Spiegelleben: Wissenschaftler erforschen DNA-Spiegelbild für einzigartige Materialien und Therapien

DNA – was passiert, wenn Forscher:innen sie spiegeln? (Bild: CI Photos/Shutterstock)
Die meisten biologischen Moleküle auf der Erde existieren in zwei Formen, die einander wie Bild und Spiegelbild gegenüberstehen – etwa wie linke und rechte Hand des Menschen. Ähnlich verhalten sich auch die Bausteine des Lebens zueinander.
DNA, RNA und Proteine: Rechtshändig oder linkshändig
So besteht die DNA und RNA aller lebenden Organismen ausschließlich aus „rechtshändigen“ Nukleinsäuren-Bausteinen. Die Proteine, also die Bausteine der Zellen, dagegen aus „linkshändigen“ Aminosäuren, wie Spiegel Online schreibt. Warum das so ist, ist unklar.
Theoretisch hätte das Leben auch mit den genau entgegengesetzten Bausteinen entstehen können. Das allerdings würde ein ganz anderes Leben bedeuten. Wie das genau aussehen könnte, versuchen Forscher:innen seit Jahren im Labor zu ergründen.
Neue Medikamente durch Spiegelzellen
Von dem sogenannten Spiegelleben, also Zellen, in denen die Moleküle spiegelbildlich angeordnet sind, erhoffen sie sich Medikamente mit weniger Nebenwirkungen oder Therapien für schwer zu behandelnde Krankheiten. Auch Materialien mit einzigartigen Eigenschaften für Elektronik und Optik seien vorstellbar.
Erst 2019 hatte die U.S. National Science Foundation mehrere Millionen US-Dollar Fördergeld in verschiedene Labore gesteckt, die sich mit der Schaffung von Spiegelbild-Zellen beschäftigen. Ziel ist unter anderem, einen künstlichen, voll funktionsfähigen Organismus auf Spiegelbild-Basis herzustellen.
Bisher ist das noch nicht gelungen, aber besorgte Stimmen warnen davor, dass schon in zehn Jahren Spiegelleben geschaffen worden sein könnte. Mit schwer einzuschätzenden Folgen.
Appell von Forscher: Bedrohung durch Spiegelleben
Daher hat die Biochemikerin Katarzyna Adamala, die noch vor fünf Jahren selbst an Spiegelbild-Mikroben forschte, Mitte Dezember 2024 im Fachmagazin Science einen Forschungsstopp an den entsprechenden Zellen gefordert. Den Aufruf haben 37 weitere Forscher:innen unterzeichnet, darunter Nobelpreisträger wie Greg Winter und Jack Szostak.
Gegenüber dem Guardian erklärte etwa Mikrobiologe Vaughn Cooper von der Universität Pittsburgh, dass die „Bedrohung beispiellos“ sei. Solche Spiegelbakterien könnten viele Reaktionen des Immunsystems umgehen. In jedem Fall, so Cooper, könnten sie „tödliche Infektionen verursachen, die sich unkontrolliert ausbreiten würden“.
Antibiotika bei Spiegelbakterien unwirksam
Schließlich sei zu befürchten, dass bestehende Antibiotika nicht wirksam sein würden. Die Spiegelzellen könnten wohl die meisten Barrieren umgehen, die gewöhnliche Organismen bisher in Schach halten würden.
Im Vorfeld ihrer Warnung hatten die Forscher:innen mehrere Wochen damit verbracht, in der wissenschaftlichen Literatur nach Belegen zu suchen, die gegen eine mögliche weltweite Katastrophe sprächen. Ausgangspunkt war die Fragestellung, was passieren würde, wenn ein synthetisches Spiegelbakterium aus einem Labor entkommen könnte oder als biologische Waffe freigesetzt würde.
Keine Beweise für Gefahrlosigkeit gefunden
Wie Adamala berichtete, konnten sie keine Beweise finden, die gegen eine außergewöhnliche Gefahr sprechen würden, wie der Standard schreibt. Entsprechend fordern die Unterzeichner:innen des Aufrufs, die Forschung am Spiegelleben vorerst zu stoppen, kein weiteres Geld hineinzustecken und stattdessen eine weltweite Diskussion darüber zu führen.
Andere Forscher:innen halten die Warnung derweil übertrieben. So erklärte der Biowissenschaftler Andrew Ellington von der University of Texas in Austin dem Spiegel, dass noch eine „enorme Anzahl von technischen Hürden“ überwunden werden müsste. Die Schaffung eines Spiegelorganismus sei noch 30 Jahre entfernt.
Appelle verhallen meist ohne Reaktion
Fraglich ist so oder so, welchen Nachhall die Warnung der Forscher:innen und der Ruf nach einem Forschungsstopp haben werden. Ähnliche Appelle in Bezug auf die Genschere Crispr oder die KI-Entwicklung dürften weitgehend ohne eine Reaktion verhallt sein.