Zu Besuch bei Figo: „Wir sind das Dropbox für Finanzen“
Große Party bei kleinen Bankern
Ein grauer Dezembermorgen in Hamburg: Im Büro von Figo herrscht das wilde Durcheinander. Auf den Schreibtischen stapeln sich Kuchenreste, auf einer Kommode Pralinenschachteln und aufgerissene Weinkartons. Unter die Decke hat sich ein Gasluftballon in Herzform verirrt, am Boden liegen ein Golfschläger, ein Basketball und eine Nerf-Gun. Drumherum sitzen Menschen an ihren Schreibtischen und starren mit müden Augen in die flimmernden Bildschirme vor ihnen. What the hell happened here?
„Weihnachtsfeier“, lacht André Bajorat mit leicht angekratzter Stimme und begrüßt uns mit einer entschuldigenden Handbewegung: „Sorry, der Abend gestern war lang“. Dabei ist falsche Bescheidenheit im Hause Figo derzeit überhaupt nicht angebracht. Denn es läuft prächtig. Gerade erst hat das Team den ersten Platz beim Startup-Wettbewerb des Branchenverbandes Bitkom in der Kategorie „Finanztechnologie“ eingeheimst. Den mit 5.000 Euro und allerlei Extras dotierten Scheck hat Frontmann Bajorat in der Hektik erstmal sporadisch neben der Ledercouch geparkt. Er hat eher symbolischen Wert: „Eine Belohnung dafür, dass wir so lange durchgehalten haben“, sagt der 44-Jährige sichtlich stolz.
„Eigentlich wollten wir mal die beste Banking-App bauen“
Durchhaltevermögen ist genau das richtige Stichwort, um die Geschichte einer der vielversprechendsten deutschen Fintech-Gründungen zu erzählen. Immerhin stand Figo bis vor kurzem noch dem Scherbenhaufen einer mit großen Ambitionen entwickelten Geschäftsidee gegenüber. „Eigentlich“, sagt Bajorat rückblickend, „wollten wir mal die beste Banking-App bauen“, und klärt bei dieser Gelegenheit auf, dass diese Idee ursprünglich gar nicht von ihm stammt. Das werde oft missverstanden. Er und Heiko Rahlfs, sein heutiger Finanzchef, hätten Figo zwar mitgegründet, das Startup anfangs aber lediglich als Business Angels unterstützt. Erst später, sagt Bajorat, haben sie Figo zu dem gemacht, was es heute ist.
Aber von vorn: Zurück geht die Gründung von Figo auf den Designer Markus Lüdemann. Dieser erkannte im Sommer 2012, dass es bis dato noch keine bequeme Smartphone-Lösung für das persönliche Finanzmanagement gab. Die Apps der Banken beschränkten sich zumeist auf einen rudimentären Zugang zum Online-Banking. Über einfache Überweisungen und mobil abrufbare Kontoauszüge ging ihr Funktionsumfang nur selten hinaus. Eine optisch ansprechende und auch technisch innovative App unter dem Leitsatz „finance to go“ – kurz: Figo – sollte das ändern.
Im Mittelpunkt von Lüdemanns Überlegungen stand die Umkehrung klassischer Mechanismen in der Kontoverwaltung: Statt dem Nutzer Einsicht und Abruf seiner Finanzen selbst zu überlassen, sollte Figo das erledigen. Die exklusiv für das iPhone erdachte Anwendung ermöglichte hierzu die zentrale Verwaltung von beliebig vielen Kontotypen bis hin zu E-Wallets wie etwa PayPal. Alle Kontobewegungen wurden in einer Monatsübersicht zusammengefasst, Herzstück von Figo sollte eine vorausschauende Funktion zur Budgetkontrolle werden. Jedesmal also, wenn der Kontostand ins Minus rutschte oder ein zuvor definiertes Ausgabenlimit überschritten wurde, erhielt der Nutzer eine Push-Benachrichtigung aufs Smartphone. Weitere Funktionen in Form von Drittanbieter-Anwendungen sollten folgen.
Von Apple in Existenznot gebracht
Schon während der monatelangen Vorbereitungen hatten Medien euphorisch über das Vorhaben von Figo berichtet. Von der Initiative Mittelstand wurde die App sogar noch vor dem Launch mit einem Innovationspreis in der Kategorie „Finance“ ausgezeichnet. Als die App schließlich im Herbst 2013 im App Store debütierte, schien der Grundstein für eine neue Form des mobilen Bankings gelegt. Doch dann kam plötzlich alles anders.
Nur wenige Wochen nach dem Launch erhielt das Team eine E-Mail von Apple: Der Konzern wies das Team darauf hin, dass die App gegen die Richtlinien verstoße. Kurz darauf warf Apple die Figo-App ohne weitere Erklärung aus dem App Store. Auch der Entwickler-Account des Teams wurde mit einer ein Jahr geltenden Sperre sanktioniert. Quasi über Nacht wurde dem Jungunternehmen die Geschäftsgrundlage entzogen.
Bis heute kann Bajorat nur darüber spekulieren, wie es zu dieser drastischen Maßnahme gekommen ist. „Ich vermute, dass es an unserem etwas unkonventionellen Betaverfahren gelegen hat“, sagt Bajorat rückblickend. Unkonventionell heißt in diesem Fall: am Rande des Missbrauchs. Zur Erprobung seiner App griff Figo auf den Enterprise-Account der beliebten Test-Software „Testflight“ zurück. Diese habe es großen Firmen ermöglicht, eigene Apps unter Mitarbeitern ohne vorherige Freigabe durch Apple auf Herz und Nieren zu prüfen, wie Bajorat erklärt. „Da es damals noch kein offizielles Betaprogramm von Apple gab, haben wir diese Funktion einfach für unsere Zwecke genutzt und so mehr als 3.500 Nutzer generiert.“ Dass diese etwas eigenwillige Interpretation den Managern in Cupertino offenbar ein Dorn im Auge gewesen ist, vermutet auch Bajorat: „Das hat Apple wohl nicht gerne gesehen“, resümiert er den Schlamassel.
Der überraschende Rauswurf versetzte das Startup schließlich in einen mehrere Monate andauernden Schwebezustand, in dessen Verlauf sich das Team teils hitzige Diskussionen über die Zukunft von Figo liefern musste. Während Gründer Lüdemann an seiner Idee der Banking-App festhalten wollte, glaubte der Gesellschafterkreis um Bajorat und Rahlfs angesichts fehlender Ressourcen nicht mehr daran, mit einer einzigen und auf Endkunden abzielenden App ein tragfähiges Geschäftsmodell entwickeln zu können.
„Am Ende sind wir zu der Erkenntnis gelangt, dass es sinnvoller ist, sich mit unserer bereits existierenden Figo-Schnittstelle auf den Business-Bereich zu fokussieren“, begründet Bajorat den Strategieschwenk von Figo. Daraufhin schied Lüdemann aus dem Unternehmen aus, Bajorat hingegen übernahm im Frühjahr 2014 das Ruder der Geschäftsführung und holte Rahlfs als Fachmann für die Finanzen ins Boot. Beide können auf langjährige Erfahrung in der Finanzbranche zurückblicken. Bajorat hat das Bezahlverfahren giropay mit aufgebaut, Rahlfs war als Finanzberater für die Dresdner Bank tätig. „Unser Ziel“, so Bajorat, „besteht nun darin, den Beweis zu erbringen, dass wir mit Figo durch den neuen Ansatz doch noch Geld verdienen können.“
Die Wende: Eine Dropbox für Finanzen
Aus den technischen Überresten der App hat Figo seitdem eine offene Banking-Plattform gebaut, die Bajorat heute vereinfacht als eine „Dropbox für Finanzen“ bezeichnet. Kunden von Figo können nach dieser Logik über einen cloudbasierten Benutzer-Account auf nahezu alle deutschen Bankkonten, Kreditkartenanbieter und Wallets zugreifen. Das Herzstück ist die so genannte „Figo Connect API“, die bereits erwähnte Programmier-Schnittstelle, die das Startup von Anfang an im Hintergrund seiner Banking-App entwickelt hatte, um später auch die Drittanbieter-Anwendungen unterstützen zu können: Die API ermöglicht es Entwicklern, jede erdenkliche App ohne viel Aufwand mit vollwertigen Banking-Funktionen auszustatten. Kontoinformationen und Umsätze können ausgelesen, Überweisungen und Lastschriften getätigt oder Kreditkarten für den Zahlungsverkehr hinterlegt werden.
Den Mehrwert aus Sicht von Banken, Entwicklern aber auch Startups aus dem Bereich der Finanztechnologie sieht Bajorat vor allem im Komfort: „Unsere Partner sparen dadurch erheblichen Entwicklungsaufwand und müssen sich nicht um die Besonderheiten im Umgang mit Finanzdaten kümmern“, sagt er. „Wir bieten einen kompletten und nach Standards der deutschen Kreditwirtschaft zertifizierten Service.“ Zudem könne jeder Kunde die Daten für die Anwendungsfälle nutzen, die er gerne hätte. Sei es bei einer Rechnung, die per App beglichen werden soll, oder einem Kostenabgleich in der Buchhaltungssoftware.
Konkret für diesen Anwendungsfall gehört beispielsweise Fastbill zu den Vorzeige-Kunden von Figo: Das Hamburger Fintech-Unternehmen bietet eine Buchhaltungssoftware an, die eingehende Zahlungen dank der Figo-Schnittstelle automatisch den Rechnungen zuordnen und in einen Kontoauszug ummünzen kann. Sogar eine Überweisung erfasster Belege ist möglich.
Zum weiteren Kundenkreis von Figo zählen außerdem das Shopsystem VersaCommerce, die Payment-App Lendstar, der Kredit-Marktplatz auxmoney oder die Deutsche Post. Mit der Schweizer Großbank UBS hat sich Figo sogar schon einen ersten Big Player aus der Finanzindustrie an Bord geholt, sie nutzt die Schnittstelle für den Betrieb einer internen Innovationsplattform.
Retter der Banken- und Finanzindustrie
Das Beispiel der UBS steht sinnbildlich für die Bemühungen der gesamten Finanzbranche, mit der vor allem durch junge Fintech-Startups vorangetriebenen Digitalisierung Schritt zu halten. Viele Banken haben den Wandel hin zu wirklich kundenfreundlichen Produkten für Web und Smartphone in den letzten Jahren verschlafen. „Banken sind derzeit weit davon entfernt, schnell und innovativ zu sein“, sagt Rahlfs, der die hausgemachten Probleme aus Gesprächen mit Bankhäusern nur zu gut kennt.
Nur selten würde aus der Sicht des Kunden gedacht, die Infrastrukturen der Banken seien marode und oft fehle ihnen auch der Mut, sich auf neue Technologien einzulassen. „Damit ist die Angst verbunden, durch Experimente womöglich am eigenen Stuhl zu sägen“, benennt Rahlfs die Gründe für den großen Innovationsrückstand. Dabei sei Offenheit mit einer der wichtigsten Treiber für neue Geschäftsmodelle im Bankensektor, wie Bajorat einwirft: „Die meisten Kunden haben heutzutage nunmal mehr als nur eine Bankverbindung.“ Wer auf abgeschottete Insellösungen setze und offene Systeme ausblende, habe schnell verloren. „Kunden wollen ein finanzielles Zuhause mit flexiblem Banking für ihren konkreten Anwendungsfall“, so Bajorat.
Vielleicht passt die Lösung von Figo nach Auffassung der Macher gerade deshalb so gut in den Zeitgeist: „Offene Plattformen sind nicht nur für Banken, sondern auch für Fintech-Startups ein großer Schlüssel zum Erfolg“, sagt Rahlfs. Zwar gebe es mittlerweile jede Menge Gründungen mit entsprechenden Anwendungen für den Verbraucher. Bedingt durch mangelndes Vertrauen auf Kundenseite, regulatorische Hürden und hohe Entwicklungskosten sei es bislang jedoch schwer gewesen, sich mit einem Produkt am Markt durchzusetzen. Auch Figo habe dies anfangs zu spüren bekommen. „Bevor wir in unserer Banking-App das erste Bankkonto einbinden konnten, hatten wir schon 50.000 Euro verbrannt“, berichtet Rahlfs.
Dank Figo gehört das der Vergangenheit an. Heute kann praktisch jeder innerhalb weniger Stunden problemlos eine ganze Reihe von Finanzdiensten aus der Taufe heben, wie auch ein jüngst von Figo in Frankfurt veranstalteter Hackathon belegt. Zwei Tage hatten sich über 70 Entwickler in der Bankenmetropole versammelt, um auf Basis der Figo-Schnittstelle kreative Finanzlösungen zu entwickeln. Zu den aufsehenerregendsten Projekten zählten etwa ein Messenger für Bankkunden oder eine App zur automatisierten Abrechnung von Verträgen.
Siebenstellige Umsätze in Sicht
Das Interesse an der Figo-Plattform ist groß. Derzeit können Bajorat und Rahlfs auf über 450 Entwickler und 40 unterschiedlich große Partner zählen. Und jeden Monat werden es mehr: „Das Nutzerwachstum liegt bei gut 15 Prozent“, sagt Rahlfs und beantwortet damit auch indirekt die Frage, wie das Startup aus diesem Boom denn nun eigentlich selbst Kapital schlagen will.
Zur Monetarisierung setzt Figo auf ein klassisches, aber durchaus cleveres Provisionsmodell: Für Entwickler ist die Schnittstelle kostenfrei, Partner zahlen erst bei kommerzieller Nutzung eine nutzungsabhängige Gebühr im niedrigstelligen Cent-Bereich. Die Höhe der Abgabe richte sich laut Bajorat danach, ob der Kunde die Gebühr pro Nutzer oder bei jeder über die Figo-Schnittstelle ausgelösten Transaktion entrichtet. „So agieren wir quasi als Mautstelle in der Mitte zwischen etablierten Banken und neuen Finanzdiensten“, erklärt er den Leitgedanken hinter der Plattform.
Dass dies genügt, um das erhoffte tragfähige Geschäftsmodell auf die Beine stellen zu können, davon sind beide überzeugt. 35 Millionen Online-Banker, so Bajorat weiter, gebe es allein in Deutschland. „Wenn davon nur zehn Prozent unsere Plattform für die Abwicklung ihrer Bankgeschäfte nutzen, ist das beachtlich.“ Rahlfs hingegen verweist auf die mehr als 23 Millionen Zugriffe, die die Figo-Schnittstelle jeden Monat verzeichnet. „Bedenkt man, dass bei jedem einzelnen Zugriff ein kleiner Centbetrag im Spiel ist, stehen die Chancen auf ein profitables Geschäft sehr gut.“
Das spiegelt sich auch in den sechsstelligen Umsätzen wider. Bereits 2015 hat Figo nach Angaben der Macher rund 350.000 Euro erwirtschaftet. In diesem Jahr wird es voraussichtlich mehr als drei mal so viel sein. „Die Million knacken wir sicher“, gibt sich Rahlfs optimistisch. Zwar reiche dies noch nicht ganz für einen Gewinn. Dies sei aktuell aber auch gar nicht der Fokus. Erst im November sammelte man einen siebenstelligen Millionenbetrag unter anderem von Google-Chefingenieur Jörg Heilig ein. Das Ziel: Weiteres Unternehmenswachstum am Standort Hamburg.
Aus Hamburg in die Bankenzukunft
In den kommenden Monaten will sich Figo vom Fintech-Startup zum größten unabhängigen Bankdienstleister mausern. Die Erweiterung der Plattform um Kredit-Scoring-Funktionen oder eine Aktienverwaltung für Privatanleger ist ebenso geplant wie eine Expansion ins Ausland. Vor allem Großbritannien als Mutterland der Finanzindustrie steht bei Figo gerade hoch im Kurs. Bis zum Frühjahr wollen Bajorat und Rahlfs ihr Team dazu von bisher 16 auf dann 25 Mitarbeiter aufstocken. Ende 2016 sollen es 50 sein. Die Suche nach einem neuen Büro läuft schon auf Hochtouren.
Dass sich Figo für sein Vorhaben ausgerechnet das bodenständige Hamburg und nicht etwa Frankfurt als Epizentrum der Bankenindustrie ausgesucht hat, begründen Bajorat und Rahlfs mit der besseren Anbindung an die seit Jahren wachsende Fintech-Szene in der Hansestadt. Im Vergleich zu anderen Städten falle es auch leichter, talentierte Entwickler zu finden. Das internationale Team von Figo sei extrem motiviert: „Banking ist im Moment ein für Verbraucher beschissen gelöstes Thema, weshalb einfach viele gerne daran arbeiten wollen“, sagt Bajorat. Und dies sei eben „keine Fotosharing-App oder ein blöder E-Commerce-Shop“.
Aber auch sonst gebe es nach Auffassung von Bajorat und Rahlfs abgesehen von einer für Branchen-Verhältnisse vergleichsweise lockeren Arbeitsatmosphäre („ein Bier nach Feierabend ist immer drin“) einige gute Gründe, für Figo zu arbeiten. „Wir haben den Vorteil, dass wir als Geschäftsführer doch schon zwei bis drei Tage älter sind als die vielen Jungspunde in der Fintech- und Startup-Szene“, witzelt der 47-jährige Rahlfs. Zwar würden viele Bankmitarbeiter gerne auch mal Startup-Luft schnuppern wollen. Etliche schrecke es jedoch ab, für einen 26-Jährigen zu arbeiten, bei dem man sich nie sicher sein könne, ob man auch in drei Monaten noch seinen Lohn ausgezahlt bekäme. „Das“, sagt Rahlfs, „nimmt man uns heute offensichtlich ab“.
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(Gruß an Euren Regex-Parser)
„ein siebenstelliger Millionenbetrag“ …. wow…