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„Ihr Deutschen verhindert Innovationen“: Der ehemalige Obama-CTO Harper Reed im Interview

Aufgewachsen ohne Fernseher, aber mit einem Mac IIC, schrieb der US-amerikanische Hacker Harper Reed mit sieben Jahren die ersten eigenen Programme. Berühmtheit erlangte er vor allem durch seine Tätigkeit als CTO des Wahlkampf-Teams von Barack Obama. Reeds Arbeit gilt als wichtige Voraussetzung für Obamas Wiederwahl. Im Gespräch mit t3n sinniert der Wahl-Chicagoer darüber, wo Hacker einen Unterschied machen können und wie man sie zu Höchstleistungen anspornt.

8 Min. Lesezeit
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Harper Reed.

Harper Reed.

Harper Reed.

Er unterstützt Open Source, liebäugelt mit Post-Privacy und sieht mit seinem extravaganten Style aus wie der „König der Nerds“ (The Atlantic): Harper Reed ist eine Art Bilderbuch-Hacker. Er hat Philosophie und Computerwissenschaften an der Cornell University studiert und in verschiedenen Startup-Projekten mitgearbeitet, bevor er 2011 als CTO für Barack Obamas Wiederwahlkampagne anheuerte. Mit Reeds Team steuerten zum ersten Mal nicht externe Berater, sondern eine interne Hacker-Task-Force die Geschicke einer US-Wahlkampagne. Und das mit Erfolg. Die Effizienz der technischen Infrastruktur von „Obama for America“ machte Furore – und Reed auch in Corporate-Kreisen bekannt. Mittlerweile arbeitet Harper Reed mit seinem Startup „Lunar Technologies“ in Chicago an Software für den E-Commerce, wobei er zu seinem eigenen Leidwesen mehr Zeit in Meetings verbringt als vor dem PC. Das Geheimnis um das, was er bei Lunar Technologies genau macht, möchte er aber frühestens im Herbst lüften. Reed spricht regelmäßig auf Konferenzen über die intelligente, kreative und demokratische Nutzung neuer Technologien.

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t3n Magazin: Du hast mal gesagt, die Begriffe Coder und Hacker könne man synonym benutzen. Wie bezeichnest du dich selbst am liebsten?

Harper Reed: Meine erste Identität ist die eines Hackers. Danach bin ich Coder, Nerd, wie auch immer man es nennen will. Manchmal nutze ich auch den Begriff Ingenieur, immerhin mache ich „Software Engineering“. Aber dabei denkt man doch eher an jemanden, der Brücken konstruiert, oder?

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t3n Magazin: Was sind die wichtigsten Merkmale eines Hackers?

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Reed: Vor allem die Offenheit gegenüber Neuem. Und ein tiefes Verlangen, hinter verschlossene Türen zu gelangen. In der Geschichte der Hacker geht es eigentlich immer um die Frage, wie etwas funktioniert oder was es bedeutet. Dazu muss man hinter die Fassade gelangen. Egal ob es eine echte, verschlossene Tür ist oder zum Beispiel eine API. Es geht immer um Antworten und um den Nervenkitzel des Entdeckers, schließlich könnte hinter dieser Tür ein ganz neues Universum liegen! Darum, Dinge kaputt zu machen, wie es heute oft in den Medien dargestellt wird, geht es jedenfalls nicht.

t3n Magazin: Wie wirkt sich das im unternehmerischen Kontext aus? Welche Türen können Hacker hier öffnen?

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Reed: Das kommt immer auf die konkrete Situation an. Das Gute an Hackern ist, dass sie die ihnen gestellten Aufgaben lösen und zwar mit allen erforderlichen Mitteln. Egal, ob sie im Vertrieb die Zahlen in die Höhe treiben oder für die HR-Abteilung die perfekten Jobkandidaten aussieben, indem sie LinkedIn crawlen. Mit Code kann man überall spaßige Sachen anstellen. Wobei die Technologie immer einem Ziel dienen sollte, statt reiner Selbstzweck zu sein.

t3n Magazin: Aber wie bringe ich einen Hacker dazu, sich mein Unternehmensziel zu eigen zu machen? Sind Hacker nicht Spielkinder, denen so was egal ist?

Reed: Nein. Die meisten Hacker orientieren sich sehr wohl an bestimmten Werten und Zielen. Nur stimmen die eben nicht immer mit dem überein, was ihr Chef will. Dann wird über Befugnisse diskutiert: „Du arbeitest doch für mich, also warum denkst du nicht wie ich?“ So eine Diskussion ist natürlich unproduktiv.

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t3n Magazin: Wie können Unternehmer, die Hacker einstellen wollen, dieses Problem umgehen?

Reed: Zunächst einmal, indem sie nicht plump beschließen, Hacker einstellen zu wollen. Du kannst dir nicht einfach eine Hacker-Kollektion zulegen und erwarten, dass sie bestimmte Sachen für dich machen. Stattdessen sollte man versuchen, die aus der Hacker-Ethik abgeleiteten Ideale, die Hacker in den letzten Jahrzehnten etabliert haben, zu nutzen, um sein Unternehmen besser zu machen. Also geht es eigentlich gar nicht darum, wie man am besten Hacker anheuert, sondern darum, selbst einer zu werden – das Problem zu identifizieren, das dein Unternehmen lösen will. Wenn ein Hacker dieses Problem dann spannend findet, wird er auch durchaus mit dir zusammenarbeiten.

t3n Magazin: Das heißt, um Hacker zu gewinnen, muss ich ein Problem haben, das sie fasziniert?

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Reed: Ja, ganz genau. Aber so ist es doch immer, oder? Wenn man nicht gerade verzweifelt einen Job braucht, sucht man nach einer positiven Herausforderung.

t3n Magazin: Und der ganze Rest: Die Cola, die Gummibärchen, die Pizzen – alles nur ein Mythos?

Reed: Naja, ein bisschen Futter und Pflege brauchen wir schon. Aber wichtiger sind andere Dinge. Es gibt ein großartiges Buch von David Pink. Es heißt „Drive“ und handelt davon, wie man eine Arbeitsumgebung schafft, an der Menschen gerne partizipieren. Das kann ich nur empfehlen. Letztlich sind Soft Skills viel wichtiger als vermeintliche Benefits. Im Idealfall schafft es ein Unternehmen, eine glückliche Gemeinschaft von Problemlösern zusammenzustellen. Kommunikation und Empathie sind dabei extrem wichtig: Man muss darüber reden können, wo das genaue Problem liegt, und die Beiträge anderer Leute wertschätzen können. Und auch die Erfolge feiern und die Fehlschläge diskutieren.

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t3n Magazin: Hacker engagieren ist also eine lösbare Aufgabe?

Reed: Wenn man sich das natürliche Habitat eines Hackers anschaut, kann das in einigen Unternehmen schon schwierig werden. Ich zum Beispiel brauche einen abgedunkelten Raum, einen Computer und möglichst laute Musik. Die Balance zwischen solchen Vorstellungen und denen der anderen Mitarbeiter zu finden, ist anspruchsvoll. Aber man kann daran arbeiten.

Harper Reed auf der Bühne: Seit Obamas Wahlkampf 2012 ist er ein gefragter Mann. (Foto: Jeremy Farmer / TechCocktail)

Harper Reed auf der Bühne: Seit Obamas Wahlkampf 2012 ist er ein gefragter Mann. (Foto: Jeremy Farmer / TechCocktail)

t3n Magazin: Wenn du alle Hacker um einen Gefallen bitten dürftest: Welche Eigenschaft sollten sie ändern?

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Reed: Ich würde mir wünschen, dass sie mehr auf Usability achten. Und auf Privatsphäre. Spätestens seit der NSA-Affäre müssen wir uns fragen, wie wir besser mit dem Thema umgehen. Und vor allem, wie wir es hinkriegen, dass auch andere Leute das tun können, zum Beispiel meine Oma. Das ist einfach total schwer momentan. Nimm nur mal PGP: Eine supertolle Anwendung, mit der Leute sich wirklich schützen können. Nahtlose, verschlüsselte Kommunikation, die nicht abgehört werden kann. Aber es ist so schwierig zu benutzen!

t3n Magazin: Hast du nicht im vergangenen Jahr noch gesagt, wir Europäer seien zu paranoid, was unsere Privatsphäre angeht?

Reed: Nein, das war auf das Sammeln von Daten bezogen, das ist nicht dasselbe. Ihr Deutschen habt legitime historische und kulturelle Gründe, das Sammeln von Daten bei euch gesetzlich einzuschränken. Das Problem ist nur, dass ihr so auch Innovationen verhindert. Ihr verliert Personen und Unternehmen, die sich mit datengetriebenen Services befassen an andere Länder mit weniger strenger Gesetzeslage. Und gleichzeitig nutzen die meisten Deutschen diese Services ja trotzdem. Nur, dass deren Macher dann nicht in Deutschland florieren, sondern anderswo.

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t3n Magazin: Aber wie lässt sich diese Thematik, also das Sammeln von Daten, vom Schutz der Privatsphäre entkoppeln?

Reed: Es ist schwierig. Ihr könnt und sollt eure strenge Haltung zur Datensammlung natürlich nicht einfach über Bord werfen. Dennoch ist die Diskussion so, wie sie momentan geführt wird, unproduktiv. Für mich geht es beim Thema Privatsphäre darum, in einer Welt, in der das Sammeln von Daten völlig okay ist, sagen zu können: „Ich möchte das jetzt abschalten.“ Und dieses Szenario wird kommen: Datensammeln, das wird immer mehr zum Alltag, auch weil nicht alle dasselbe restriktive Verhältnis dazu haben wie die meisten Leute in Deutschland. In dieser Hinsicht seid ihr Europäer genauso kurzsichtig, wie ihr es uns Amis immer vorwerft: Ihr könnt euch nicht vorstellen, dass ein System, das anders ist als eures, auch seine Daseinsberechtigung hat. Der unterschiedliche Umgang mit Daten hängt eben ganz stark von kulturellen und historischen Kontexten ab.

t3n Magazin: Und was bedeutet das für den Umgang mit Privatsphäre?

Reed: Dass wir ein System kreieren müssen, also Software und ein Konzept von Privatsphäre, das es Menschen überall auf der Welt ermöglicht, mit ihrer spezifischen Haltung ernst genommen zu werden. So, dass beispielsweise wir zwei kommunizieren können, egal ob in Europa oder Amerika, und die Daten des jeweils anderen dabei auf genau die Weise schützen können, wie er es möchte. Mit einer solchen technischen Infrastruktur könnte die Privatsphäre wirklich in den Händen der Bürger liegen. Denn da gehört sie hin, nicht in die einer Regierung, die mich bevormundet: Es ist doch meine Entscheidung, ob ich etwa Facebook oder Twitter im Austausch für bestimmte Dienste etwas von mir zur Verfügung stelle. Momentan interessieren sich leider nicht genügend Leute dafür, ein solches System zu erschaffen, auch zu wenige Hacker. Sonst hätten wir zum Beispiel PGP schon viel einfacher nutzbar gemacht. Wir müssen erst die Voraussetzungen schaffen, damit Bürger mit ihrer Privatsphäre im Netz frei umgehen können.

t3n Magazin: Das ist aber ein so komplexes Problem, dass wir im Endeffekt nicht nur mehr Business-Hacker brauchen, sondern auch Politik-Hacker, oder?

Reed: Ja. Und soziale und kulturelle Hacker. Im Prinzip in jedem Bereich, warum eigentlich nicht?

t3n Magazin: Sollte dann auch jeder programmieren lernen?

Reed: Wer zumindest ein bisschen coden kann, hat ein besseres Verständnis für Technologie und kann Probleme anders angehen. Das sorgt für bessere Startvoraussetzungen. Wenn du in einem anderen Land Geschäfte machen willst, ist es von Vorteil, die Sprache zu kennen und so ist das auch mit dem Internet. Trotzdem bin ich gegen irgendwelche Zwänge.

t3n Magazin: Aber wie verhindern wir dann ein Nachwuchsproblem bei den Hackern? Immerhin sind Computer heute so alltäglich, dass es von den eingangs erwähnten, verschlossenen Türen nicht mehr viele geben dürfte.

Reed: Klar, die Welt hat sich verändert. Als ich ein Kind war, hatten wir einen Mac IIC. Den überhaupt zum Laufen zu kriegen war ein Kampf. Heute schaue ich mir die Kinder meiner Freunde an und sie haben ein iPad. Da muss man überhaupt nicht kämpfen. Und wenn es kaputt geht, schmeißt man es weg und kriegt ein neues. Nur, was begeistert einen dann für Technologie, was zieht einen rein? Man findet auch heute noch genug verschlossene Türen. Zum Beispiel finde ich Projekte wie littleBits oder Raspberry Pi ziemlich aufregend. Sie bieten neue, andere Zugänge als früher und ermöglichen eine Generation von Hackern, die ganz anders ist als wir.

t3n Magazin: Inwiefern anders?

Reed: Hoffentlich sind da zum Beispiel viele Frauen und Mädchen dabei. Und Leute aus anderen Kulturen und mit verschiedenen Hautfarben. Sie werden verrückte Dinge kreieren, die wir niemals gebaut hätten – was genau, werden wir wohl erst in ein paar Jahren sehen. Und ausgehend davon, was ich heute im Netz so beobachte, würde ich sagen: Die nächste Hacker-Generation wird auf jeden Fall deutlich mehr Selfies produzieren als wir.

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Dein t3n-Team

Michael

Hallo,

ich finde dass der Typ sich rasieren sollte.

Mit freundlichen Grüßen,
Michael

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