Wie der Klimawandel den Lebensraum für Quallen vergrößert – und warum das ein Problem ist

Die Kompassqualle zeichnet sich durch ihre goldbraune Farbe aus. (Symbolfoto: Shutterstock)
Steigende Wassertemperaturen aufgrund des Klimawandels, Überfischung und zunehmende Nährstoffverschmutzung (etwa durch Stickstoff und Phosphor) bringen die Ozeane gehörig durcheinander. Keine attraktive Umgebung für Lebewesen könnte man denken. Doch eine bestimmte Gruppe sind unerwartete Nutznießer von diesem Trend: Quallen.
Die gallertigen, transparenten Nesseltiere, Rippenquallen und frei im Wasser schwebenden Manteltiere kommen mit den sich verändernden Bedingungen gut zu recht. Sogar so gut, dass Forscher schon seit Jahren vor einer „Verquallung“ der Ozeane warnen. Besonders fatal könnte der Quallen-Überhang für die Arktis werden. Denn der Arktische Ozean erwärmt sich sehr viel schneller als die anderen Meeresgebiete der Erde.
Noch dominieren Fische das Nahrungsnetz der Arktis. Von ihnen leben nicht nur Wale und Robben, sondern auch die Menschen. Immerhin stammen rund zehn Prozent der Weltfischereierträge aus arktischen Gewässern.
Hungrige Quallen
Mit der Zunahme von Quallen könnte sich das allerdings schon in wenigen Jahrzehnten ändern. Die Glibbertiere sind gefräßige Räuber, die den Fischen, die von Plankton leben, schlichtweg das Essen wegfressen. Nicht nur das: Sie fangen und verdauen auch Fischlaven, dezimieren damit den Nachwuchs, und haben damit großen Einfluss auf die heutigen Nahrungsnetze.
Computersimulationen der wissenschaftlichen Nachwuchsgruppe „Arktische Quallen“ am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven deuten darauf hin, dass die wichtigsten Quallenarten in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ihren Lebensraum erheblich nach Norden ausdehnen werden. Die als „Feuerqualle“ bekannte Gelbe Haarqualle könnte die Größe ihres Lebensraums sogar verdreifachen.
„Übt der Klimawandel Stress auf die Meeresbewohner aus, können sich die Nesseltiere oft gegen Nahrungskonkurrenten wie Fische durchsetzen. Das hat dann wiederum Folgen für das ganze Nahrungsnetz und letztlich auch die Fische selbst“, erklärt Dmitrii Pantiukhin, Erstautor der Simulations-Veröffentlichung und Doktorand in der Nachwuchsgruppe.
„Denn viele Quallen ernähren sich von Fischlarven und Eiern und verzögern oder verhindern so eine Erholung von unter Druck geratenen Fischpopulationen, die zudem meist auch noch durch den Menschen stark bewirtschaftet werden. Wer also wissen will, wie sich die auch für uns wichtige Nahrungsquelle Fisch in Zukunft entwickeln wird, muss die Quallen in den Blick nehmen.“
Bis zu 3.000 Metern Tiefe
Anders als bisher, berechneten die Autoren der Nachwuchsgruppe die Ausbreitung der Gallerttiere nicht nur in der Nähe der Oberfläche, sondern bis in eine Tiefe von 3.000 Metern. Denn gerade die Verbreitung von unterschiedlichen Quallengemeinschaften ist extrem abhängig von der Wassertiefe.
Dazu koppelten die Forscher vorhandene Artverbreitungsmodelle mit den ozeanographischen Komponenten eines am Max-Planck-Institut für Meteorologie entwickelten Erdsystemmodells. „Durch diese Kopplung konnten wir dann für acht bedeutende Quallenarten berechnen, wie sich deren Verbreitung ausgehend vom Referenzzeitraum 1950 bis 2014 bis in die zweite Hälfte des laufenden Jahrhunderts 2050 bis 2099 verändern wird“, sagt Charlotte Havermans, die Leiterin der Quallen-Nachwuchsgruppe am AWI.
Mehr Licht, mehr Plankton
Das Ergebnis: Alle Quallenarten bis auf eine können bis zur zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ihren Lebensraum teilweise ganz erheblich polwärts ausdehnen. Der Rückgang der Meereisbedeckung fördert die Ausbreitung zusätzlich, weil sich das Wasser erwärmt und es wegen der Lichtzunahme mehr Planktonnahrung gibt. Lediglich eine der untersuchten Arten wird sich ihrem Temperaturoptimum folgend in größere Tiefen zurückziehen.
Wie sich die Ausbreitung der Nesseltiere auf die Fischbestände im Nordatlantik und in der Arktis auswirken wird, ist noch nicht abschließend geklärt. Doch: „Vieles spricht dafür, dass wichtige arktische Fischarten wie der Polardorsch, dessen Larven und Eier häufig von Quallen gefressen werden, noch stärker unter Druck geraten“, vermutet Havermans. Deshalb müssten auch die Management-Pläne für die Fischerei diese Entwicklung berücksichtigen, um den Zusammenbruch dieser stark befischten Bestände zu vermeiden.
Die Vermehrung von Quallen verlangsamt auch die so genannte biologische Pumpe in den Meeren, wie seit langem bekannt ist. Absinkende tote Organismen und von Bakterien zersetzte Stoffwechselprodukte entziehen der Atmosphäre normalerweise einen Teil der Kohlendioxidemissionen. Quallen setzen aber Stoffe frei, die die Bakterien eher in ihrem Stoffwechsel veratmen und als CO2 wieder an die Atmosphäre abgeben. Die Quallenausscheidungen taugen nicht besonders gut zum Bakterienwachstum. Treten Quallen in Massen auf, verringert sich der Kohlenstofftransport von der Meeresoberfläche in die Tiefsee um 10 bis 15 Prozent.