Wer sich ein bisschen mit Virtualisierungssoftware für den Mac beschäftigt hat, der kennt vielleicht die quelloffene, kostenlose und seit Anfang 2021 im App-Store zu findende Software UTM. Damit ist es möglich, Linux oder Windows in einer virtuellen Maschine (VM) zu installieren. Der Vorteil dieser Lösung: macOS bleibt weiterhin das Haupt-Betriebssystem und Windows 11 zum Beispiel läuft nur virtuell in einem Fenster. Der Nachteil: Diese Lösung ist in der Regel langsamer als eine vollständige Installation, da ja beide Betriebssysteme gleichzeitig auf dem Rechner laufen müssen. Ähnliche Programme wie UTM für den Mac sind Virtualbox, Parallels oder VMware Fusion.
So weit, so bekannt. Neu ist nun, dass mit UTM SE auch eine Version für iOS und iPadOS erschienen ist. Das ist insofern besonders, weil sich Apple bisher weigerte, entsprechende Apps im App-Store anzubieten. Da iPhone und iPad aber mit ihren Betriebssystemen weitaus mehr abgeriegelt sind als macOS, war es bisher kaum möglich, den App-Store zu umgehen und somit Apps zur Virtualisierung von Systemen zu installieren. Bis jetzt, denn Apple gab die App nun doch frei und uns damit die Möglichkeit, sie direkt auszuprobieren. Und zwar, um einen Spieleklassiker aus dem Jahr 1995 zu zocken!
iPad Pro M4 mit Windows XP
Wir entscheiden uns für die Installation auf einem iPad Pro mit M4-Chip (unser Test). Zum einen, weil Windows auf einem iPhone sicher wenig Spaß bringt (sorry, Microsoft), zum anderen, weil wir hoffen, mit dem neuesten Apple-Prozessor genug Leistung für unser Vorhaben zu bekommen.
Unser Ziel ist, die App zu installieren, Windows XP darin virtuell zu betreiben und das Strategiespiel Conqueror A.D. 1086 darin zu spielen. Wer diesen Klassiker nicht kennt: Conqueror wurde 1995 von Sierra On-Line entwickelt, ist für Windows und MS-DOS erschienen und spielt im mittelalterlichen England. Ziel des Spiels ist es, vom einfachen Lord durch Eroberung und Handel aufzusteigen und irgendwann König von England zu werden. Ach, und einen Drachen kann man auch besiegen.
Bevor wir loslegen aber noch ein paar Worte der Warnung (zu der App und der Hardware, nicht zu Drachen). UTM SE ist auf iPhone und iPad nicht wirklich dafür ausgelegt, produktiv eingesetzt zu werden, und kommt auch mit ein paar Einschränkungen daher. So muss die mobile Version im Vergleich zu Desktopvariante zum Beispiel auf Just-In-Time-Kompilierung verzichten, was sich in der Performance widerspiegeln dürfte.
Außerdem solltet ihr die Software, die ihr emulieren wollt, auch rechtmäßig besitzen. In unserem Fall wäre das Windows XP und das eigentliche Spiel. Für beides konnten wir in der Schublade mit alter Technik, vielen Kabeln und vereinzelten CDs noch die Originale und zugehörige Lizenzschlüssel finden.
Die App ist schnell installiert, Windows hingegen nicht
Die Installation von UTM SE ist genauso einfach wie bei jeder anderen App aus dem App-Store auch. Doch danach wird es etwas komplizierter. Zunächst wählen wir in der App den Punkt „Neue Virtuelle Maschine erstellen“ und in unserem Fall dann „Fertiges System von der UTM-Galerie laden“.
Nun könnte man denken, dass dort bereits komplett fertige Versionen der Betriebssysteme auf einen warten, allerdings trifft dies nur auf die Linux-Versionen zu. Für Windows gibt es lediglich eine Sammlung von bereits festgelegten Einstellungen, die für die jeweiligen Betriebssysteme vorbereitet sind. Wir laden uns die Einstellungen für Windows XP also von der Website des Anbieters in die Dateien-App herunter und öffnen sie dann im Anschluss in UTM SE.
Würden wir jetzt das System durch den Startknopf anschmeißen, würde wenig passieren, denn die virtuelle Maschine ist noch leer. Daher wählen wir beim Punkt „CD/DVD“ nun ein Disk-Image der Installations-CD von Windows XP aus. Ein solches Image erstellt man am Desktoprechner zum Beispiel mit der Original-CD selbst.
Starten wir nun die virtuelle Maschine, so kann diese auf das Image der Installations-CD zugreifen und startet damit dann auch automatisch das Windows-Setup. Dieses sieht genauso aus, wie man es von früher kennt. Aber Achtung: Auch wenn wir hier gerade auf einem deutlich moderneren Gerät arbeiten als früher, so dauert die Installation dennoch fast so lange wie damals. In unserem Fall ging für XP auf dem iPad Pro rund eine Stunde drauf. Gut wäre auch, wenn spätestens jetzt eine Tastatur und eine Maus mit dem iPad verbunden sind. Beides ist zwar auch über die Bildschirmtastatur und Touch zu lösen, deutlich komfortabler geht es aber mit physischen Eingabegeräten – und spätestens für das Spiel brauchen wir sie eh.
Windows einrichten und Retro-Gefühle entwickeln
Nach der Installation startet die virtuelle Maschine tatsächlich problemlos in den Einrichtungsassistenten von XP und wir können die wichtigsten Einstellungen vornehmen. Nach der Einrichtung erklingt dann der gute alte Startsound und die berühmte hügelige Graslandschaft begrüßt einen als Desktophintergrund. Ein bisschen wie nach Hause kommen. Ob es Karl Klammer noch gibt? Müssen wir später mal schauen, aber erst mal sind wie hier, um Retro-Games zu zocken.
Und wie kommt nun unser Spiel in Windows XP? Ganz ähnlich wie die Installations-CD von Windows selbst, nämlich über eine ISO-Datei. UTM SE zeigt in der oberen rechten Bildschirmecke eine Reihe verschiedener Symbole an. Über diese kann man die virtuelle Maschine neu starten oder über das CD-Symbol ein neues Diskimage einlegen. Dieses erstellen wir von der Original-Spiele-CD genauso wie unsere Windows-CD und legen sie dann in die VM ein. Und dann starten wir das Spiel genau wie früher. England im Mittelalter, wir kommen!
Wie gut läuft das alles?
In unserem Test haben wir verhältnismäßig alte Software verwendet, die deutlich weniger Anforderungen an die Hardware mitbringt als zum Beispiel Windows 11 und ein aktueller AAA-Titel. Vermutlich würde Letzterer in einer VM auf dem iPad auch gar nicht laufen. Und wir konnten auch nicht ausprobieren, wie gut die App auf älteren iPhones oder iPads funktioniert.
Auf dem iPad Pro M4 hingegen läuft Windows XP flüssig, hatte bei unserem Test keine größeren Bugs und wer früher oft Windows installiert hat weiß noch, dass alleine Sound aus der Grafikkarte und ein Bild zu haben keine Selbstverständlichkeit ist.
Auch das Spiel funktioniert und läuft flüssig, aber auch hier gilt: Es ist uralt und hat so gut wie keine Anforderungen im Vergleich zu modernen Titeln.
Lohnt sich der ganze Aufwand? Das muss jede:r für sich selbst entscheiden. Viel kaputt machen könnt ihr nicht und wenn ihr etwas Zeit und Geduld mitbringt, könnt ihr Windows oder Linux auf dem iPad mit relativ wenig Aufwand einmal ausprobieren. Vom produktiven Arbeiten damit würden wir aber weiterhin abraten. Apropos arbeiten: Uns müsst ihr jetzt entschuldigen, wir haben ein Königreich zu erobern!