Wende in der deutschen Digitalpolitik? Was das neue Digitalministerium wirklich bewegen kann

Die Ernennung von Karsten Wildberger zum Minister für Digitalisierung und Staatsmodernisierung war zweifellos die größte Überraschung im Zuge der Regierungsbildung. Ein Quereinsteiger aus der Wirtschaft, bislang ohne erkennbare politische Ambitionen, sorgt seither für Diskussionen. Zwar lassen sich seine fachlichen Kompetenzen mit Blick auf frühere Führungspositionen bei Eon, mehreren Telekommunikationsunternehmen und dem Elektronikhändler Ceconomy nachvollziehbar belegen – dennoch bleibt bemerkenswert, wie weitreichend die Zuständigkeiten des neu geschaffenen Bundesministeriums für Digitalisierung und Staatsmodernisierung (BMDS) sind.
Das BMDS übernimmt Aufgaben aus fünf bestehenden Ressorts – darunter auch aus dem Kanzleramt. So wechselt beispielsweise das Informationstechnikzentrum Bund (ITZ Bund), bisher beim Bundesfinanzministerium angesiedelt, in die neue Zuständigkeit. Zusätzlich hat das Innenministerium mehrere Referate aus dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) überführt – organisatorisch verbleiben diese aber weiterhin am Standort Bonn.
Weniger weit fortgeschritten ist bislang die infrastrukturelle Ausstattung des BMDS: Übergangsweise residiert das neue Ministerium am Salzufer in Berlin, in einem Gebäudekomplex, in dem zuvor digitale Fachabteilungen des Innenministeriums untergebracht waren. Auch die Website wirkt zum aktuellen Zeitpunkt noch provisorisch und ausbaufähig.
Ein Meinungsumschwung – warum jetzt doch ein Digitalministerium
Besonders bemerkenswert ist die politische Kehrtwende hin zur Schaffung eines eigenen Digitalministeriums. Sowohl die vorherige große Koalition als auch die Ampel-Regierung hatten sich stets gegen ein solches Vorhaben ausgesprochen – wenn auch aus unterschiedlichen Erwägungen heraus. Während die GroKo Digitalisierung als Querschnittsaufgabe verstand, die ressortübergreifend gedacht werden müsse, verwies man auf potenzielle Kompetenzkonflikte mit bestehenden Häusern wie dem Innen-, Verkehrs- oder Wirtschaftsministerium.
Die Ampelregierung wiederum setzte im Koalitionsvertrag auf eine koordinierende Digitalstrategie und schuf mit dem „Beauftragten der Bundesregierung für Digitales“ (seit 2022: Volker Wissing, FDP) ein Bindeglied – nicht ohne innerkoalitionären Streit. Die Entscheidung der aktuellen Regierung, ein eigenständiges Ministerium zu etablieren, basiert auf der Diagnose, dass zentrale Vorhaben wie Verwaltungsdigitalisierung, Breitbandausbau oder digitale Identitäten in den vergangenen Jahren zu wenig Fortschritt erzielt hätten. Ein eigenes Ministerium soll nun klare Verantwortlichkeiten schaffen und die bislang zersplitterten Strukturen bündeln.
Verwaltungsmodernisierung als Mammutaufgabe
Ob es Wildberger gelingt, ressortübergreifende Steuerung und Projektmanagement spürbar zu verbessern, bleibt abzuwarten. Fest steht: Das BMDS bekommt ein breites Aufgabenspektrum. Im Zentrum steht die Modernisierung der Verwaltung – insbesondere im Zuge des Neustarts des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Ziel ist es, digitale, benutzerfreundliche Verwaltungsservices für Bürger:innen und Unternehmen zu schaffen. Der erste OZG-Anlauf scheiterte an der Komplexität und der riesigen Zahl an konkurrierenden Fachverfahren – ob Künstliche Intelligenz und Automatisierung künftig zur Standardisierung und Vereinheitlichung der zahlreichen in den Ländern konkurrierenden Lösungen beitragen können, ist offen.
In Fachkreisen wird zudem verstärkt über den sogenannten „Deutschland-Stack“ diskutiert: ein technologisches Ökosystem auf Basis offener Standards, digitaler Souveränität und europäischer Werte. Sicherheitsanforderungen des BSI sollen dabei durchgängig berücksichtigt werden. Wenn eine solche Lösung besteht, soll diese mit den Lösungen anderer Länder kompatibel sein, was insbesondere im Hinblick auf grenzüberschreitenden Handel und Geschäftsbeziehungen erstrebenswert wäre.
Auch in der Netzinfrastruktur hat das BMDS einen entscheidenden Hebel. Hier bringt Wildberger einschlägige Erfahrungen aus der Telekommunikationsbranche mit. Gerade beim Ausbau von Glasfaser- und 5G-Netzen besteht weiterhin erheblicher Nachholbedarf – ein Dauerbrenner der deutschen Digitalpolitik.
Hinzu kommt: Das BMDS erhält (im Rahmen des Zustimmungsvorbehalts) Mitspracherecht bei einer Vielzahl an IT-Fragen in der Bundesverwaltung – mit Ausnahmen in Bereichen wie Verteidigung, Nachrichtendiensten und Steuerwesen. Ein weiteres zentrales Thema ist der gesetzliche Rahmen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Wirtschaft und Gesellschaft. Hier geht es nicht nur um technische Standards, sondern auch um ethische Leitlinien und die Balance zwischen Innovationsfreude und Regulierung.
Entscheidende Jahre: Ohne europäische Zusammenarbeit geht es nicht
Das BMDS wird gerade diese KI-spezifischen Themen jedoch nicht allein verhandeln, sondern innerhalb europäischer Strukturen deutsche Interessen vertreten und Akzente setzen müssen. Klar ist aber schon jetzt, dass für diese Thematik die kommenden Jahre entscheidend sein werden. Denn abzuwägen ist hier zwischen den Interessen der Wirtschaft, die in der Regel möglichst weitreichende Freiheiten und Spielräume sucht, und den ethisch-moralischen Vorgaben.
Mit dem BMDS entsteht ein Ministerium mit weitreichenden Kompetenzen und hohen Erwartungen. Die Herausforderung liegt jetzt darin, ambitionierte Ziele mit konkreten Maßnahmen zu unterfüttern – und dem digitalen Deutschland endlich mehr Tempo zu verleihen. Wildberger und sein Haus werden sich daran messen lassen müssen, ob es ihnen gelingt, die digitalen Themen mit Leben zu füllen und mit anderen europäischen Ländern vergleichbarer Größe und Struktur Schritt zu halten. Denn hier liegt Deutschland im internationalen Vergleich in vielerlei Hinsicht weit hinten.