„America First“ im Netz: Warum Big Tech jetzt EU-Gesetze missachten soll
Die US-Handelsbehörde FTC stellt sich gegen EU-Digitalgesetze wie den DSA (Bild: Bernulius/Shutterstock)
2022 wurde der Digital Services Act (DSA) als Gesetz über digitale Dienste in der EU verabschiedet. Das EU-Gesetz soll für „mehr Sicherheit und Verantwortung im Online-Umfeld“ sorgen. Dabei werden die Rechte der User gestärkt, während große Tech-Unternehmen und Plattformbetreiber:innen ihre Dienste an EU-Vorgaben anpassen und regulieren müssen – andernfalls drohen Strafen in Höhe von bis zu sechs Prozent des jährlichen globalen Umsatzes, die gerade bei großen Tech-Playern immens ausfallen könnten. Im August 2023 trat der DSA für große Player in Kraft. Doch den Tech-Größen der USA sind solche Regulierungen schon lange ein Dorn im Auge. Und nicht immer wird sich an die Vorgaben gehalten.
Jetzt erhalten Amazon und Apple, Google und Meta und weitere Tech-Unternehmen Zuspruch von der Federal Trade Commission, die als Behörde in den USA für Recht und Ordnung im Digitalraum sorgen soll. Ein Brief des konservativen und Trump-nahen republikanischen FTC-Chefs Andrew Ferguson informiert sie darüber, dass Gesetze wie der DSA nicht befolgt werden müssten, wenn dadurch die Ausdrucksfreiheit der US-Amerikaner:innen beeinträchtigt würde. Diese Aussage schwächt mit ihrem US-Zentrismus den internationalen Digitalraum und spielt der America-First-Bewegung in die Karten.
Digitalrechtsstreit zwischen USA und Europa: Big Tech soll US-Rechte priorisieren
In dem Brief, den Ferguson im Namen der FTC an 14 große Tech-Unternehmen sendete, werden neben dem DSA auch Gesetze wie die DSGVO und der britische Online Safety Act fokussiert. Die FTC schreibt über die europäischen Gesetze, dass sie Unternehmen zur „Zensur der Rede weltweit“ incentivieren würden.
„I am concerned that these actions by foreign powers to impose censorship and weaken end-to-end encryption will erode Americans’ freedoms and subject them to myriad harms, such as surveillance by foreign governments and an increased risk of identity theft and fraud“,
so Chairman Andrew Ferguson. Auf X verstärkt er seine Meinung und gibt an, zuerst müssten die US-Gesetze befolgt werden. Wenn europäische Gesetze das nicht möglich machten, müssten sie ignoriert werden.
US-Regierung will die Tech-Welt auf Kurs halten
Das erinnert zum einen an die Streitigkeiten zwischen der EU und den USA rund um den Privacy Shield, der 2020 gekippt wurde, weil die US-Gesetze zur Weitergabe von Daten, auch aus der EU, nicht mit der DSGVO vereinbar waren. Zum anderen erinnert Fergusons Tonalität an Aussagen von Meta-Chef Mark Zuckerberg, mit denen dieser sich Anfang des Jahres in MAGA-Manier der US-Regierung anbiederte. Vom Vorbild X war darin die Rede, von zu strengen Regeln in Europa, von geheimen Gerichten in Lateinamerika und von einem „globalen Trend“ zur Einschränkung von US-Unternehmen. Dieser Entwicklung könne man nur mit der Hilfe der US-Regierung entgegensteuern.
Diese Regierung hat die FTC augenscheinlich im Griff. Andrew Ferguson ist selbst Republikaner und folgte in seiner Position Lina Khan, die gegen Monopole in der US-Tech-Landschaft gekämpft hatte, von Trump aber direkt gefeuert wurde. Ferguson ist auf Trumps Linie und hat sich zum Beispiel juristisch schon mit der der demokratischen Partei nahestehenden Non-Profit-Organisation Media Matters wegen der Entwicklung nach der Elon Musk-Klage zum vermeintlichen Werbeboykott auf X angelegt. Außerdem warnte er Google zuletzt, E-Mails von Republikaner:innen nicht durch Spamfilter oder ähnliche Systeme zu benachteiligen.
Jetzt stehen die europäischen Gesetze im Fokus. Und so warnt die FTC, dass die Richtlinien der Behörde unbedingt eingehalten werden müssten. Wenn man als Unternehmen zum Beispiel im Rahmen von EU-Gesetzen schwächere Schutzmaßnahmen einführen würde, könnte das als „irreführende Praktik“ und damit Bruch des FTC-Acts angesehen werden. Daher möchte die FTC von den Tech-Unternehmen Akamai, Alphabet, Amazon, Apple, Cloudflare, Discord, GoDaddy, Meta, Microsoft, Reddit, Signal, Snap, Slack und X wissen, wie sie die Regeln einzuhalten gedenken.
Was passiert, wenn man Gesetze ignoriert?
Dass Gesetze wie der DSA und die DSGVO eigentlich den Schutz der User ins Zentrum stellen und von den Tech-Unternehmen mehr Regulierung fordern, wird von der FTC nicht in dieser Deutlichkeit hervorgehoben. Nun wird es angesichts dieser klaren Ansagen von Ferguson spannend sein zu beobachten, ob die Big Player wie Google und Meta sich in Zweifelsfällen über europäische Gesetze hinwegsetzen, um der US-Vorgabe zu folgen. Das hätte etwa in der EU womöglich finanzielle Strafen zur Folge – es wäre aber auch nicht das erste Mal. Womöglich entbrennt aber angesichts der differierenden Digitalgesetze und der dahinterstehenden politischen Kräfte ein neuer Streit um die Regulierung von einflussreichen Tech-Unternehmen im internationalen Digitalraum. Dabei liegen zumindest im alltäglichen Handlungskontext manche Trümpfe aufseiten der USA, da die großen Tech-Player dort sitzen und sich deutlich an die US-Regierung angenähert haben.
Im schlimmsten Fall könnten die Unternehmen einzelne Dienste sogar aus Europa entfernen, wie es zuweilen in der Vergangenheit von Tech-Playern schon angedroht wurde. Das wäre für Millionen von Usern, den Werbemarkt und zahlreiche Business-Nutzer:innen von Nachteil. Und so kann man zumindest darauf hoffen, dass die ökonomischen Interessen von Meta, Apple und Co. ein möglichst diplomatisches Vorgehen fördern, das der FTC und US-Regierung in Teilen abgeht.
Der Artikel stammt von Niklas Lewanczik aus der OnlineMarketing.de-Redaktion und wird im Rahmen einer Content-Kooperation auf t3n veröffentlicht.