Anzeige
Anzeige
Arbeitswelt
Artikel merken

Erfahrungsbericht eines Digitalarbeiters: Digitaler Minimalismus

Digitale Technologien ermöglichen einen neuen, befreiten Lebensstil, bei dem die Bedeutung von physischem Besitz in den Hintergrund tritt. Notebook, Smartphone, ein paar Kabel – das genügt vielen Digitalarbeitern, um von jedem Ort der Welt aus arbeiten zu können. Ein Bericht.

4 Min. Lesezeit
Anzeige
Anzeige

Mittlerweile bin ich nach zwei intensiven, aber inspirierenden Konferenzwochen (re:publica, Next) in Berlin wieder an meinem Wohnort in Stockholm. Doch nachdem ich den Großteil meines Hauptstadtaufenthalts in einer über Airbnb gemieteten Unterkunft verbracht hatte, kehrte ich in meiner (Wahl-)Heimat nicht in meine eigene Wohnung zurück – denn die habe ich bis Ende Juni untervermietet. Stattdessen lebe ich die kommenden zwei Wochen im Apartment meiner Freundin und werde weite Teile des Junis voraussichtlich in einer anderen europäischen Metropole verbringen. Sonderlich kostspielig ist das dank der Vermietung meiner Behausung nicht. Die größere Herausforderung für einen derartig ortsungebundenen Lebensstil sind persönliche Besitztümer und administrative Verpflichtungen, welche die eigene Flexibilität und Beweglichkeit einschränken. Doch als Anhänger des digitalen Minimalismus oder Cult of Less habe ich diese Barrieren weitestgehend minimiert.

Anzeige
Anzeige

Erfunden wurde der Cult of Less von dem Softwareprogrammierer und Entrepreneur Michael Kelly Sutton [1]. 2010 begann er damit, auf seiner Website CultOfLess.com seine Habseligkeiten aufzulisten. Er war dabei bestrebt, mit so wenig physischem Eigentum wie möglich auszukommen. Ein Laptop, ein iPad, ein Kindle, zwei externe Festplatten und ein paar Klamotten – damit war sein physischer Besitzstand weitestgehend abgedeckt [2].

Weniger ist mehr

Digitale Technologien und Internetdienste legen die Basis für diese neue Form des Minimalismus, die eine bisher sonst nur von Aussteigern genossene Freiheit ermöglicht – sofern es das Arbeitsverhältnis zulässt, versteht sich.

Anzeige
Anzeige
Die digitale Technik ermöglicht es heute, mit minimalen „Bordmitteln“ zu arbeiten.
Die digitale Technik ermöglicht es heute, mit minimalen „Bordmitteln“ zu arbeiten.

Die Cult-of-Less-Website wurde seit 2010 nicht mehr aktualisiert, mittlerweile betreibt Sutton die Designerplattform LayerVault [3]. Sein Erbe jedoch lebt in den Köpfen von digitalen Nomaden und Minimalismus-Anhängern rund um den Globus weiter. Auch in meinem. Ich gehöre sicher zu den weniger extremen Minimalisten. Den Schlüssel zu einer eigenen Wohnung inklusive Einrichtung besitze ich ebenso wie einen Kleiderschrank, der mehr als das wirklich Nötigste beinhaltet. Auf dem Dachboden stehen noch einige eingestaubte Kisten mit altem Krimskrams und physischen Medienträgern, die ich bei jedem Umzug mit mir herumschleppe. Und mein Wohnzimmer schmückt ein recht großes Fernsehgerät, das ich auch nicht gerade mal verschwinden lassen kann, wäre es erforderlich.

Anzeige
Anzeige

Doch insgesamt bin ich seit ungefähr zwei Jahren bestrebt, meine Lebensumstände so flexibel und schlank wie möglich zu gestalten. Ein leichtes Notebook mit einem langen Atem, ein Smartphone, Prepaid-SIM-Karten für Länder, in denen ich mich aufhalte, sowie einen mobilen WLAN-Router, um auch mit für Smartphone-Tethering gesperrten SIM-Karten geräteunabhängig online gehen zu können – das sind die essenziellen Werkzeuge, die ich (abgesehen von Kost und Logie) zum Leben benötige. Und alle möglichen Onlinedienste natürlich, die ich zum Arbeiten, zur Abwicklung des Alltags und zur Kommunikation mit Freunden, Bekannten und Kollegen verwende. Beim iPad allerdings mache ich Abstriche, was das Festhalten am Minimalismusprinzip betrifft: Das nämlich ist eigentlich ein Luxus, der wenig zu meiner Produktivität beiträgt. Aber auch Minimalisten benötigen ab und an etwas, das ihre Sinne betört. Und dafür wiederum sind Tablets vergleichsweise genügsam und portable Begleiter.

Etwas einfacher ist das Minimalisten-Leben in Ländern mit geringer Bürokratie und fortgeschrittenen elektronischen Verwaltungsprozessen. Schweden macht sich hier als Standort ganz gut – im Gegensatz zu Deutschland lassen sich schon viele Formalien in der Interaktion mit Unternehmen und Behörden über das Internet regeln. Insofern kann ich mir auch in Phasen längerer Abwesenheit vom Wohnort einigermaßen sicher sein, nicht hochgradig wichtige Briefe in meinem Postfach liegen zu haben, deren fehlende Kenntnisnahme für mich zu Problemen führen könnte – auch weil Rechnungen elektronisch in das Onlinekonto meiner Bank geschickt werden. Der neue Dienst Brevo [4] geht sogar noch einen Schritt weiter und versucht, sämtliche Papierpost in ein digitales Postfach umzuleiten.

Anzeige
Anzeige

Das Streben nach Minimalismus dient zwar für mich vor allem der persönlichen Freiheit, hat aber den positiven Nebeneffekt eines nachhaltigeren Konsumverhaltens. Immerhin ist der Verzicht auf die Anschaffung von unnötigem Ballast Kernelement der Ideologie. Kollaborativer Konsum [5], also das gemeinsame, effizientere Nutzen von Ressourcen, liegt nicht nur im Trend, sondern ist angesichts der Überstrapazierung des globalen Ökosystems eigentlich eine Pflicht, der sich die Menschheit nicht verweigern sollte.

Was dem bewussten Minimalisten noch fehlt, wäre eine eigene Stromproduktion – denn Strom benötigt er aufgrund des Always-on-Zustand laufend. Mit der mobilen Solarstation des Berliner Startups Changers.com [6] ist dies sogar schon möglich – wobei damit zwei weitere Geräte mit sich herumgetragen werden müssen (das Solarmodul sowie die Ladestation). Besser wäre eine integrierte Selbstversorgung von Notebook und Smartphone. Momentan ist das jedoch noch Fiktion.

Sicherlich haben nicht alle die Gelegenheit, voll auf den Minimalismus-Zug aufzuspringen. Familie, ein ortsgebundener Beruf sowie soziale Verpflichtungen verringern die Anreize zum Streben nach maximaler Flexibilität. Doch ich glaube, dass ein grundsätzliches Bewusstsein darüber, dass materieller Besitz im Zeitalter der Digitalisierung nicht mehr unbedingt den vermeintlichen Weg zum ultimativen Glück darstellen muss, niemandem schaden kann. Für viele war die Chance auf das Erreichen eines Gefühls von Freiheit noch nie näher als heute – ohne dass dafür unverhältnismäßig viel Geld erforderlich ist. Der Schlüssel ist die grundsätzliche Bereitschaft, sich von physischem Besitz verabschieden zu können. Alles Weitere kommt dann ganz automatisch.

Dieser Artikel erschien bereits auf netzwertig.com.
Mehr zu diesem Thema
Fast fertig!

Bitte klicke auf den Link in der Bestätigungsmail, um deine Anmeldung abzuschließen.

Du willst noch weitere Infos zum Newsletter? Jetzt mehr erfahren

Anzeige
Anzeige
Schreib den ersten Kommentar!
Bitte beachte unsere Community-Richtlinien

Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.

Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.

Dein t3n-Team

Melde dich mit deinem t3n Account an oder fülle die unteren Felder aus.

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus!
Hallo und herzlich willkommen bei t3n!

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus, um diesen Artikel zu lesen.

Wir sind ein unabhängiger Publisher mit einem Team von mehr als 75 fantastischen Menschen, aber ohne riesigen Konzern im Rücken. Banner und ähnliche Werbemittel sind für unsere Finanzierung sehr wichtig.

Schon jetzt und im Namen der gesamten t3n-Crew: vielen Dank für deine Unterstützung! 🙌

Deine t3n-Crew

Anleitung zur Deaktivierung
Artikel merken

Bitte melde dich an, um diesen Artikel in deiner persönlichen Merkliste auf t3n zu speichern.

Jetzt registrieren und merken

Du hast schon einen t3n-Account? Hier anmelden

oder
Auf Mastodon teilen

Gib die URL deiner Mastodon-Instanz ein, um den Artikel zu teilen.

Anzeige
Anzeige