Digitalisierung und Startups: Was die Bundesregierung nach der Wahl angehen muss
Im diesjährigen TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz drehte sich keine einzige Frage um die digitale Revolution. Ich als Unternehmer kann nur hoffen, dass das Duell kein Abbild der politischen Prioritäten der beiden Kanzlerkandidaten ist. Denn in den kommenden vier Jahren müssen wir im Bereich Digitalisierung und Startups die richtigen Weichen stellen, damit Deutschland international nicht vollkommen abgehängt wird. Es ist höchste Zeit.
Weniger Regularien, mehr Freiheit
Dabei hat sich das deutsche Startup-Ökosystem seit seinem Bestehen eigentlich recht dynamisch entwickelt. Startups schaffen und sichern Arbeitsplätze, Leistungsfähigkeit und Wohlstand. Doch auch Startups bewegen sich nicht im luftleeren Raum. Sie sind von einem regulatorischen Rahmen umgeben. Der hat für die Digitalwirtschaft der Jahrtausendwende einigermaßen gepasst. Mittlerweile sind die Technologie und mit ihr die Geschäftsmodelle der Startups diesem Rahmen aber längst entwachsen.
Wenn man den regulatorischen Rahmen nun so anpassen will, dass er Startups in Deutschland den nötigen Raum zum Wachsen lässt, dann muss man sich zuerst die Frage nach den kritischen Faktoren für den Erfolg eines Startups stellen. Für mich sind das in erster Hinsicht Kapital und Köpfe. In diesen beiden Bereichen muss der Rahmen also am dringendsten angepasst werden.
Mehr Wagniskapital
Es gibt in Deutschland eigentlich eine Menge privates Kapital. Leider findet es aber noch viel zu selten den Weg in innovative Startups. Laut dem Startup-Barometer von EY flossen im ersten Halbjahr 2017 gut zwei Milliarden Euro Wagniskapital in deutsche Startups. Das ist zwar deutlich mehr als im Vorjahreszeitraum, doch der deutsche Venture-Capital-Markt hinkt weit hinterher. Die Wagniskapital-Lücke zu den USA beträgt 60 (!) Milliarden Euro.
Wer diese Lücke auf einen angeblich mangelnden Ideenreichtum oder kleingeistiges Denken deutscher Gründer zurückführt, verdreht die Kausalität: Wenn ich als Unternehmer befürchten muss, waghalsige, besonders innovative Ideen gar nicht erst durch Investoren finanziert zu bekommen, dann gründe ich lieber das nächste E-Commerce-Startup. Da habe ich wenigstens die Finanzierung sicher.
Ein Vorschlag, um hier Abhilfe zu leisten: Institutionelle Anleger wie Versicherungen und Pensionskassen müssen für Investitionen in Startups geöffnet werden. Dazu müssen aber zunächst die gesetzlichen Restriktionen, die solche Investitionen verhindern, entsprechend liberalisiert werden. Kapitalsammelstellen wie diese sollten zumindest ein Prozent ihres Vermögens in Technologie und Startups – also in VC-Fonds – investieren dürfen. In den USA wird das schon lange praktiziert.
Mehr Gründer und Fachkräfte
Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten verlernt, ein Gründerland zu sein. SAP ist das einzige Unternehmen im Dax, dessen Gründer noch leben. Die Mehrheit der reichsten Deutschen hat ihr Vermögen geerbt, in den USA hingegen sind Wohlhabende mehrheitlich „Selfmade“-Millionäre – Entrepreneure eben.
Wenn Deutschland das Land der Erfinder ist, dann erfinden wir leider vor allem für andere. Wir müssen lernen, Erfinder und Innovationen „Made in Germany“ mehr zu feiern. Es braucht Anerkennung anstelle von grundsätzlichem Misstrauen oder sogar Neid. Denn wir brauchen dringend mehr mutige Gründerinnen und Gründer!
Eine offene Einstellung zum Unternehmertum muss bei jungen Menschen bereits durch Entrepreneurship-Education in Schule und Hochschule sowie in der beruflichen Bildung gefördert werden. Im staatlich-verstaubten Hochschulwesen sehe ich massenhaft Missstände, die wir dringend angehen müssen. Bildung ist in Deutschland zwar kostenfrei, aber eben nur an staatlichen Einrichtungen. Warum stellt der Staat nicht jedem jungen Menschen ein Bildungsbudget zur Verfügung, und die Studenten entscheiden selbst, ob sie an einer staatlichen oder privaten Hochschule studieren möchten? Man stelle sich nur mal vor, welche Innovationen in der Bildung möglich wären, wenn unsere Hochschulen nicht mit dem Charme und der Innovationskraft von Behörden agieren würden.
Deutschland muss Heimat für talentierte Menschen aus aller Welt sein. Gründer und Fachkräfte aus anderen Ländern bleiben und arbeiten in Deutschland, wenn sie hier willkommen geheißen werden. Eine Willkommenskultur, die den Fachkräften den Einstieg in das Leben und das neue Land erleichtert, ist für den Standort Deutschland unerlässlich.
Globale auf Renationalisierung ausgerichtete Bewegungen, die etwa zum Brexit geführt haben oder in der Trump-Wahl zum Ausdruck kamen, gefährden die Innovationsdynamik in diesen Staaten. Wenn diese Länder den klügsten Köpfen gerade ins Gesicht sagen „Wir wollen euch nicht“, dann muss Deutschland erst recht sagen: „Wir schon.“ Wenn Recep Tayyip Erdoğan Akademiker und Intellektuelle aus dem eigenen Land treibt, sollten wir sie mit offenen Armen empfangen.
Eine moderne Netzpolitik
Eine moderne Netzpolitik streicht das Leistungsschutzrecht für Verleger und beerdigt die Pläne für ein europäisches Leistungsschutzrecht schnell und unmissverständlich. Moderne Netzpolitik sichert ohne Wenn und Aber die Netzneutralität und investiert massiv in den Ausbau von breitbandigem Internet.
Jetzt zu der deutschesten aller Digitalisierungsdebatten: Datenschutz. Moderne und an den Chancen und Risiken orientierte Netzpolitik passt das deutsche Datenschutzrecht an die Realitäten des 21. Jahrhunderts an. In der Datenschutzdebatte hat schon viel zu lange die typisch deutsche Einstellung „Erst einmal verbieten, alles andere später!“ die Deutungshoheit. Das führt in einer globalisierten Welt leider in erster Linie dazu, dass Innovationen in der Datenanalyse und -verarbeitung nicht in Deutschland, sondern woanders auf der Welt entstehen.
Die digitale Revolution spielte im TV-Duell keine Rolle. Okay, abgehakt. Ich will und kann mir aber einfach nicht vorstellen, dass unsere gewählten Vertreter tatsächlich so entrückt sind und dieses Thema nicht auf dem Schirm haben. So oder so: Es ist neben der globalen Renationalisierung, den Fluchtbewegungen und dem Klimawandel das wohl wichtigste Thema – wahrscheinlich sogar die größte Chance – unserer Zeit. Dieser Stellenwert muss sich auch im Koalitionsvertrag und dem Regierungshandeln niederschlagen. Hoffen wir, dass die Politik endlich aufwacht.
Alles richtig im Artikel.
Das gewünschte Umdenken in Richtung Zukunftsfähigkeit (wovon Digitalisierung nur ein Punkt ist) wird mit der amtierenden Regierung aber nicht bzw. zu spät von statten gehen.
Wem es immer noch nicht aufgefallen ist, die aktuelle Regierung handelt nur wenn sie MUSS. Es findet lediglich ein Reagieren statt. Und da sie seit Jahrzehnten immer wieder gewählt wird, gibt es aus deren Sicht auch keinen Grund diese Methode zu ändern.
Die einzige Möglichkeit eine CDU wieder zum Handeln zu bewegen ist eine starke Opposition im Bundestag. Fehlt diese bewegt sich auch nichts. So einfach ist das.
Und wieder so ein espritvoller und inspirierender Artikel. Das stimmt doch optimistisch…