus im Einklang mit paläoklimatischer Ereignissen während der letzten Eiszeit, als die Umwälzzirkulation immer mal wieder abbrach.

Inzwischen ist klar, dass sich die AMOC einigen Berechnungen zufolge seit Mitte des 20. Jahrhunderts um 15 Prozent abgeschwächt hat. Die Strömung ist jetzt so schwach wie seit mindestens einem Jahrtausend nicht mehr.

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Ein anderes Phänomen deutet ebenfalls darauf hin, dass in den letzten Jahren immer weniger Wärme aus den Tropen in den Norden gelangte, die Strömungen sich also verlangsamten. Während sich die Erde seit dem 20. Jahrhundert zunehmend erwärmte, veränderten sich die Temperaturen in der Irminger See zwischen der Südwestküste Islands und der Südostküste Grönlands nämlich kaum, fielen sogar in manchen Jahren.

Dennoch findet der Weltklimarat IPCC in seinem aktuellen Bericht von 2023, dass es „sehr unwahrscheinlich“ sei, dass die AMOC vor 2100 zum Erliegen kommt.

Zeitspanne für den Kollaps der Meeresströmung

Im Sommer 2023 sorgten dann zwei Forscher von der Universität Kopenhagen unter den Ozeanografen für Aufregung. Das Geschwisterpaar Peter und Susanne Ditlevsen stellte aufgrund von statistischen Modelluntersuchungen fest, dass die AMOC schon in wenigen Jahrzehnten kollabieren könnte, nämlich zwischen 2025 und 2095.

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Viele Forscher:innen sahen diese sehr konkrete Aussage jedoch kritisch, auch wenn sie zugaben, dass die statistische Auswertung nichts zu wünschen übrig ließ.

Johanna Baehr vom Institut für Meereskunde der Universität Hamburg kritisiert, dass sich die beiden ausschließlich auf die Oberflächentemperaturen im Nordatlantik konzentriert hätten. „Damit wird die Studie der Komplexität des Klimasystems in vielerlei Hinsicht nicht gerecht.“

Denn ein Kipppunkt könnte ja auch den Übergang von einem stabilen Zustand zu einem anderen stabilen Zustand bezeichnen, der sich deutlich vom ersten unterscheidet. „Es könnte sein, dass das Überschreiten des ersten Kipppunkts nicht zu einem vollständigen Zusammenbruch der AMOC führt, sondern nur zu einer Schwächung des Systems im Vergleich zu heute“, konkretisiert Levke Caesar von Institut für Umweltphysik der Universität Bremen.

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Wenn mehrere Studien übereinstimmen

Wie immer in der Wissenschaft liefert eine einzelne Studie nur begrenzte Beweise. Darauf weist Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hin. „Aber wenn mehrere Ansätze zu ähnlichen Schlussfolgerungen führen, muss dies sehr ernst genommen werden. Vor allem, wenn es um ein Risiko geht, das wir mit 99,9 Prozent Sicherheit ausschließen wollen.“

Ohne einen konkreten Zeitpunkt für einen Kipppunkt der AMOC zu suchen, simulierten niederländische Forscher:innen der Universität Utrecht, wie schnell ein Abbrechen der gewaltigen Transportströmung vor sich gehen könnte und ob es messbare Indikatoren gibt, die auf den Beginn eines solchen Ereignisses hindeuten. Das könnte nämlich dazu dienen, entweder die Anstrengungen zu beschleunigen, um das Kippen noch zu verhindern, oder um sich rechtzeitig an ein neues Klima anzupassen.

Das niederländische Team fügte seinem physikalischen Modell schrittweise Süßwasser (symbolisch für die schmelzenden Gletscher) zur AMOC hinzu und konnte so feststellen, dass ein langsamer Rückgang innerhalb von weniger als 100 Jahren zu einem in der Tat recht plötzlichen Zusammenbruch führen könnte. Nämlich dann, wenn sich der AMOC-Transport auf zehn Millionen Kubikmeter Wasser halbiert und schnell immer weiter sinkt.

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Während dieser kurzen Zeit würden die Temperaturen in Europa um einen Grad pro Jahrzehnt fallen, je nach Region also um fünf bis 15 Grad. Das ist eine Geschwindigkeit, an die sich die menschliche Zivilisation eigentlich kaum anpassen kann.

„Ein Kippen der Atlantischen Umwälzzirkulation ist möglich“

Die Erkenntnisse der Niederländer gelten als solide. Veränderungen, die in dem Modell vor dem Zusammenbruch zu sehen waren, stimmten mit solchen überein, die Forscher in den letzten Jahrzehnten beobachten konnten. „Wir können nur sagen, dass wir uns auf den Kipppunkt zubewegen und ein Kippen der AMOC möglich ist“, sagte René van Westen, Hauptautor der Studie. Als Frühwarnsignal fand das Team in seinem Modell ein Minimum des Süßwassertransports bei 34 Grad südlicher Breite im Atlantik. Es tritt etwa 25 Jahre vor dem Kipppunkt der AMOC auf und ist messbar.

Damit es nicht so weit kommt, dürfen fossile Brennstoffen am besten ab sofort nicht mehr verbrannt werden. Denn wie sich das Klima in Europa nach einem Zusammenbruch der AMOC ändert, das möchte sich niemand vorstellen.

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