Vor der Unternehmensidee stand erst einmal der Frust. „Dieser Online-Journalismus geht mir auf die Nerven“, schrieb Max Koziolek seinem heutigen Mitgründer Jendrik Höft Anfang 2015. „Es ist einfach furchtbar, vor allem, wie man Artikel liest.“ Höft konnte ihm nur zustimmen. Die beiden Freunde, die sich seit 15 Jahren kennen und schon in Falkenberg bei Berlin gemeinsam die Schulbank drückten, ärgerte es, dass ihnen viele relevante Beiträge im Netz entgingen. Und dass die Plattformen, auf denen die Artikel verteilt wurden, nicht mehr zeitgemäß waren – längst informierten sie sich lieber über Instant Messenger als über den unübersichtlichen Newsfeed.
Höft und Koziolek ärgerten sich so sehr darüber, dass sie die Suche nach einer Lösung über Wochen hinweg beschäftigte. Schließlich kam ihnen eine Idee: Wie wäre es, wenn Leser ihre Lieblingsautoren abonnieren können – ganz bequem über Whatsapp, Deutschlands meistgenutztem Instant-Messenger? Damit ließe sich ein entscheidendes Problem umschiffen: Statt schnelle Agenturmeldungen und gesponserte Artikel gemixt mit den Perlen des Journalismus im Newsfeed zu finden, erhielte man per Push-Meldung nur noch die interessanten Stücke.
Das Gründerteam komplettierte Manfred Stellenberg, den Koziolek und Höft auf einer Party trafen. Man tauschte sich aus – und verstand sich auf Anhieb. Der Entwickler brachte technisches Know-how und Erfahrung aus der Startup-Szene mit: Er hatte zuvor das Unternehmen Ubimet mit aufgebaut, das zielgerichtete Wetterprognosen unter anderem für die Formel 1 liefert. Fortan entwickelten die drei Gründer rund um die Uhr. Binnen zwei Wochen stand der Dienst als Prototyp zur Verfügung. Für die schnelle Umsetzung legten Koziolek und Höft ihre weiterführenden Studienpläne auf Eis. „Wir hatten bereits so viel gedankliche Arbeit reingesteckt, wir wollten es dann einfach machen“, sagt Jendrik Höft im Gespräch. Das war im Juni 2015.
Wenn Whatsapp das Geschäftsmodell torpediert
Doch ganz so einfach, wie sich die drei Gründer Spectrm gedacht hatten, ging es dann doch nicht. Die ursprüngliche Idee, Verteiler von einzelnen Autoren anzubieten, stieß zwar bei den Nutzern auf Interesse. Die Klickraten der Artikel, die die Autoren verlinkten, lagen bei mehr als 80 Prozent. Allerdings ist die Distribution von Whatsapp ein unsicheres Geschäft. Denn der Instant Messenger hält nicht viel von Newslettern, er verbietet sie in seinen AGB sogar ausdrücklich. Am 18. Oktober 2015 fing er deshalb an, die Nummern der Verteiler erst als Spam zu markieren und sie anschließend zu löschen. Ein Rückschlag für die Gründer, der Folgetag blieb ihnen als „Red Monday“ in Erinnerung: Die Nutzer erhielten keine Abos mehr, der ganzen Idee drohte das Aus. „Wer auf Whatsapp als Distributionskanal setzt, muss damit rechnen, dass er von heute auf morgen wegbricht“, sagt Max Koziolek.
Auch deshalb begannen die Gründer, sich auf die Nummer zwei in Deutschland zu konzentrieren und ihre Technologie auf den Facebook Messenger zuzuschneiden. Das sollte sich in der Folge als wahrer Glücksgriff herausstellen.
Durch die Whatsapp-Phase hatten die Gründer herausgefunden, was ihr Dienst leisten sollte. Auf Facebook bauten sie ihre Idee nun weiter aus. Mit dem neuen Produkt bewarb sich Spectrm für die erste Runde des Next Media Accelerators. Dort wurde das Startup mit 50.000 Euro Kapital, neuen Kontakten und einem temporären Büro in Hamburg ausgestattet. Parallel dazu fädelten die Gründer die erste große Kooperation ein: Sie sprachen mit Bild.de über einen Transfer-Ticker für die Leser im Facebook Messenger. Nutzer bekamen dadurch die Möglichkeit, über den Messenger wichtige Neuigkeiten zu Spielerwechseln in der Bundesliga zu abonnieren – und das sogar speziell für ihren Lieblingsverein.
Dass einer der ersten Ticker zu Werder Bremen umgesetzt wurde, lag auch an Malte Gösche, der bei der Bild neue Plattformen verwaltet und selbst Anhänger der Grün-Weißen ist. Zu der internen Testgruppe stieß dann wenig später ein Facebook-Mitarbeiter aus Deutschland, ebenfalls Werder-Fan. Plötzlich sei noch jemand aus den USA dazugekommen, so Höft. So kam Spectrm durch Kontakte bei der Bild zu Facebook.
In der Firmenzentrale in Kalifornien beobachtete man das Treiben in Deutschland ganz genau. Denn was Bild.de und Spectrm entwickelten, deckte sich mit den eigenen Vorhaben von Facebook. Der hauseigene Chat-Dienst sollte für so genannte Chat-Bots geöffnet werden. Damit sollten Nutzer ihre alltäglichen Aufgaben erledigen können: Flüge buchen, Anziehsachen kaufen, das Wetter abfragen – und Nachrichten abonnieren. „Unser Service war auf Publisher ausgerichtet“, sagt Max Koziolek im Gespräch. „Und genau danach hat Facebook gesucht.“
Über Weihnachten zum Facebook-Partner
Über die Feiertage trafen sich Spectrm und Facebook zum Gespräch – und beschlossen, Partner zu werden. Doppelte Festtage für die Gründer, sozusagen. Nur wenige Monate nach der Gründung ging es für die Gründer nach San Francisco. Als Mitglied des Partnerschaftsprogramms durften sich Höft, Koziolek und Stellenberg im April 2016 auf der großen F8 Entwicklerkonferenz präsentieren. Das Spectrm-Logo prangte auf einmal neben dem von CNN, dem Wall Street Journal und der Bild. Ein kometenhafter Aufstieg.
Hatten die Gründer nie Angst, die Kontrolle zu verlieren? „Wir hatten eigentlich nie wirklich Zeit darüber nachzudenken“, sagt Jendrik Höft. „Das Rad drehte sich immer schneller und wir entwickelten einfach nur weiter vor uns hin.“ Mit steigendem Druck sei auch die Motivation gestiegen.
Heute zählt Spectrm neun Mitarbeiter und hat ein profitables Geschäftsmodell entwickelt. Das Startup setzt dabei auf ein Software-as-a-Service-Modell. Medienunternehmen buchen sich für einen Festpreis zwischen 180 Euro und 4.470 Euro in die Technologie ein. Neben Bild.de und auch t3n.de arbeiten mehr als 50 Kunden derzeit fest mit dem Startup zusammen. Etliche weitere testen den Service noch. Wie viele Nutzer Spectrm hat, verrät das Unternehmen nicht.
Mit dem US-Nachrichtenmagazin Nowthis ist kürzlich ein Medium hinzugekommen, das laut Koziolek „ein absoluter Wunschpartner“ ist. Nowthis besitzt keine Website mehr, sondern veröffentlicht ausschließlich über Facebook, Snapchat oder Twitter eigens produzierte News-Videos. Das Medien-Startup vereint damit drei wichtige Trends im Publishing: Video, Social und Mobile. „Für uns ist die Kooperation enorm spannend“, sagt Höft. Das liegt daran, dass sich Videos seit kurzer Zeit nativ in den Facebook Messenger einbetten lassen. Damit gehen Inhalte nicht mehr verloren. Ein großer Vorteil. Denn bisher konnten Nutzer, die in U-Bahnen beispielsweise nur mit Edge unterwegs waren, Videos häufig nicht abspielen und fanden sie später im Facebook-Newsfeed nicht wieder. Jetzt ist das Video einfach im Chatprogramm eingebunden. „Den View kann man dann einfach im Büro nachholen, sobald man sich wieder im WLAN befindet“, sagt Max Koziolek.
Als nächster Punkt auf der Agenda des Startups steht Machine Learning. Speziell heißt das, dass sich Spectrms hauseigene Bot-Technologie noch präziser auf die Interessen der Leser ausrichten soll. Denkbar wäre dann, dass – um mal beim Bild.de-Beispiel zu bleiben – Abonnenten nicht nur die News zum Lieblingsverein erhalten, sondern bei Bedarf auch zum Lieblingsspieler. „Personalisierung ist ein wichtiger Punkt, der uns umtreibt“, sagt Max Koziolek. Dafür wurden kürzlich auch neue Mitarbeiter eingestellt, die vom Büro in Berlin aus an neuen Algorithmen arbeiten.
Zu viel sollten Beobachter dennoch nicht erwarten, denn die Fähigkeiten der Chat-Bots bleiben vorerst überschaubar. Es seien vor allem die Aufgaben, die nicht zu stark von subjektiven Geschmäckern getrieben sind, die die Programme übernehmen. Vor allem das Buzzword „Künstliche Intelligenz“ wird diesbezüglich viel zu inflationär und oft völlig falsch benutzt. „Oft steht KI drauf, obwohl überhaupt gar keine drin ist“, sagt Jendrik Höft. Denn dass ein Bot herausfindet, welches der schwarzen Kleider unter 500 Euro einem Käufer gefallen wird, ist wesentlich schwieriger, als ihm per Auftrag eine News des Lieblingsvereins zu übermitteln.
Go West: Warum Spectrm in die USA expandieren will
Die Gründer wollen nun weiter expandieren. Die meisten ausländischen Partner stammen bereits jetzt schon aus den USA und Großbritannien, dazu zählen Mic.com, Business Insider und Thrillist. Priorität hat deshalb der US-amerikanische Markt: Abgesehen von Nowthis sollen in den kommenden Wochen noch weitere US-Kunden hinzukommen. In den Vereinigten Staaten tummeln sich zudem einige der größten Mitwettbewerber wie Outbrain oder Chatfuel. Sie zeichnen sich unter anderem für den CNN- und den Techcrunch-Bot verantwortlich. „Es ist interessant, wie rasant sich der Markt entwickelt“, sagt Jendrik Höft. Angst vor der Konkurrenz haben die Gründer nicht, im Gegenteil: „Wir werden sicher viel voneinander lernen.”
Ein Büro in New York ist bereits in Planung. Die vor wenigen Wochen erhaltene Seed-Finanzierung über 1,5 Millionen US-Dollar, die von North Base Media, Lerer Hippeau Ventures, Axel Springer, Bertelsmann und dem Angel-Investor Jens Schumann stammen, hilft bei diesem Vorhaben. Auf die Frage, ob sich Spectrm ganz in die USA verabschieden könnte, beruhigt Jendrik Höft jedoch. „Das ist für uns keine Option“, sagt er. „Wir kommen von hier, haben unsere Familie und Freunde in der Nähe und ein ausgebildetes Team am Start. Wir bleiben natürlich.“