7 Kompetenzen, die wir brauchen werden, um in einer Welt der ständigen Veränderung klarzukommen [Kolumne]
Sturheit und Veränderungsresistenz? Keine guten Kompetenzen
Seit fünf Jahrzehnten verändert Moore’s Law unsere Welt in einem atemberaubenden Tempo. Die stetige Vervielfachung der IT-Rechenleistung bei gleichzeitiger Effizienzsteigerung und Verkleinerung der Komponenten führt zu einem sich unaufhörlich beschleunigenden Wandel dessen, was technisch machbar ist. Das nächste große Ding ist schon übermorgen wieder überholt. Die Auswirkungen auf Wirtschaft, Politik und das soziale Miteinander sind weitreichend – und selbst auf kurze Sicht immer schwerer zu prognostizieren.
Für Menschen bedeutet das eine permanente Unsicherheit darüber, was in zehn, fünf oder selbst nur in zwei Jahren geschieht. Wird die eigene Profession oder Zielgruppe dann noch existieren? Sind feste Anstellungsverhältnisse ein Auslaufmodell, das durch Selbstständigkeit und Auftragsarbeit abgelöst wird? Machen Roboter uns alle arbeitslos? Gibt es Autos bald nur noch ohne Lenkrad? In welcher Stadt oder in welchem Land wird man leben? Wie entwickelt sich das globale Klima? Kommt es zu größeren, womöglich gar kriegerischen Konflikten in der unmittelbaren Umgebung? Wird China die USA und den Westen als Supermacht überflügeln und damit eine neue Weltordnung schaffen? Welches nächste Gadget wird einen ähnlich revolutionären Einfluss auf unser Leben haben wie das Smartphone? Kann die Demokratie gegen den Druck von Autokraten, Fundamentalismus, Terror und Überwachungsbestrebungen bestehen? Lohnt es sich überhaupt, eine Familie zu gründen und „sesshaft” zu werden? Wird die Menschheit den Mars erobern? Und so weiter.„Für Sturheit und Veränderungs-Resistenz wird es auf Dauer keine Belohnungen geben.“
Man muss die ständige Erwartung von Veränderung und den daraus resultierenden Druck, sich permanent auf neue Rahmenbedingungen einzustellen, nicht mögen. Aber es ist eine Realität, mit der es sich abzufinden gilt. Wer das Beste aus der Situation machen will, passt sich an. Denn für Sturheit und Veränderungs-Resistenz wird es auf Dauer keine Belohnungen geben. Anpassung auf individuellem Niveau heißt vor allem, sich Kenntnisse zu erwerben, die das Navigieren durch die Unwägbarkeiten und Unsicherheiten der kommenden Jahrzehnte vereinfachen und einen in eine Position der Stärke versetzen. Im Folgenden mache ich Vorschläge, was das für Fähigkeiten und Kompetenzen sein können – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Über Ergänzungen freue ich mich in den Kommentaren.
1. Programmieren lernen
Der wohl offensichtlichste Punkte auf dieser Liste. Wer programmieren kann, verschafft sich blendende Karrieremöglichkeiten und bringt sich mitunter in die Lage, die digitale Welt besser an die eigenen Wünsche anzupassen. Ein rudimentäres Verständnis von Funktionsweisen und Zusammenhängen des Programmierens hilft zudem, in einer von Computern dominierten Welt ganz generell nicht den Anschluss zu verlieren.
Zumindest grundlegende Programmierkenntnisse kann man sich heute besser denn je im Selbststudium aneignen. Codecademy ist der vielleicht bekannteste Dienst, es existieren jedoch Dutzende weitere – und die meisten kosten nichts. Mit Selbstdisziplin und Konsistenz sind zumindest kleine Erfolge fast garantiert.
2. Fremdsprachen lernen
Die Empfehlung, Fremdsprachen zu lernen, klingt im ersten Moment nicht nur abgedroschen, sondern auch unzeitgemäß – denn Übersetzungs-Software wird stetig verbessert. Mit Skype beispielsweise halten die grauen Zellen im Alter in Form.„Fremdsprachen sind ein persönliches Qualitätssiegel – speziell dann, wenn sie eher unkonventionell oder kompliziert sind.“
Wie Programmiersprachen, können auch Fremdsprachen heutzutage sehr schön online gelernt werden. Duolingo, Babbel oder busuu gehören zu den bekanntesten Adressen dafür. Wer Mandarin ausprobieren will, sollte sich die stark an Duolingo erinnernde App Chinese Skill anschauen.
3. Menschen besser verstehen lernen
Mit Menschen sprechen zu können, garantiert kein gegenseitiges Verständnis. Immer wieder ist heute die Rede von stark polarisierten Gesellschaften. Die Gründe liegen auf der Hand: Durch das Internet, dessen globalen Charakter und die Vielzahl an Kommunikations-Plattformen prallen Weltanschauungen sowie politische und religiöse Haltungen permanent aufeinander. Wer will, kann 24 Stunden am Tag hitzige Diskussionen über tatsächlich (oder scheinbar) kontroverse Fragen führen. Parallel verändern sich im Arbeitsleben die Strukturen. Das maximale Stabilität und konstante Bezugspersonen garantierende Modell des lebenslangen oder zumindest langjährigen Arbeitgebers wird immer seltener. Viele Menschen wechseln regelmäßig Jobs, arbeiten in agilen Projekte und losen Arbeitsgruppen. Sie sind gezwungen, sich fortwährend mit neuen Menschen auseinanderzusetzen und mit ihnen in unterschiedlichen Umfeldern zu kooperieren. Das klappt nicht immer gut. Man muss nur mal im Berufsverkehr in der U-Bahn oder im Zug den Gesprächen lauschen. Häufig sind Dritte, die in irgendeiner Form nicht den Erwartungen der Gesprächspartner entsprochen haben, zentrales Thema – und soziale Kompetenzen sind lange nicht mehr nur etwas, das von Chefs gefordert wird.
Obendrein lösen sich allerorts etablierte gesellschaftliche und soziale Hierarchien sich auf. Mit ihnen verschwinden auch vorgegebene Normen, Verhaltenskodizes und Orientierungspunkte. Die Folge all dessen: Menschen finden sich vermehrt in Situationen wieder, in denen sie sich in einer hochkomplexen Welt gegenüber anderen und sich selbst glaubwürdig positionieren müssen. Eine Welt, über die sie zwar mehr Informationen besitzen als irgendeine Generation zuvor, die aber doch weitaus weniger verständlich wirkt als noch vor ein paar Dekaden. Um sich hier behaupten zu können und nicht den ganzen Tag mit sinnlosen Debatten, Grübeleien und Frustration über andere zu verbringen, ist Wissen über die menschliche Psyche sinnvoll. Konfliktmanagement, Argumentationsstrategien, eine realistische Selbsteinschätzung und die kompetente, empathische Gabe zur Beurteilung von Personen und Handlungen helfen, zwischenmenschlich nicht unnötig oft gegen Wände zu rennen. Bedenken wir: Wenn etwas diesen Planeten ins Verderben schicken sollte, dann ist es nicht die Technologie, sondern der Mensch, der sie kreiert und bedient. Daher schadet es nicht, zu erlernen, wie dieser Mensch eigentlich funktioniert.
4. Antifragilität erhöhen
„Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen“, heißt ein sehr lesenswertes Buch des Wissenschaftlers und Philosophen Nassem Nicholas Taleb. Er erörtert in dem Werk die Störanfälligkeit der von Menschen geschaffenen Systeme im Falle unerwarteter Ereignisse. Als Gegenentwurf und Lösungsvorschlag präsentiert Taleb das Konzept von „Antifragilität“: ein Zustand, bei dem unberechenbare Vorkommnisse problemlos vom System absorbiert werden und sogar dessen Stärkung nach sich ziehen können.„Je besser wir mental und praktisch mit unerwarteten und unberechenbaren Ereignissen umzugehen wissen, desto weniger fürchten wir uns vor ihnen.“
Zwar fokussiert sich der Autor auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Systeme, die Philosophie lässt sich aber auch auf Individuen übertragen. Je besser wir mental und praktisch mit unerwarteten und unberechenbaren Ereignissen umzugehen wissen, desto weniger fürchten wir uns vor ihnen. Wie man die eigene Lebenssituation antifragil gestaltet, lässt sich nicht verallgemeinern. Im Vordergrund steht meiner Ansicht nach die Schaffung einer Denkhaltung, die einen dafür sensibilisiert, die eigene Wirklichkeit konsequent so zu strukturieren, dass nicht bei einem Ausnahme-Ereignis die ganze Existenz wie ein Kartenhaus in sich zusammenbricht. Stattdessen ist man vorbereitet und kann durch schnelles Handeln sogar sich ergebende Gelegenheiten nutzen.
5. Die eigene Existenz digitalisieren
Dieser Punkt ist eigentlich eine von verschiedenen konkreten Maßnahme zur Schaffung von Antifragilität: In unserer heutigen Zeit können sich Rahmenbedingungen schnell ändern. Womöglich wird kurzfristig ein Umzug in eine andere Stadt oder gar ein anderes Land erforderlich. Vielleicht hat ein Freund oder eine Freundin eine tolle Geschäftsidee, und innerhalb von einer Woche steht der Entschluss zur Gründung. Eventuell ist man gerade in einem längeren Urlaub, weit von der Heimat, und muss unerwartet einen dringenden Behördengang zu Hause abwickeln. Oder ein schlagartig auftauchender finanzieller Engpass zwingt zu unkonventionellen und kreativen Lösungen, um die Ausgaben zu senken und Einnahmen zu erhöhen.
In all diesen Situationen kann es sinnvoll sein, wenn man kurzfristig, ortsungebunden und mit wenig Verlust von Zeit oder Geld die notwendigen Maßnahmen einleiten kann. Unter dem Begriff der „Digitalisierung der Existenz“ fasse ich verschiedenste Aktivitäten und Vorkehrungen zusammen, die zur Erhöhung der eigenen Flexibilität und Agilität unter Einsatz digitaler Technologien beitragen. Das fängt bei in der Cloud gespeicherten wichtigen Dokumenten an und hört bei der Option eines aktiven Profils bei einer Unterkunftsbörse wie Airbnb oder 9flats (für spontanes Untervermieten) oder der Abschaffung des eigenen Automobils zugunsten von Car- und Ridesharing auf. Eben alles, was eine flinke Neupriorisierung und Neustrukturierung der Lebensumstände erlaubt.
6. Datensouveränität und Sicherheitskompetenz steigern
Spätestes seit Edward Snowden wissen wir alle, wie weitreichend die systematische Überwachung vorangeschritten ist. Auch nehmen jedes Jahr Hacker-Attacken auf kritische Einrichtungen, Unternehmen und Privatpersonen zu. Als wäre das noch nicht genug, sind Firmen fleißig dabei, Daten zu sammeln. Die Bedrohungen für die persönliche Integrität und Selbstbestimmung sind also substantiell.„Es empfiehlt sich, grundlegende Verfahren zum Schutz des digitalen Ichs zu erlernen und die Informationen einzuholen, die für eine realitätsgetreue Risikoeinschätzung notwendig sind.“
Sofern man nicht extreme Schutz- und Abwehrmaßnahmen trifft, scheint die vollständige Abschirmung gegen diese Tendenzen allerdings unmöglich. Trotzdem empfiehlt es sich, grundlegende Verfahren zum Schutz des digitalen Ichs zu erlernen und die Informationen einzuholen, die für eine realitätsgetreue Risikoeinschätzung notwendig sind. Eine mündige, informierte Partizipation an und in der vernetzten Gesellschaft ist besser als Blauäugigkeit.
7. Risikofreude erlernen und die Fähigkeit entwickeln, dem Wandel positiv gegenüber zu treten
Bei manchen Kulturen lässt sich empirisch eine geringere Risikofreude feststellen als bei anderen. Es gibt Menschen, die mit Veränderungen besser umgehen können als andere. Man sollte anerkennen, dass der eine schon allein beim Gedanken an eine bevorstehende Veränderung Bauchschmerzen kriegt, während der andere neuen Möglichkeiten womöglich nervös, aber auch gespannt entgegenblickt. Dennoch könnte – nein müsste – jeder und jede daran arbeiten, eine positive Einstellung zu Wandel und Veränderung zu erzwingen.
„Müsste“ – zumindest dann, wenn man nicht alle Chancen zur persönlichen und beruflichen Weiterentwicklungen an sich vorbeiziehen lassen will. Und darum geht es ja in diesem Beitrag. Die Bereitschaft, Risiken einzugehen und bevorstehende Veränderungen konstruktiv zu nutzen, kann viele Türen öffnen, die sonst verschlossen bleiben – im Kleinen wie im Großen. So klischeehaft es klingen mag: Konstanter Wandel ist der neue Dauerzustand. Und daraus ergeben sich auch viele Chancen. Man muss sie nur sehen wollen.
Weitere Kolumnen aus Weigerts World findet ihr hier.
Schöne Liste, die man gerne fortführen kann. Wie wäre es denn mit,
– mit Achtsamkeit, Aufmerksamkeit, Diszplin, die Fähigkeit zu Priorisierung und Sparsamkeit im Konsum, um in einer immer wuseligeren und von Reizen überfluteten digitalisierten Zeit zu bestehen
Stimme zu, wobei es dabei wohl mehr Gegenstimmen geben würde. Nicht jeder ist davon überzeugt, dass Sparsamkeit im Konsum eine sinnvolle Sache ist. Ich wollte die Liste gerne so wenig ideologisch wie möglich halten :)
Hm, klingt alles nach Vorbereitungen für eine immer unmenschliche Arbeitswelt und eine immer weniger soziale Gesellschaft. Das könnt ihr da im Hannoveraner Hipster-Bunker gerne auch noch vollkommen merkbefreit feiern, es gibt aber auch noch genug Menschen, die sowas eher zum Guten wenden wollen. Hipster kommen ja erst zum Nachdenken, wenn man ihnen mal ihre Gadgets wegnimmt und ein paar Tage irgendwo fernab ohne Internetzugaang, Kreditkarte usw. aussetzt. Ich wette, keiner von denen käme lebend zurück…
„unmenschliche Arbeitswelt “
Du meinst die Arbeitswelt der letzten 100 Jahre ist menschlich? Deshalb freuen sich alle immer am Sonntag so sehr auf den Montag, an dem sie endlich wieder arbeiten und sich stetig wiederholenden Routinetätigkeiten widmen können.
Da sind ein paar gute Punkte dabei. Jörn hat schon ein paar wichtige ergänzt. Was noch fehlt: Recherche-Skills. Wie bündele ich die Informationsflut, etc. :-).
Toller Artikel. Ich finde auch Mindfulness sollte an erster Stelle stehen. Super Einstieg dazu ist Headspace (siehe getsomeheadspace.com).
Zum Programmieren lernen: Es gibt auch deutsche Ressourcen wie zum Beispiel codingtutor.de :-)
@Martin: Sehr interessanter ARtikel! Welche Literatur ist die Basis für diesen Artikel?
Danke. Es ist eine Kolumne, sprich ein Meinungsbeitrag. Die einzige Literatur, auf die ich Bezug nehme, ist die im Punkt 4. erwähnte.
Hmm… es gibt immer noch kein Notebook mit vernünftiger Kühlung das meinen Desktop-PC von 2011 ersetzen könnte. Laut Moores Law müsste ich jetzt schon die reinste Höllenmaschine hier stehen haben.
Es ist so weit, dass ich mir beim Lesen, noch bevor ich den Autor checke, schon denke: „Das ist so gut, das kann nur von Martin Weigert sein…“ Chapeau. Da kann man wirklich nur zustimmen. Das einzige, wo ich vielleicht widerspräche, ist das Thema Fremdsprachen. Englisch ist existenziell, aber die Bedeutung anderer Sprachen nimmt tendenziell eher ab als zu.
Stattdessen würde ich vielleicht den Punkt „Kommunikationskompetenz“ mit aufnehmen. Die Fähigkeit, wahlweise ein Konzeptdokument, eine PowerPoint, eine kurze E-Mail oder eine mündliche Zusammenfassung einer Idee zu erstellen, ist in immer mehr Jobs essentiell… und es ärgert mich immer wieder, wie schwer es ist, eine so vergleichsweise banal klingende Aufgabe zu delegieren. Jemand, dem man sagen kann „ich habe die und die Idee / will das und das als Strategie vorgeben, bringe es bitte schriftlich in eine klar strukturierte und ansehnliche Form“ ist Gold wert.
Danke Lari, ein sehr sehr nettes Kompliment!
Dein Vorschlag gefällt mir. Ist mir selbst so noch nicht in den Sinn gekommen, aber jetzt wo du es anmerkst: Es würde tatsächlich viele Dinge vereinfachen und idealerweise einen signifikanten Teil kommunikativer Missverständnisse verhindern.
Related: Sich und die eigene(n) Idee(n) verkaufen können. Gehört im Prinzip zum selben Komplex.
Den meisten Punkten stimme ich zu.
Allerdings habe ich ein bisschen das Gefühl, dass sich die Punkte 5 und 6 widersprechen. Schließlich gibt es bisher keine wirklich sichere (und benutzbare) Methode, Daten im Netz 100%ig zu schützen.
Ein bisschen muss ich auch Thomas‘ Meinung zustimmen: Teilweise wirken die Maßnahmen wie ein Schutzmechanismus gegen Anforderungen, denen manche Menschen nie gewachsen sein können/werden (z.B. Antifragilität und Risikofreude). Aber solange sich nicht grundsätzliche Dinge in der Wirtschaft (wieder) ändern, wird wohl keine andere Taktik möglich sein…
Wie üblich eine tolle Kolumne, die zum Nachdenken anregt :)