Warum Streiten lernen deine Karriere beflügeln kann – und wie du es meisterst

Wer argumentieren kann, der kann auch Karriere machen. Das ist die Quintessenz aktueller Forschung des MIT. Das Forschungsteam um Jackson Lu wollte herausfinden, welche Eigenschaften Menschen helfen, in Führungspositionen aufzusteigen. Dafür haben die Forschenden Angestellte zum Debattierklub gebeten und sich im darauffolgenden Jahr angeschaut, welche der Teilnehmenden eine Führungsposition erreichten.
In der Untersuchung bekamen Mitarbeitende der größten 100 Unternehmen in den USA ein neunwöchiges Debattierclub-Training. Nur 18 Monate später hatten sie gegenüber einer Kontrollgruppe eine zwölf Prozent höhere Chance, eine Führungsposition erreicht zu haben. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin „Applied Psychology“ publiziert.
Moment. Debattierklub? Bekannt sind sie vielleicht noch aus dem Studium, aber auch außerhalb der Hochschulen gibt es Debattierklubs. Etwa die Streitkultur-Vereine in Berlin. Der Debattierclub München steht auch nicht-Studierenden offen.
Streiten als Sport
Im Debattierklub treten immer zwei Teams gegeneinander an und ringen um ein Thema. So ein Thema könnte sein: Sollte die Vier-Tage-Woche eingeführt werden? Wer im Debattierklub auftritt, der kann sich dann auf die Sache vorbereiten, nicht aber auf seine Meinung. Das bedeutet: Das Thema einer Debatte ist vorab bekannt, die Position in der Regel nicht.
Erst zum Start wird ausgelost, welches der zwei Teams für oder gegen ein Thema ist – Regierung und Opposition, Pro oder Contra. Das macht die Vorbereitung besonders bereichernd, denn die Teilnehmenden informieren sich nicht nur einseitig über ein Thema. Sie recherchieren beide Perspektiven und können dadurch gut aufeinander eingehen. Dann wird debattiert. Jede Rednerin und jeder Redner hat sieben Minuten Zeit für den Vortrag, Zwischenfragen können zugelassen werden. Am Ende bewertet eine Jury, welches Team sich besser geschlagen hat.
So treffen sich die Mitglieder des Debattierklubs sogar zu überregionalen Turnieren. Im heimischen Klub-Betrieb ist die Haltung dagegen entspannter. Es wird geübt, konstruktives Feedback gegeben, jeder darf reden, keiner muss. Man lernt zu stehen, zu gestikulieren, zu sprechen. Und natürlich lernen die Mitglieder, wie sie eine Rede aufbauen und wie sie Kritik konstruktiv äußern. Der Verband der Debattierklubs an Hochschulen (VDCH) nennt dies „Debattiersport“: Es geht darum, es gut zu machen – es geht aber auch ums sportliche Gewinnen oder Verlieren.
Debattierklub: Streiten lernen heißt argumentieren lernen
Zum Debattierklub zu gehen, fühlt sich einschüchternd an. Schließlich sind hier die Menschen, die richtig gut diskutieren und streiten können. Doch die Lernkurve ist steil und die oben zitierte Studie von Lu belegt, dass sich das lohnt. Im Kern gehe es darum, Durchsetzungsfähigkeit zu lernen. Dies werde jedoch häufig missverstanden. „Durchsetzungsvermögen ist etwas anderes als Aggressivität“, gibt der Arbeitsforscher zu bedenken. „Um sich in Meetings oder im Unterricht zu äußern, muss man kein aggressiver Stinkstiefel sein.“ In einer Zeit, in der alle miteinander um Aufmerksamkeit ringen, gehe es vielmehr darum, zu lernen, wie man seine Haltung vertritt: „Man kann Fragen höflich stellen und trotzdem wirksam seine Meinung äußern. Das ist natürlich etwas anderes, als gar nichts zu sagen.“
Im Debattierklub betreten Menschen eine Bühne und treffen auf ein wohlwollendes Publikum. Dabei lernen sie, sich auszudrücken – Füllwörter wegzulassen oder im angemessenen Tempo zu sprechen, nennt MIT-Doktorandin Lu Doris Zhang als Beispiel. Gleichzeitig werde das Allgemeinwissen erweitert, die Rhetorik-Fähigkeiten verbessert und die Souveränität in der Präsentation geübt, so beschreibt es der VDCH.
Streitkultur für alle
Die Chancen, dass es in deiner Nähe einen Debattierklub gibt, sind ziemlich groß. Du findest ihn über eine einfache Internet-Recherche. Wenn dir dieser Schritt noch zu groß erscheint, kannst du einen Teil der Methode trotzdem für Meetings anwenden. Stell dir dafür in der Vorbereitung die Frage: Was, wenn das Gegenteil wahr wäre? Und dann nimm diese Frage ernst.
Charmant an der Forschung von Lu und Zhang ist, dass ihre Ergebnisse unabhängig von demografischen Merkmalen gelten, für Frauen und Männer, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund oder ethnische verschiedene Gruppen. Die positiven Effekte zeigten sich in allen Gruppen ungefähr gleich stark. So ist das Streiten-Lernen immer auch eine Chance, zum Beispiel, wenn Menschen lernen, dass sie sich durch viele schwache Argumente angreifbarer machen, als durch wenige wirklich starke.
Lu gibt in einer Mitteilung der Hochschule noch zu bedenken, dass sein Team den Aufstieg untersucht hat, also die Karriere von Menschen – nicht deren Wirksamkeit als Führungskräfte. „Es kann sein, dass Menschen, die bessere Zuhörer sind, kooperativer sind und bescheidener, ebenso für Führungspositionen ausgewählt werden sollten – weil sie effektivere Führungskräfte sind.“