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Interview

Was ist dran an der „Startup-Lüge“?

Startups sind trotz Bällebad und Kicker selten gute Arbeitgeber, sagt Jochen Kalka. In seinem Buch rechnet der Marketingexperte mit der Gründerszene ab. Ist das gerechtfertigt?

5 Min.
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Jochen Kalka, Autor der „Startup-Lüge“ (Bild: Thomas Dashuber)

Wenn jemand ein Buch über die Startup-Welt schreibt, kommen die Neugründungen darin meist gut weg. Startups gelten als coole Arbeitgeber, als Alternative zu trägen Konzernen und als Innovationstreiber und Ideengeber.

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Jochen Kalka, Chefredakteur des Branchenblatts Werben & Verkaufen, hält vehement dagegen: In seinem Buch „Die Startup-Lüge: Wie die Existenzgründungseuphorie missbraucht wird und wer davon profitiert“ rechnet er mit der Gründerszene ab. Keine Geschlechtergleichheit, unfaire Löhne, ausbeuterische Arbeitszeiten – so sieht Kalkas Welt der Startups aus. Aber kann das stimmen? Ist das gerechtfertigt? Im Interview stellt sich Jochen Kalka diesen Fragen.

t3n: Jochen, aus deiner digitalen Euphorie der letzten Jahre ist angeblich Ernüchterung geworden. Was meinst du damit?

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Jochen Kalka: Die digitale Revolution ist doch grundsätzlich eher ein Gewinn für die Gesellschaft. Wenn man sich überlegt, was sich in den vergangenen Jahren seit der Erfindung des Smartphones alles verändert hat, dann ist das Grund zur Freude. Aber wenn man sich ansieht, wie die digitale Transformation an vielen Ecken Heuchler und Seelenverkäufer hervorruft, wie sie Scheinheilige und Betrüger zur Geltung bringt, dann ist das für mich mehr als ernüchternd. Man sieht, wie wenige Startups gut durchdachte Ideen verfolgen, oft, ohne Markt oder Zielgruppen zu bedenken. Und man sieht, wie deren Geldgeber oft angelogen werden, um die nächste Finanzierungsrunde zu überleben. Natürlich gibt es auch tolle, weltverändernde Startups, doch die sind leider extrem selten.

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t3n: Duzen durch alle Hierarchieebenen, lockere Kleiderordnung und pompöse Titel als Ausgleich für ein faires Gehalt – das ist deinem Buch zufolge eine der Startup-Lügen. Also wenn du mir die drei Eigenschaften genannt hättest, hätte ich da auf die Agenturszene in der Werbung getippt.

Ja, da hast du einen neuralgischen Punkt getroffen. Dinge wie „Gratis-Pizza am Abend und dann weiterarbeiten“ und „Kicker im Büro statt Freizeit“ treffen definitiv in großen Teilen auch auf die Werbewirtschaft zu. Die Agenturbranche ist allerdings schon einen Schritt weiter als die Startup-Szene: Die Scheinfürsorge wurde durchschaut und immer weniger junge Menschen haben Lust an einem Agenturjob. Die Parallelen zwischen heutigen Startups und der Mad-Men-Ära der Werbezunft sind frappierend. Das Kreative im ursprünglichen Sinne, also das Schaffen, das Entstehenlassen, das verbindet beide Kulturen.

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t3n: Du kritisierst unter anderem den Frauenanteil und die Ungerechtigkeiten bei der Entlohnung. Das ist aber doch in Großunternehmen nicht anders – also was ist nun dein Vorwurf? 

Ausbeuterische Elemente gibt es in der Old Economy ebenso wie bei Startups. Ich war bei meiner Recherche nur sehr überrascht, dass Startups nicht moderner und emanzipierter sind. Die größte Ausbeutung erleben übrigens oft ausgerechnet die Gründer und Startup-Chefs selbst, weil bei ihnen ja kein Mindestlohn greift. Ich hatte schon gedacht, dass es bei heutigen Startups entschieden besser aussieht als in der etablierten Konzernwelt.

t3n: Was ist denn dort so ungerecht?

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Dass Frauen schon von vornherein deutlich weniger Geld von Investoren erhalten, als sie fordern, dass Männer mehr kriegen, als sie fordern, dass unter den Investoren nur elf Prozent Frauen sind, die meist anders entscheiden als Männer, dass in den USA lediglich zwei Prozent aller Startup-Investments in Frauenhände gelangen – all das macht mich mehr als stutzig. Und dann das Me-too-Desaster: Sexuelle Belästigung, vor allem unerwünschte Berührungen, kommen in Startups um ein Vielfaches häufiger vor als in anderen Unternehmen, selbst bei der Bundeswehr ist das Problem nicht so akut wie bei Startups.

t3n: Wenn es bei den Startups so schlimm zugeht, warum sind dann so viele Großkonzerne daran interessiert, sich „ihre“ Startups zu halten, sie in Hubs zu unterstützen oder mit Investitionen an sich zu binden?

Manager großer Konzerne geben sich gerne als moderne hippe Propheten. Wenn sie in Startups investieren, erhalten sie von Banken auch für maue Geschäftsbereiche leichter Geld. Das ist ein Teil der Motivation. Der zweite Teil ist Employer-Branding. Wenn ein Konzern in Startups investiert, macht ihn das einfach als Arbeitgebermarke interessanter. Hinzu kommt schlicht Gier und die Tatsache, dass auch Großkonzerne zukunftsfähige Technologien finden müssen. Startups können da oft deutlich mehr bieten als die eigene riesige Entwicklungsabteilung. Hierin liegt ja auch eine große Chance für Konzerne.

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t3n: Ist es einfach nur schick, wenn sich Zetsche in Cowboyboots auf der SXSW zeigt oder wenn CXOs von großen Konzernen  ins Silicon Valley eintauchen? 

Grundsätzlich ist es gut, wenn man sich andere Länder, vor allem das Silicon Valley, mal anschaut. Sei es, um zu sehen, dass auch dort nur mit Wasser gekocht wird, sei es, dass man dort auf Ideen kommt oder –das scheint mir das Wichtigste – um tolle Menschen kennenzulernen. Denn das Silicon Valley ist Magnet vieler positiv Verrückter. Allerdings sind diese Silicon-Valley-Touren fast schon zu einer Art Butterfahrt mutiert. Und daher zweifle ich bei vielen Managern und frage mich, ob sie wirklich mit neuen Ideen zurückkommen – oder ob sie anschließend nur ein Kreativzimmer einrichten.

t3n: Positiv verrückt? Das musst du erklären …

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Ich habe dort mal einen Investor gesprochen und gefragt, nach welchen Kriterien er über seine Investments entscheidet. Er sagte, er schaue überhaupt nicht auf das Geschäftsmodell. Er schaue in die Augen der Gründer. Wenn die leuchten, dann funktioniert auch eine Geschäftsidee. Wenn nicht die Idee von heute, dann eine von morgen. Das Beispiel illustriert glaube ich recht gut die unterschiedliche Beurteilung und Herangehensweise im Vergleich zu Deutschland.

t3n: Das Silicon Valley ist immer noch das gelobte Land, wenn es ums Erfinden und Gründen  geht. Vor rund 100 bis 150 Jahren waren die Deutschen das Volk der Erfinder. Was ist der Unterschied?

Der größte Unterschied: Siemens, Bosch und Daimler gaben für ihre Geschäftsidee natürlich ihren Namen her, standen damit für die Idee. Heute haben Startups viel zu oft den Exit im Kopf und schöpfen nicht das Potenzial selbst aus. Noch ein Unterschied, der mich nervt: dass Scheitern so zelebriert wird, bis hin zu den Fuckup-Nights. Ja, das Scheitern muss zugelassen werden, aber wer eine Privatinsolvenz und die Entlassung von Mitarbeitern einmal selbst durchlebt hat, weiß, „dass Scheitern Scheiße ist“. Sorry, aber das war nur ein Zitat eines Startup-Gründers, der gescheitert ist.

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t3n: Viele Elemente der Startups finden sich immer häufiger in Großunternehmen: die Freiheit in der Kleiderfrage, flexiblere, familienfreundliche Arbeitszeitmodelle, Kicker und Massagen in der Mittagspause. Ist das deswegen alles schlecht?

Wenn es in den Unternehmen nur ehrlich gelebt würde. Ich finde es albern, wenn Otto das Du verordnet, eine Nürnberger Versicherung offiziell die Krawatte abschafft und Vorstandsvorsitzende in knallroten Turnschuhen zur Bilanz-Pressekonferenz vor der Kamera herumtanzen. Unternehmen, die ernsthaft jungen Menschen mit ihren Ideen zuhören, die eine Innovationskultur haben, die jedem Mitarbeiter Freiräume lassen, die damit Hierarchieebenen abschaffen, sind nicht zu verurteilen. Aber wenn es nicht gelebt wird, dann ist es Show, dann ist es ein billiger Lockstoff, eine respektlose Verhöhnung der eigenen Mitarbeiter.

t3n: Am Ende relativierst du deine Thesen ja ein wenig, sprichst über digitale Transformation als positive Entwicklung, über die Wandelbarkeit der Startups, Kreativität und Freiräume. Also hat die Startup-Welt nicht nur schlechte Seiten?

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Die Startup-Kultur hat etliches Positives bewirkt.  Ich finde auch die grundsätzliche Idee von Startups, dieses Unkomplizierte, dieses Einfachmachen, dieses Miteinander wirklich großartig. Ich bewundere alle Startup-Treiber. Aber eben nur, wenn sie gradlinig und ehrlich sind. Das sind mit Sicherheit nicht gerade wenige – das gibt Hoffnung. Übrigens wäre es ein Leichtes gewesen, ein vergleichbares Buch über die größten Lügen der Old Economy zu schreiben. Aber das wäre überraschungsfrei, da wir deren Skandale und deren Fehlverhalten seit Jahrzehnten kennen.

t3nVielen Dank für das Gespräch.

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