Was können Roboter wirklich leisten? 6 wichtige Punkte, die du in Videos beachten solltest
Es ist gerade die Zeit der humanoiden Roboter. Zumindest kommt es Ken Goldberg so vor, einem umtriebigen Robotiker, der an der University of California Berkeley die Forschung auf diesem Gebiet leitet und mehrere Robotikunternehmen gegründet hat.
Derzeit fließt einiges an Geld in Startups mit humanoiden Robotern, darunter zum Beispiel in die Kassen von Figure AI, das Anfang dieses Jahres 675 Millionen US-Dollar eingenommen hat. Agility Robotics wiederum hat die Pilotphase hinter sich gelassen und nach eigenen Angaben die erste Flotte von humanoiden Robotern in einer Spanx-Fabrik in Georgia in Betrieb genommen.
Roboter-Videos als Marketinginstrument
Aber was das Gefühl einer Hoch-Zeit von humanoiden Robotern wirklich verdeutlicht, sind die Videos. Scheinbar jeden Monat gibt es ein neues stimmungsvolles, futuristisches Video, in dem ein Humanoid intensiv (oder entnervt) in die Kamera starrt, herumspringt oder Dinge in Stapeln sortiert. Manchmal sprechen sie sogar.
Solche Videos sind in der Robotik derzeit hochaktuell. Wie Goldberg sagt, kann man nicht einfach einen humanoiden Roboter zu Hause in Gang setzen und mit ihm herumspielen, wie es mit der neuesten Version von ChatGPT möglich ist. Für jeden, der auf der KI-Welle mitschwimmen oder seine Fortschritte demonstrieren möchte – wie ein Startup oder ein Akademiker, der eine Laborfinanzierung anstrebt – ist ein gutes Video mit Humanoiden das beste verfügbare Marketinginstrument. „Die Bilder, das Visuelle und die Videos – sie haben eine große Rolle gespielt“, sagt er.
Sieht man sich einige Dutzend von diesem Jahr an, schwankt man häufig zwischen beeindruckt, erschrocken, aber auch mal gelangweilt. Worauf muss man genau achten? Goldberg hat einige einordnende Tipps.
1. Ferngesteuert oder nicht?
Zunächst ein paar Grundlagen. Die wichtigste Frage ist, ob ein Roboter von einem Menschen aus dem Off ferngesteuert wird und die Aufgaben nicht selbstständig ausführt. Leider kann man das nicht immer zweifelsfrei feststellen, es sei denn, das Unternehmen gibt es im Video bekannt – was nicht immer der Fall ist. In einem von Tesla veröffentlichten Video Anfang des Jahres sieht man hingegen, dass ab und zu ein Kontrollhandschuh am rechten Bildrand auftaucht, der die Bewegungen für den Roboter ausführt.
2. Auswahl des Videos
Das zweite Problem ist die Verzerrung der Auswahl. Wie viele Aufnahmen waren notwendig, um die perfekte Aufnahme zu machen? Wenn ein Humanoid eine beeindruckende Fähigkeit zum Sortieren von Gegenständen zeigt, aber 200 Versuche benötigt, um die Aufgabe erfolgreich zu lösen, hilft das, seine Trefferquote realistisch zu beurteilen.
3. Ist das Video im Zeitraffer aufgenommen?
Und schließlich: Wurde das Video beschleunigt? Oft ist das völlig in Ordnung, wenn Dinge übersprungen werden, die nicht viel über den Roboter aussagen („Ich möchte nicht zusehen, wie die Farbe trocknet“, sagt Goldberg). Wenn das Video jedoch beschleunigt wird, um absichtlich etwas zu verbergen oder den Roboter effektiver erscheinen zu lassen, als er tatsächlich ist, sollte man dies bei der Bewertung der Fähigkeit im Hinterkopf behalten. All diese Bearbeitungsentscheidungen sollten im Idealfall vom Roboterunternehmen oder -labor offengelegt werden.
4. Auf die Roboter-Hände achten
In Videos von humanoiden Robotern werden die Hände des Roboters zur Schau gestellt, indem sich die Finger sanft zu einer Faust ballen. Eine Roboterhand mit so vielen nutzbaren Gelenken ist in der Tat komplexer als die Greifer von Industrierobotern, sagt Goldberg, aber diese humanoiden Hände können möglicherweise nicht das, was die Videos manchmal suggerieren.
Zum Beispiel werden humanoide Roboter oft dabei gezeigt, wie sie beim Gehen eine Kiste halten. Die Aufnahme könnte den Eindruck erwecken, dass sie ihre Hände wie Menschen benutzen, indem sie ihre Finger unter die Kiste schieben und sie anheben. Aber oft, so Goldberg, drücken die Roboter die Kiste nur horizontal, wobei die Kraft von der Schulter ausgeht. Es funktioniert trotzdem, aber nicht so, wie man es sich vorstellt. In den meisten Videos sind die Hände überhaupt nicht zu sehen, was nicht verwunderlich ist, da die Fingerfertigkeit der Hände eine enorm komplizierte Technik erfordert.
5. Wie sieht die Umgebung aus?
Die neuesten humanoiden Videos zeigen, dass Roboter immer besser gehen und sogar laufen können. „Ein Roboter, der schneller rennen kann als ein Mensch, steht wahrscheinlich kurz vor dem Durchbruch“, sagt Goldberg.
Dennoch ist es wichtig, darauf zu achten, wie die Umgebung des Roboters im Video aussieht. Gibt es Unordnung oder Staub auf dem Boden? Kommen ihm Menschen in die Quere? Gibt es Treppen, Geräte oder rutschige Oberflächen in seinem Weg? Wahrscheinlich ist das nicht der Fall. Die Roboter zeigen ihre – zugegebenermaßen beeindruckenden – Leistungen im Allgemeinen in unberührten Umgebungen, nicht aber in Lagerhäusern, Fabriken und anderen Orten, an denen sie angeblich neben Menschen arbeiten werden.
Welche Fortschritte die Robotik dank KI tatsächlich gemacht hat, berichten wir in der Ausgabe 5/2024 von MIT Technology Review. Hier könnt ihr die TR 5/2024 als Print- und pdf-Ausgabe bestellen.
6. Tricks bei der Nutzlast eines Roboters
Humanoide sind manchmal nicht so stark, wie die Videos ihrer körperlichen Leistungen vermuten lassen. Viele von ihnen können nicht einmal einen Hammer auf Armlänge halten. Sie können mehr tragen, wenn sie das Gewicht nahe am Körperkern halten, aber ihre Tragfähigkeit schwankt dramatisch, wenn sie die Arme ausstrecken. Achte darauf, wie Roboter Kisten von einem Band zum anderen transportieren, denn diese Kisten könnten leer sein.
Bei all dem Hype um humanoide Roboter stellen sich noch unzählige andere Fragen, nicht zuletzt die nach dem Preis, den diese Maschinen am Ende kosten werden. Aber vielleicht bietet diese Einordnung zumindest eine bessere Sichtweise auf die Roboter, die immer mehr an Bedeutung gewinnen.