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Interview
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ZDF-Anchorman Claus Kleber: „Wahrheit darf keine Emotion werden. Wir müssen sie retten!”

Claus Kleber sucht Streit. Mit allen Hetzern und Lügnern möchte sich der heute-journal-Moderator anlegen. Im exklusiven t3n.de-Interview mahnt er Journalisten und Zuschauer zur Zusammenarbeit.

Von Rafael Bujotzek
8 Min. Lesezeit
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„Ohne seriösen Journalismus ist unsere Demokratie in Gefahr“ 
- Claus Kleber (62) an seinem Schreibtisch im ZDF heute-journal. (Foto: Ingo Espenschied)

„Guter Journalismus war noch nie so schwer zu erkennen“, erklärt Claus Kleber. Gerade in unserer schnell getakteten Welt wäre es doch wichtig zu verstehen, wer hinter Botschaften und vorgefertigten Meinungen eigene Interessen versteckt. Was ist Reklame, was Information, was Propaganda? Geduldig erklärt Kleber jedem seinen Job – auch denen, die recherchierenden Journalisten in Zeiten von Twitter und Push-Mitteilungen zu einem Berufswechsel raten oder ihnen misstrauen.

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Eigentlich könnte sich der 62-Jährige auf seinem Erfolg ausruhen. Am Hauptsitz des Zweiten Deutschen Fernsehens auf dem Mainzer Lerchenberg reihen sich in Klebers gläsernem Büro die Preise für seine Arbeit: der deutsche Fernsehpreis, die Goldene Kamera und sogar der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis, hierzulande die höchste Ehrung für einen Fernsehjournalisten.

Doch Kleber bleibt umtriebig und neugierig – auch im Netz: Bei Twitter erreicht er mit seinen Tweets mehr als 320.000 Follower. Hier blickt er hinter die Kulissen der Eilmeldungen und Diskussionen, trifft auf Social Bots und erlebt Meinungsmache am eigenen Leib. Kleber sorgt sich immer mehr um unsere Gesellschaft und ihr höchstes Gut, die Wahrheit.

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„Ich will eine Partnerschaft mit einem Publikum, 
das uns in Frage stellt, das kritisch ist, das nachhakt…“ 
– Claus Kleber am Konferenztisch des ZDF heute-journals. 
(Foto: ZDF / Uwe Düttmann)

t3n.de: „Rettet die Wahrheit“ heißt ihr neuestes Buch. Was ist für Sie denn Wahrheit? Akte-X-Fans wissen ja nur, dass die Wahrheit irgendwo dort draußen ist…

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Claus Kleber: (lacht) Die Wahrheit ist nach wie vor dort draußen. Aber das bedeutet ja, dass es „die Wahrheit“ gibt. Das ist schon ein Erkenntnisschritt, der nicht mehr selbstverständlich ist. Inzwischen sind in Umfragen über 40 Prozent der Bevölkerung der Meinung, Wahrheit sei Ansichtssache. Das ist sie aber ganz sicher nicht. Sie ist interpretierbar, manchmal schwer herauszufinden, aber es gibt sie.

Dieses Buch ist auch ein Appell, diese Suche nicht aufzugeben und Wahrheit nicht mit Emotionen zu ersetzen. Irgendeine Orientierungsschnur braucht der Mensch und wenn er Fakten nicht anerkennt, geht es nur noch nach dem Bauch und nach Gefühl. Und dann kommt heraus: „Trump ist ein starker Mann, der uns beschützen wird“. Und diese Emotion hat zu grundstürzenden Veränderungen der Welt geführt.

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t3n.de: „Rettet die Wahrheit“ heißt also nicht, dass Claus Kleber oder das ZDF heute-journal wissen, was die Wahrheit ist?

Claus Kleber: Das ist ganz genau nicht, was wir wollen. Ich will eine Partnerschaft mit einem Publikum, das uns in Frage stellt, das kritisch ist, das nachhakt, das Plausibilitäten überprüft, vielleicht auch selber mal auf die Suche nach der Wahrheit geht in einer Frage, die sie besonders interessiert. Und nicht dem erstbesten Facebook-Eintrag oder Tweet folgt und beim Rest dann praktisch das Gehirn ausschaltet.

t3n.de: Kann es sein, dass unserer Gesellschaft die Medienkompetenz abhandengekommen ist oder wir die teilweise gar nicht besitzen?

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Claus Kleber: Medienkompetenz wird gefordert, seit ich in den Medien bin. Also schon eine ganze Weile. Sie ist jetzt noch viel, viel wichtiger geworden, wo wir in einer Zeit leben, in der jeder den Anschein von Professionalität vermitteln kann.

Früher konnte man ein handgeschriebenes Papier oder ein an einen Baum genageltes Flugblatt gut von einem Leitartikel in der „Zeit“ unterscheiden. Heute gehört überhaupt nichts mehr dazu, Zehntausende und mehr zu erreichen mit irgendwas, das man sich überlegt hat. Und das sogar im Layout und in der Formulierung und im Videoteil professionell aussehen zu lassen. Umso mehr muss man auch von den Konsumenten Engagement fordern, sich mit der Sache ein bisschen vertiefter zu befassen.

t3n.de: Müssten sich nicht auch die Medien anpassen?

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Claus Kleber: Selbstverständlich! Das schöne Washington-Post-Motto „Die Demokratie stirbt in Dunkelheit“ („Democracy Dies in Darkness“, Anm. d. Red.), heißt umgekehrt: Licht anmachen, Fenster und Türen auf. Leuten mal erlauben, reinzugucken, wie eigentlich unsere Arbeit als Journalisten überhaupt ist.

Denn das begegnet mir immer wieder: Wenn irgendjemand sagt, ich bin Metzger, ich bin Anwalt, ich bin Taxifahrer oder Lehrer oder Neurologe, dann weiß jeder so ungefähr, was der macht. Wenn jemand aber sagt, ich bin Fernsehjournalist… – Was treiben die eigentlich den ganzen Tag? Wie kommt die Sendung zustande, wer trifft die Entscheidung? Wo entsteht die Richtung, die manchmal einen Beitrag oder die ganze Sendung ausmacht? Wo kommt das her? Das ist vielen ein Buch mit sieben Siegeln. Und da entsteht Misstrauen.

Daher mein Appell, die Wahrheit wieder ernst zu nehmen und sich Mühe zu geben mit ihr. Und zweitens ein Appell an uns Journalisten, die Zuschauer auch zu ermächtigen, sich kritisch mit dem, was wir treiben, auseinanderzusetzen.

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t3n.de: Journalismus ist ja nicht der beliebteste Beruf. Für Sie ist das sicher nicht motivierend. Wieso sollte man für Journalismus werben?

Claus Kleber: Weil nicht jeder einen Job haben kann, der es ihm erlaubt, sich den ganzen Tag mit dem aktuellen Geschehen zu beschäftigen. Dafür braucht es Profis, die sich Vertrauen aufbauen und jeden Tag neu verdienen. Das ist wichtiger, aber leider auch komplizierter denn je.

Man hat sich früher irgendwann mal entschlossen: Ich glaub’ so ziemlich alles, was im „Spiegel“ steht oder ich glaub‘ so ziemlich alles, was in der „Welt“ steht – aus einer anderen politischen Richtung… Und dann war ich einigermaßen sicher und war mündiger Bürger. So leicht geht das inzwischen nicht mehr. Auf der anderen Seite haben selbst Normalbürger heute Recherchetools professioneller Dimension. Man muss sie halt nutzen.

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Claus Kleber (62) moderiert seit 2003 das meistgesehene Nachrichtenmagazin Deutschlands, das ZDF heute-journal. (Foto: ZDF / Klaus Weddig)

t3n.de: Woran erkenne ich heute guten Journalismus? Braucht es eine Art Lebensmittelampel, die sagt: Dieses Blatt ist links, frei von Werbung und der Chefredakteur war mal Mitglied einer Partei. Oder: Wir machen PR für Bücher und für den Rest nicht. Sollte das irgendwo stehen?

Claus Kleber: Letztendlich ist das eine Maßnahme der Vertrauensbildung. Und ich glaube, dass öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der kein Geld verdienen muss, der sich Marktgesetzen nicht unterworfen sieht, einen Wettbewerbsvorsprung hat, wenn er mit hinreichendem Selbstbewusstsein arbeitet und sich wirklich unabhängig verhält.

Als Korrespondent in Amerika habe ich erlebt, wie die Marktgesetze immer mehr dazu gedrängt haben, im Fernsehen und auch online das lauteste Gebrüll zu produzieren, weil das lauteste Gebrüll sich am besten verkauft. Das hat einen ganz wesentlichen Anteil am Verfall der politischen Sitten in den USA. Nicht nur auf der rechten Seite.

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Ich glaube, dass wir mit den öffentlich-rechtlichen Medien hier in Deutschland einen Standard setzen, an dem sich auch andere Medienmacher, die gar nicht dazugehören, orientieren müssen. Dieses Angebot an die Öffentlichkeit ist eine permanente Erinnerung daran: Wir müssen nicht jeden Mist mitmachen. Das glaube ich, macht uns als Gesellschaft insgesamt stabiler. Aber das Buch ist keine Werbeschrift für öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es ist ein Appell an Macher, Konsumenten oder User, sich mehr Mühe zu geben mit diesem wahnsinnig wichtigen Prozess der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung.

t3n.de: In Ihrem Buch geben Sie Einblick in Ihre tägliche Arbeit und Sie nehmen sich auch das ZDF kritisch vor. Hat Ihnen das beim Schreiben Kopfzerbrechen bereitet, den eigenen Arbeitgeber vorzuführen?

Claus Kleber: Nein, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das Schwierigkeiten macht. Wir stehen im Dienst der Öffentlichkeit, sind für sie da. Offenheit über das, was wir betreiben, steckt in den Genen. Daher hat mir das keine Schwierigkeiten gemacht.

t3n.de: Das Buch ist aber auch im Stil einer Streitschrift wie bei Stéphane Hessels „Empört Euch!“ geschrieben. Möchten Sie sich streiten?

Claus Kleber: Ich möchte mich streiten mit den Leuten, die sich hinstellen und behaupten, wir seien ein staatsgelenktes Medium und wären praktisch ausführendes Organ der Bundesregierung und seien allen möglichen Weisungen unterworfen, die uns erzählen, wie eine Sendung auszusehen hat oder wie insgesamt die Richtung des ZDF zu sein hat. Und das ist, wie jeder weiß, der dort gearbeitet hat oder dort arbeitet, wirklich Unsinn. Das hat mit dem, was wir so täglich machen, überhaupt gar nichts zu tun. Und wir sind nicht auf einer Ebene mit „Russia Today“ und „Sputnik“ und irgendwelchen Kampfmedien wie „Breitbart“.

t3n.de: Wenn man in die Amazon-Bewertungen Ihres Buchs schaut, gibt es eigentlich nur ganz gut und ganz schlecht. Dazwischen ist nichts. Stimmt der Spruch: „Haters gonna hate“?

Claus Kleber: Das steht für etwas. Das ist die „Nicht-mehr-Kommunikation“. Nun kann ja jeder bei Amazon Bücher bewerten, ohne dass er das Buch dort erworben hat. Wir wissen, dass das häufig nicht der Fall ist. Ich würde die Amazon-Rezensionen als Symptom einer Krankheit sehen. Und die Krankheit ist, dass alle nur noch brüllen und niemand mehr zuhört. Bei einer Amazon-Buchkritik mag das meinetwegen so sein. Aber wenn wir anfangen unsere Gesellschaft nach diesem Muster zu gestalten, haben wir ein echtes Problem. Das Buch läuft übrigens auch so ganz prächtig.

t3n.de: Was wünschen Sie sich für den Journalismus 2.0 – oder bei welcher Zahl sind wir inzwischen? Was soll gleich bleiben, was soll anders werden?

Claus Kleber: Ich wünsche mir Professionalität in einem absolut demokratisierten Medium. Es ist demokratisiert, weil heute Jedermann ein Buch publizieren, ein Video viral werden lassen kann. Das geht alles. Du kannst dein eigenes Massenmedium kreieren. Manchmal gelingt es nur für einen Tweet, manche machen das seriell, manche machen das seriös, indem sie versuchen immer wieder eine Debatte anzustoßen.

Wir brauchen die Nutzer/Konsumenten/Rezipienten, die bereit sind, sich auf diese Flut einzustellen. Und die werden Hilfe brauchen. Zum Beispiel von den teuer bezahlten öffentlich-rechtlichen Medien, die sich jeden Tag als Gatekeeper, als vertrauenswürdige Quelle beweisen müssen.

t3n.de: Auch den öffentlich-rechtlichen Sendern passieren doch Fehler. Wie wichtig ist dabei eine gesunde Fehlerkultur? 

Claus Kleber: … wenn dann so etwas passiert wie in der Silvesternacht in Köln, dann ist das Vertrauen, das über Jahre aufgebaut worden ist, an einem Tag wieder eingerissen. Oder zumindest mal schwer beschädigt. Man kann dann nichts weitermachen als wieder geduldig mit Wiederaufbau zu beginnen.

Ich glaube, es war sehr, sehr wichtig, dass das ZDF da gleich gesagt hat: Wir haben an diesem Abend versagt und zu spät berichtet – Sorry guys, we try harder! Jeder Versuch, etwas weg zu erklären, kleinzureden oder zu sagen, Augen zu und weitermachen, wäre untauglich.

t3n.de: Es wird doch sicher immer schwieriger auch Politiker zu kontrollieren und Lobbyismus aufzudecken. Was braucht Journalismus da an Handwerkszeug?

Wir haben ja heute viel größere Möglichkeiten, tatsächlich zu kontrollieren. Was war das früher schwierig, Leute zu finden, die zum Beispiel von einer staatlichen Maßnahme betroffen waren, weil die Behörde nicht verpflichtet war, einem die Namen und Adressen zu geben. Heute findet man Betroffene über Social Media ganz schnell. Journalismus hat heute starke Werkzeuge an der Hand.

Und dann gibt es bei uns diese innovativen Typen, die mit ihren eigenen Algorithmen an öffentliche Daten rangehen und sie auswerten, um sie zu verstehen und zu analysieren. Manchmal sogar schneller als die jeweilige Behörde. Datenjournalisten, die sich den ganzen Tag damit beschäftigen, können diese Werkzeuge effektiver nutzen als jemand, der das nur nebenbei betreibt, auf anderem Weg seinen Lebensunterhalt bestreiten muss und dann abends müde noch ein paar Informationen verwerten will. Man wird am Ende die professionellen, glaubwürdigen Macher brauchen.

t3n.de: Sie würden also auch heute noch einem jungen Menschen, der beispielsweise gerade auf der Uni ist, raten, den Beruf des Journalisten zu ergreifen?

Claus Kleber: Absolut. Nach wie vor ist Journalist für mich der tollste Beruf überhaupt.

t3n.de: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg bei der täglichen Suche nach der Wahrheit.

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hein-tirol

Was Claus Kleber nicht sagt und Zuhörer/-schauer des ZDF-Journals sauer aufstößt, ist seine Oberlehrerhafte Art, besonders vorwurfsvoll besonders gen Osten Schuldzuweisungen in den Raum stellt, ohne dieses näher zu begründen und so den Konsumenten in ein Vakuum sitzen lässt – man sagt auch Halbwahrheit dazu oder, in Anlehnung an das Unwort des Jahres, alternative Fakten.

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