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Digitale Wirtschaft

Der liquide Newsroom als Zentrale: Zeit-Online-Chefredakteur Jochen Wegner im Interview

Jochen Wegner ist Chefredakteur von Zeit Online. Der studierte Physiker gilt als einer der renommiertesten Online-Journalisten Deutschlands. Er war einige Jahre Chefredakteur von Focus Online und hat als freier Unternehmensberater zahlreiche Verlage und Unternehmen bezüglich ihrer digitalen Strategie beraten. Im Gespräch mit t3n erklärt er, was den Erfolg von Zeit Online auszeichnet, warum er agile Methoden im Newsroom eingeführt hat und wie wichtig Entwickler im Redaktionsalltag sind.

8 Min.
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Zeit-Online-Chefredakteur Jochen Wegner. (Foto: Andreas Borowski)


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t3n Magazin: Unter dem Begriff Hoodie-Journalismus wurde kürzlich im Netz intensiv über das Verhältnis von Print- und Online-Journalismus diskutiert. Gibt es denn in ihrer Online-Redaktion Kapuzenpulliträger?

Jochen Wegner: Ja, gibt es. Aber nicht so viele, vielleicht zwei oder drei. Einer unserer Videokollegen ist sehr konsequent mit einem Hoodie unterwegs.

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t3n Magazin: Sie haben im Rahmen dieser Print-Online-Diskussion gesagt, dass das Bedürfnis „nach Bleibendem, nach informationeller Reinigung umso lauter wird, je mehr man sich im Netz bewegt.“ Was ist denn die Antwort von Zeit Online auf diese Entwicklung?

Jochen Wegner: Wir versuchen, Ruhe in den täglichen Nachrichtensturm zu bringen und die Ereignisse eher einzuordnen, als ihnen hinterherzujagen. Wir haben zum Beispiel lange diskutiert, ob wir überhaupt mit Livetickern arbeiten sollen – und haben erst nach einigem Experimentieren eine angemessene Form gefunden, um mit einem Liveblog sich kontinuierlich entwickelnde Nachrichtenlagen fortzuschreiben. Dennoch hadern wir mit derlei Projekten immer wieder, weil wir unseren Journalismus nicht künstlich beschleunigen und dramatisieren wollen. Wir meiden auch viele bunte Themen, die uns eine hohe Reichweite einbringen würden, wie beispielsweise die Berichterstattung zum Dschungelcamp – das passt nicht zu uns. Einfacher ausgedrückt: Wir wollen ein Ruhepol im Netz sein. Viele unserer Debatten drehen sich deshalb darum, was wir nicht machen.

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Jochen Wegner im Gespräch mit Print-Redaktionsleiter Luca Caracciolo: „Wir wollen mit Zeit Online eine Art Ruhepol im Netz sein.“

Jochen Wegner im Gespräch mit Print-Redaktionsleiter Luca Caracciolo: „Wir wollen mit Zeit Online eine Art Ruhepol im Netz sein.“

t3n Magazin: „Ruhepol, Einordnung“ – Das klingt nach typischen Charakteristika von Print-Medien. Haben Sie keine Befürchtungen, mit einer solchen Online-Strategie die Print-Version der Zeit zu kannibalisieren?

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Jochen Wegner: Nein. Die Überschneidung zwischen unseren Lesergruppen beträgt zehn Prozent. Das heißt nicht, dass Zeit-Online-Leser, die kein Printabo haben, der Marke nicht sehr verbunden wären. Sie haben eine sehr hohe Erwartung an uns und lesen ganz bewusst Zeit Online.

t3n Magazin: Hubert Burda hat auf der diesjährigen Digital-Konferenz DLD in München gesagt, dass allein von Qualitätsjournalismus heute niemand mehr leben könne. Stimmen Sie dieser Aussage zu?

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Jochen Wegner: Nein. Hochwertiger Journalismus funktioniert für uns als Geschäftsmodell ausgesprochen gut – auch im Digitalen. Vor zehn Jahren haben viele Experten erklärt, dass Branding-Werbung ohnehin eine Lüge sei und im Internet nie Erfolg haben werde. Das Gegenteil ist heute der Fall. Manche Luxusmarken etwa fangen jetzt erst an, nach hochwertigen Umfeldern im Netz zu suchen. Und wir wachsen mit diesem Trend. Diese Art von Werbung findet eher nicht in einem Dschungelcamp-Umfeld statt. Man kann natürlich auch auf bloße Reichweite setzen, wie beispielsweise Buzzfeed oder Upworthy. Das wäre dann eben eine andere Strategie, die jedoch nicht zu uns passt.

t3n Magazin: Was können deutsche Verlagshäuser denn von Plattformen wie Buzzfeed oder Upworthy lernen?

Jochen Wegner: Am Beispiel von Upworthy etwa können Sie sehen, wie junge Unternehmer Medien aufziehen, die mit klassischem Journalismus nichts zu tun haben – dafür aber besser als wir Journalisten verstehen, wie das Netz funktioniert. Das lässt sie Medien radikal neu denken. Diese radikalen Modelle können vielleicht nicht von Leuten entwickelt werden, die schon zu viel Gehirnwäsche in Verlagen hinter sich haben. Die großen Nachrichtenportale versuchen im Grunde immer noch, den Print-Journalismus ins Netz zu übertragen. Und unser Geschäftsmodell funktioniert so gut, dass wir es nicht mit völlig neuen Ansätzen beschädigen wollen – das klassische Innovatorendilemma. Aber das heißt nicht, dass diese anderen Modelle wie Buzfeed nicht klug sind und nicht auch Großartiges hervorbringen.

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t3n Magazin: Was zum Beispiel?

Jochen Wegner: Buzzfeed fängt an, investigativ zu arbeiten und immer mehr exzellente Journalisten an sich zu binden. Upworthy finde ich noch beeindruckender. Die haben ja die Vision, den Planeten zu retten. Upworthy befördert nur Inhalte, die soziale Relevanz haben und einer bestimmten politischen Richtung entsprechen.

t3n Magazin: Lassen sie uns über Bezahlmodelle für Online-Journalismus sprechen. Sie sympathisieren mit dem Metered Model der New York Times, bei dem nur Vielnutzer für Inhalte bezahlen müssen. Was genau überzeugt Sie an dieser Art der Bezahlung?

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Jochen Wegner: Das Grundprinzip ist richtig, weil die Inhalte nicht komplett hinter einer Paywall verschwinden, sondern den Online-Diskurs befeuern können. Was passiert, wenn man ganz dicht macht, zeigt das Beispiel des Wall Street Journal. Dort gibt es ein Team, das den ganzen Tag darüber nachdenkt, welche Stücke doch wieder freigegeben werden, damit im Netz darauf verwiesen werden kann und Aufmerksamkeit entsteht. Ein solches Modell kommt für uns nicht in Frage. Im Moment planen wir in Sachen neue Bezahlmodelle aber nichts, weil wir merken, dass das Geschäftsmodell mit Werbung noch sehr gut funktioniert.

t3n Magazin: Was halten Sie von Micro-Payment-Modellen wie Flattr oder das kürzlich vorgestellte Laterpay von Richard Gutjahr und dem gleichnamigen Startup?

Jochen Wegner: Ich bin davon nicht überzeugt. Für große Medien wie Zeit Online jedenfalls funktionieren aus meiner Sicht am ehesten Abomodelle. Die einzige populäre Website in Deutschland, bei der digitaler Einzelverkauf wirklich nennenswerte Erlöse generiert, ist die Stiftung Warentest. Wenn ich eine Waschmaschine kaufen will, dann hole ich mir eben das PDF mit dem Test für 1,80 Euro. Ansonsten baut diese Form der Bezahlung keine permanente Beziehung zu einem Leser auf. Wir gestalten aber ein Medium, das sich permanent fortschreibt, der Wert liegt nicht so sehr in einem einzelnen Beitrag, sondern in der Komposition. Deshalb halte ich diese ganzen Einzelbezahlmodelle im Falle von klassischen Medien für verfehlt. Für solche Inhalte sind Abos das einzige, was funktioniert. Schon heute verkaufen wir im übrigen jede Woche 30.000 digitale Ausgaben der Zeit, vornehmlich über Abos.

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t3n Magazin: Stichwort Programmierung und Webentwicklung: Wieviele Entwickler beschäftigen Sie denn aktuell bei Zeit Online?

Jochen Wegner: Ein Dutzend Entwickler arbeiten bei uns im Haus, dazu kommen natürlich einige externe Dienstleister.

t3n Magazin: Welche Bedeutung haben Entwickler bei Zeit Online – unabhängig davon, dass sie die Website regelmäßig warten und pflegen?

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Jochen Wegner: Bei uns spielen Entwickler eine große Rolle. Sie sitzen im Newsroom und bekommen so auch mit, wie und an was die Online-Redakteure arbeiten, so dass ein sehr enger Austausch herrscht – wie etwa bei der Huffington Post, wo auch mal auf Zuruf und ohne Lasten- und Pflichtenheft Features umgesetzt werden. Wir hatten zudem das Glück, dass wir im vergangenen Jahr einen eher kalifornisch geprägten CTO für uns gewinnen konnten, der vorher bei Startups tätig war.

t3n Magazin: Inwiefern hat denn dieser technische Einschlag Redaktionsabläufe beeinflusst?

Jochen Wegner: Beispielsweise haben wir agile Methoden im Newsroom eingeführt. Es gibt so etwas wie ein Scrum-Board an der Wand und es gibt Konferenzen, die Standup-Meetings ähneln. Und wir haben eine Art liquiden Newsroom geschaffen. Wir hatten früher das Problem vieler klassischen Online-Redaktionen, die oft wie eine Tageszeitung arbeiten. Es gibt Morgenkonferenzen, Mittagskonferenzen, die Ressortleiter tragen einander vor, was sie machen. Und dann kommen abends um 18 Uhr die Geschichten. Aber die guten Storys wollen wir eigentlich morgens um sieben haben. Dass das oftmals nicht funktioniert, liegt daran, dass viele Online-Redaktionen so arbeiten, als müssten sie einen Drucktermin einhalten. Das haben wir jetzt komplett geändert und etwa Ad-hoc-Konferenzen eingeführt, die per E-Mail jederzeit einberufen werden können.

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t3n Magazin: Führen Sie auch Hackathons durch? Und ist da schon irgendwas entstanden, was innerhalb täglicher Abläufe vielleicht so nicht entstanden wäre?

Jochen Wegner: Ja, machen wir. Beispielsweise ist die API von Zeit Online so ent- standen. Momentan haben wir die Hackathons aber reduziert, weil wir bereits so viele Ideen hatten und eine Weile beschäftigt sein werden, sie umzusetzen. Wir verfolgen einige große Projekte: Zeit Online responsiv zu gestalten, neue Medien zu etablieren wie etwa das Zeit Magazin Online, das wir gerade starten. Und es gibt ein Projekt, unser CMS gegenüber Feedback aus dem Netz stärker zu öffnen.

Der Newsroom von Zeit Online in Berlin: Entwickler und Redakteure sitzen im gleichen Raum.

Der Newsroom von Zeit Online in Berlin: Entwickler und Redakteure sitzen im gleichen Raum.

t3n Magazin: Was genau meinen Sie damit?

Jochen Wegner: Ein klassisches Online-CMS ist oft so gebaut, als würde man damit eine Druckmaschine ansteuern – quasi Drucken ohne Papier. Das heißt, der Redakteur schreibt seinen Text, publiziert die Geschichte und geht dann nach Hause. Dabei fängt die eigentliche Arbeit im Online-Journalismus ja erst an, wenn der Artikel publiziert ist. Aber die Signale aus dem Web kommen nicht zurück ins CMS. Und genau das muss sich ändern. Wäre das der Fall, könnte der Redakteur dann beispielsweise direkt dort beobachten, was in den sozialen Kanälen oder auf Google News mit seinem Artikel passiert. Wir sind mit unserem CMS zwar sehr zufrieden, aber werden es in dieser Hinsicht im Laufe der nächsten Monate erweitern.

t3n Magazin: Technisch sind sie in Sachen Publishing ganz weit vorne. Gilt das auch für Kryptographie? Verschlüsseln Sie seit der NSA-Affäre etwa ihre E-Mails oder andere Kommunikationskanäle im Netz?

Jochen Wegner: Ich habe einen verschlüsselten Kanal über Threema. E-Mails ver- schlüssele ich zwar nicht, aber ich erhalte keine E-Mails, die vertrauliche Informationen von Quellen enthalten, die geschützt werden müssen. Als Journalist bin ich erheblich aufmerksamer geworden und ich achte streng darauf, auch mit ein paar Maßnahmen mehr als früher, dass ich bestimmte Informationen nicht digital erhalte.

Jochen Wegner hat agile Methoden im Newsroom von Zeit Online eingeführt: „Wir hatten das Problem, zu sehr wie eine Tageszeitung zu arbeiten, die einen bevorstehenden Drucktermin einhalten muss.“

Jochen Wegner hat agile Methoden im Newsroom von Zeit Online eingeführt: „Wir hatten das Problem, zu sehr wie eine Tageszeitung zu arbeiten, die einen bevorstehenden Drucktermin einhalten muss.“

t3n Magazin: Und welche Konsequenzen haben sie als Privatmensch aus der NSA-Affäre gezogen?

Jochen Wegner: Als Privatmensch habe ich bisher keine Konsequenzen gezogen. Ich war schon immer eher offen in Bezug auf meine persönlichen Daten und bin es weiterhin. Ich stecke mein Smartphone nicht in eine Keksdose, wenn ich die Redaktion betrete und werde vorerst nicht in den Untergrund gehen, um die Bürgerrechte zu verteidigen. Ich glaube nicht an den digitalen Weltuntergang. Ich glaube daran, dass wir in unserer Demokratie Lehren aus der NSA-Affäre ziehen und die digitalen Medien weiter als freie Menschen nutzen können. Die Debatte jetzt zu führen, um zu prüfen, wie wir die Digitalisierung klüger gestalten können, halte ich insofern für absolut notwendig. Das Verrückte ist, dass mit der NSA-Affäre genau das ans Licht kam, was meine Hackerfreunde vor 20 Jahren bereits behaupteten. Damals klang das wie eine lächerliche Verschwörungstheorie. Viele von ihnen haben seit jeher so gelebt als würden sie ständig vom BND abgehört.

t3n Magazin: Unabhängig von ihren persönlichen Konsequenzen: Welchen Einfluss wird die NSA-Affäre langfristig auf das Netz haben?

Jochen Wegner: Standard-Kryptografie wird zur Normalität. Der Erfolg der einst völlig unbekannten App Threema zum Beispiel zeigt doch, dass es jetzt einen entsprechenden Markt für Dienste und Produkte gibt, die standardmäßig verschlüsseln. Es ist ein großer und wichtiger Schritt, wenn die ersten populären Produkte das liefern. Ich freue mich jedenfalls schon auf die ersten Massen-Anwendungen, bei denen sich niemand mehr Gedanken um die Datensicherheit machen muss – wo einfach klar ist, dass man sicher kommuniziert.

t3n Magazin: Das klingt nach einer rein technologischen Konsequenz aus dem NSA-Skandal. Glauben Sie, dass sich kulturell auch was verändert?

Jochen Wegner: Nein. Wir merken, dass sich immer weniger Leser für die NSA-Affäre interessieren. Mein Gefühl ist, dass sich im alltäglichen Umgang mit dem Netz nicht viel geändert hat und auch in Zukunft nicht viel ändern wird – außer, dass es jetzt Witze über die NSA gibt. Sie ist jetzt Teil der Popkultur.

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Kommentare (1)

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Peter Löbel

… „Wir verfolgen einige große Projekte: Zeit Online responsiv zu gestalten, neue Medien zu etablieren wie etwa das Zeit Magazin Online, das wir gerade starten.“

Wäre schön wenn „responsiv“ auch mal ein wenig mehr als nur „Bootstrap“ bedeuten würde.
http://de.wikipedia.org/wiki/Bootstrap_%28Framework%29

Vielleicht so.
http://www.the-magazines.com

Ok, ist noch nicht ganz ausgereift aber auf dem besten Wege dahin.

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