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Marketing mit Haltung: Jetzt wollen alle die Welt verbessern

Für Umweltschutz, gegen Sexismus: Die Werbung beschwört das große „Wir“-Gefühl. Das zeigt sich auch und gerade in der Coronakrise. Doch das kann ein schmaler Grat sein.

4 Min. Lesezeit
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Die Coronakrise beflügelt das „Wir“-Gefühl, auch in der Werbung. (Foto: Peter_Fleming / Shutterstock)

Corona hat auch die Werbung verändert. Auf Plakaten und in Fernsehspots war zuletzt viel von „Wir“, „Uns“ und „Solidarität“ die Rede. Nicht nur Behörden wie das Bundesgesundheitsministerium appellierten mit Slogans und Schlagworten wie #FürMichFürUns an den Gemeinschaftssinn. Auch große Konzerne, von denen man dergleichen womöglich weniger erwartet hätte, stimmten ein. „Plötzlich haben (nahezu) alle Marken nur noch ein Thema: wie menschlich, sympathisch und zugänglich sie sind“, beobachtet der Hamburger Markensoziologe Oliver Errichiello.

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Beispiel Coca-Cola. In einer seit Monaten kaum zu übersehenden Kampagne des Getränkeherstellers heißt es: „Lasst uns offen für das Neue bleiben – so offen wie nie zuvor.“ Nicht jeden überzeugt das. Das seien Slogans, als wären sie im Politbüro erdacht worden, hieß es im Sommer in einer Spiegel-Glosse. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur sagt Coca-Cola: „Die Kampagne gründet in der Überzeugung, dass wir nicht zur Normalität zurückkehren müssen, sondern gemeinsam voranschreiten und die Welt anders – und besser – machen können.“

Bereits vor der Coca-Cola-Kampagne und auch schon vor der Coronakrise war zu beobachten, dass sich Unternehmen mit ihrer Werbung verstärkt zu gesellschaftlichen Themen positionieren – oder anders ausgedrückt: Haltung zeigen. In der Werbebranche hat sich dafür das Schlagwort „Purpose“ geprägt (engl.: Zweck/Ziel/Sinn). „Es gibt seit geraumer Zeit in Marketing- und Werberkreisen die Idee, einen höheren Sinn hinter dem wirtschaftlichen Tun zu zeigen oder diesen zu finden“, sagt der Werbepsychologe Joost van Treeck, der an der Hochschule Fresenius lehrt.

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Haltung zeigen boomt

Im Corona-Jahr 2020 boomten solche Purpose- oder Haltungskampagnen. Sichtbar wurde das etwa im Lebensmitteleinzelhandel. So wandelte der Discounter Penny seinen Slogan „Erstmal zu Penny“ ab und warb mit #erstmalzuhause. Das klang fast schon wie von der Bundesregierung: Das Gesundheitsministerium nutzte zuletzt Sprüche wie „Ich will wieder tanzen. Dafür fahr ich jetzt Kontakte runter“ oder „Ich will wieder im Stadion jubeln. Dafür lüfte ich jetzt auf Arbeit ständig“, um die Menschen zu coronakonformem Verhalten zu bringen.

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„Unter dem Motto ‚Wir sind alle nur Menschen und kämpfen gemeinsam gegen das Virus‘ machen sich die größten Marken ganz klein“, meint Markensoziologe Errichiello. „Die eigentliche Leistung des Unternehmens, der Grund, weshalb die Menschen bereit sind, ihr schwer verdientes Geld auszugeben, rückt immer mehr in den Hintergrund.“ Aus Errichiellos Sicht schwächen sich Unternehmen und machen sich austauschbar. „Kunden kaufen Leistungen und keine Gefühle“, sagt er. „Konkret wäre doch stattdessen, wenn ein Unternehmen damit werben würde, dass man seine Mitarbeiter für die tolle Arbeit doppelt so hoch bezahlen würde: Das hilft auch den Kunden, die auf motivierte Mitarbeiter träfen. Das ist soziales Handeln.“

Ein frühes Beispiel für Haltungskampagnen ist das Modeunternehmen Benetton, das seit den 80er Jahren auf den Schock-Fotografen Oliviero Toscani setzte. „Die Werbung zeigte keine bunten Pullover mehr, sondern Kriege, Tote und Krankheiten“, erklärt Errichiello. Weniger drastisch als Benetton und dennoch wirksam, um Aufmerksamkeit zu erregen, war 2019 ein Anti-Sexismus-Werbespot von Gillette, mit dem der Rasierklingenhersteller für ein neues Männerbild jenseits von Machismo eintrat. Und jüngst thematisierte der Möbelriese Ikea in Tschechien mit einem vermeintlichen Horror-Video das Problem der häuslichen Gewalt in dem Land.

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Konsumenten in Deutschland stehen Unternehmen, die eine Meinung zu einem Thema äußern, generell offen gegenüber – zu diesem Ergebnis kam jüngst eine Untersuchung des Marktforschungsinstituts Yougov. „Zwei Drittel (66 Prozent) sagen, dass Unternehmen und ihre Marken ausdrücken können sollten, wie sie zu einem Thema stehen. (…) Für Marken ist es dennoch ein schmaler Grat zwischen dem Übernehmen von sozialer Verantwortung beziehungsweise dem Äußern einer Haltung zu gesellschaftlich relevanten Themen und der Gefahr, Kunden durch klare Standpunkte zu vergraulen und sogar unglaubwürdig zu wirken“, hieß es von Yougov.

Greenwashing als Gefahr

Joost van Treeck erinnert an Debatten um sogenanntes Greenwashing. Für Unternehmen sei es ein gefährliches Spiel, sich einem Thema wie Nachhaltigkeit zu verschreiben, sich also einen grünen Anstrich zu geben, dann aber nicht stringent danach zu handeln. Joan Bleicher, Professorin am Institut für Medien und Kommunikation an der Universität Hamburg, sagt: „Aktivitäten etwa im Bereich Umweltschutz statt bloßer Marketing-Slogans könnten zur Glaubwürdigkeit beitragen. Dennoch bleibt jedoch eine potenzielle Skepsis gegenüber den Produktmärchen der Werbung erhalten.“

Zurück zu Coca-Cola. Wie untermauert der Brausehersteller das Ansinnen der „Offen wie nie zuvor“-Kampagne, die Welt ein bisschen besser machen zu wollen? Coca-Cola verweist auf Anfrage unter anderem darauf, die eigenen Gastronomiepartner während der Coronakrise finanziell zu unterstützen. Auch der Lebensmittel-Discounter Penny will seine #erstmalzuhause-Kampagne nicht als ein Aufspringen auf einen Marketing-Zug verstanden wissen. So zeige Penny bereits mit einem „klaren Bekenntnis zu sexueller Toleranz“ – symbolisiert über Regenbogenflaggen an den Märkten – regelmäßig Haltung, betont ein Sprecher.

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Werbepsychologe van Treeck sagt, Unternehmen müssten bei ihren Kampagnen aufpassen, nicht zu erzieherisch zu werden. „Wir alle haben, in unterschiedlicher Ausprägung, einen inneren Bock. Der kommt immer dann zum Vorschein, wenn wir uns zu sehr gegängelt fühlen. Die Reaktion ist Trotz. Wer Kinder hat, weiß, was das bedeuten kann.“ dpa

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Dein t3n-Team

Lita Haagen

Greenwashing ist die Kluft zwischen Storytelling und Storydoing

Ohne Strategie kein Ziel, kein Weg, kein Ankommen
Bevor ich eine Strategie wähle, muss die Geschichte klar sein, die ich vermitteln will.
Damit meine ich all das, was mein Wunschkunde fühlt, denkt, erinnert und weiß, soweit es um mich und mein Unternehmen geht. Das ist die Summe aller seiner direkten und indirekten Erfahrungen mit mir und meinem Unternehmen.

Damit das authentisch und sympathisch über alle Kanäle und an allen Berührungspunkten rüberkommen kann, muss die Geschichte klar, einfach und wahrhaftig sein.

Sie zeigt, dass mein Produkt genau dir genau jetzt am besten weiter hilft, mein lieber Traumkunde.
Sie macht sichtbar, warum wir einander ähnlich sind und dass wir die gleichen Werte haben.
Sie vermittelt dir ein angenehmes Gefühl der Vertrautheit und des Vertrauens.
Sie macht dir deutlich, wie sehr ich dich wertschätze und auch, dass ich ein ehrbarer Kaufmann bin, der seine eigenen Grenzen setzen kann.
Außerdem lässt dich meine Geschichte fühlen, wie schön es sein wird, wenn du endlich mein Produkt hast und wie genau es dir dabei helfen wird, deine Sehnsucht zu erfüllen.
Du merkst sofort, wie einfach das Produkt zu erwerben und anzuwenden ist.
Du siehst ein, dass es unsinnig, wenn nicht gar gefährlich für dich wäre, noch länger zu warten, gerade in deiner Situation.
Du freust dich schon auf das Produkt.
Deine Freunde werden dich darum beneiden.
Du kannst es kaum erwarten, ihnen von meinem Produkt zu erzählen.

Dafür muss ich sehr genau wissen, wer mein Traumkunde ist. Wie er seine Situation erlebt, was er genau fühlt und wie er sich stattdessen gerne fühlen würde.
Ich muss wissen, was ihm wichtig ist, womit er sich identifiziert.

Ich muss auch sehr genau wissen, wer ich selbst bin, welche meiner Eigenschaften, Erfahrungen, Werte und Standpunkte, Fähigkeiten und Kenntnisse dazu beitragen, dem Kunden ein außerordentlich positives Gesamterlebnis vom ersten Kontakt bis zur Erfahrung als mein langjähriger Stammkunde zu bereiten.

„Kunden kaufen Leistungen und keine Gefühle“. Damit hat der Hamburger Markensoziologe Oliver Errichiello sicher recht. Allerdings wollen sie ein gutes Gefühl haben, wenn sie meine Leistung kaufen.

Unaufrichtiges, durchschaubares und ärgerliches Greenwashing mit kontraproduktivem Marketingeffekt ist das Ergebnis, wenn die Unternehmenshaltung von Marketingexperten am Reißbrett entworfen und dem Unternehmen übergestülpt wird.

Das funktionierte vor dem Internetzeitalter schon nur mit größter Disziplin. Allerdings war die Konstruktion und das Aufrechterhalten eines künstlichen Images leichter, als nur selbst hergestellte oder gezielt in Auftrag gegebene Publikationen und Aktionen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Selbst die Presse meldete sich zu einem Gespräch an und gab Gelegenheit zur wohlformulierten Stellungnahme, bevor sie etwas in die Welt setzte.

Heute ist das grundlegend anders. Jeder Mitarbeiter, Kunde und Lieferant kann seine Erfahrungen veröffentlichen. Wer möchte, kann sich mit einer einzigen kostenlosen Suchanfrage hunderte von offiziellen und nicht-offiziellen Informationsquellen zu einem Unternehmen erschließen.
Die Kluft zwischen Reden und Handeln ist deutlich sichtbar und wird überall im Netz eifrig diskutiert.
Das ist der Unterschied zwischen Storytelling und Storydoing.

Hieß es nicht einmal „Tue Gutes und rede darüber“?
Jetzt scheint bei vielen Unternehmen und Konzernen wie auch bei Politikern nur noch zu gelten, „Rede was das Volk hören will und verheimliche, was du wirklich tust.“
Bis jetzt ist das nicht völlig erfolglos, aber es wird schwieriger.

Kunden begreifen mehr und mehr die ökonomische und politische Macht ihrer Kaufkraft.
Sie belohnen und bestrafen gezielt Unternehmen aufgrund ihrer Haltung, ihrer Werte und ihrer Aufrichtigkeit.
Dabei verlangen sie nicht einmal Perfektion. Sie selbst schaffen es nicht, ihre hohen Werte überall und auf jeder Ebene konsequent zu verwirklichen. Sie wissen, wie mühsam und teuer das ist.
Sie suchen keine Engel.
Sie möchten als Menschen gemeinsam mit anderen Menschen an einem Strang ziehen und mit Stolz zeigen, wen sie unterstützen. Sie sind selbstbewusster geworden und stellen Fragen.
Schließlich gilt: „Sage mir, was du kaufst und ich sage dir, wer du bist.“

Storytelling und Storydoing in Einklang zu bringen, fällt leicht, wenn die Geschichte des Unternehmens und des Unternehmers nicht nach markenpsychologischen Gesichtspunkten erfunden, sondern im Unternehmer und seinem Unternehmen selbst gefunden wird.

Die Wahrheit ist so viel leichter zu kommunizieren als die Lüge.
Lüge muss ständig überwacht und kontrolliert werden.
Wahrheit darf sich entfalten.

Wir haben als Unternehmer im Internetzeitalter nicht mehr die Kontrolle über die Informationen.
Im Netzwerk entsteht etwas Eigenständiges, Chaotisches, das nicht geplant werden kann.

Gelingt es uns, die Kontrolle aufzugeben?
Schaffen wir es, integer zu sein und zu sagen, was wir denken und zu tun, was wir sagen?

Dann sind Anbieter und Kunde in Resonanz miteinander.

Das ist die zeitlose Grundlage für alle Produktentwicklung und Marketing Aktivitäten.
Diese wahrhaftige Geschichte kann nur vom Unternehmer selbst herausgefunden und gelebt werden.

Ich helfe dabei mit Storytelling zur Persönlichkeits- und Business Entwicklung.

Antworten
Kantenhuber

Die meisten Geschäftsmodelle sind dem Prinzip nach weder umweltverträglich noch gesellschaftlich wirklich wichtig oder aufbauend, geschweige denn sinnvoll. Die Werbung danach muss also zwangsläufig manipulativ sein. Nur eine Haltung zu vermitteln, ist demnach genau so manipulativ, wie zuvor auch. Und wird von den meisten Menschen inzwischen auch so wahr genommen. Daraus ergibt sich ein noch verstärkender Effekt.

Im Grunde muss es darum gehen, dass die seit Jahrzehnten eingerissene Masche der werbetreibenden Wirtschaft, ihren Nutzern mit unlauteren Geschichten zu kommen, ein neues Vertrauen dagegen gestellt wird.

Antworten

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