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Kolumne
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Die App hat das Web 2.0 getötet – Was kommt nach der App?

Der Geist des offenen und freien Webs scheint 2016 unter die Räder gekommen zu sein. Die App hat Web zurückgedrängt. Doch der Gegentrend ist schon erkennbar. Die Neuland-Kolumne.

Von Stephan Dörner
4 Min. Lesezeit
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Apps prägen die Art, wie wir Computer nutzen. Was kommt als nächstes? (Foto: Vasin Lee/Shutterstock)

Was wurde eigentlich aus dem Web 2.0?

Das vor etwas mehr als zehn Jahren entstandene Web 2.0 ist im Kommunikationsalltag der meisten Menschen kaum noch relevant: Private Blogs spielen heute fast keine Rolle mehr, Nutzer veröffentlichen ihre Inhalte überwiegend auf geschlossenen Silos wie Facebook, Snapchat, Musical.ly oder Instagram, die von einem zentralen Anbieter kontrolliert werden. Mit Facebook wurde die „Appisierung“ des Internets eingeläutet.

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Auch die private Internet-Kommunikation funktioniert überwiegend über geschlossene App-Plattformen wie Whatsapp und Facebook. Das dezentrale und offene Internet hat sich zentralisiert. Hinter drei der größten Apps dieses Silo-Internets – Facebook, Instagram und Whatsapp – steht dieselbe Firma. Gerade besonders angesagte App-Plattformen wie Snapchat lassen im Gegensatz zu Facebook nicht einmal mehr Querverlinkungen ins offene und freie Web zu.

Das Internet des Jahres 2017 weckt Erinnerungen an BTX

Das Internet zu Beginn des Jahres 2017 weckt damit Erinnerungen an die Anfänge der Online-Revolution: Wie einst auf den geschlossenen Plattformen BTX und Compuserve bleiben die Nutzer bei Snapchat unter sich. Rund 35 Jahre nach Einführung von BTX prägen wieder sogenannte Walled Gardens den Alltag der meisten Internetnutzer. Die Apps nutzen die technischen Grundlagen des offenen und freien Internets, entsprechen aber nicht mehr seinem Geist.

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Es ist auffällig, wie viele erfolgreiche Plattformen sich selbst limitieren: Twitter auf 140 Zeichen, Snapchat auf Zehn-Sekunden-Videos, Musical.ly auf eine spezielle Form des Videos, Whatsapp auf die private Kommunikation unter Freunden und Bekannten. Auch die Tatsache, dass Snapchat ein sich geschlossenes System ohne Links nach außen bildet, dient der Informationsreduzierung.

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Doch vieles deutet darauf hin, dass der App-Trend schon wieder vorüber ist. Wer will, kann in der geschichtlichen Entwicklung des Internets ein dialektisches Muster erkennen: Auf den Trend folgt der Gegentrend – nach der von der Smartphone-Revolution ausgelösten App-Flut scheint das Pendel seit Kurzem wieder in Richtung Web auszuschlagen.

Der Charakter des Internets wandelt sich im Zehn-Jahres-Rhythmus

Seit den Anfängen der Internet-Revolution hat sich der Charakter des Netzes mehrfach radikal verändert. Auf geschlossene Dienste wie BTX, Compuserve und AOL folgte das offene und freie Internet, dann das Mitmachnetz und schließlich die mobile App-Revolution. Jede Ära ging aus technischen Erfindungen hervor, etwa im Zehn-Jahres-Takt wurde eine neue eingeläutet.
Ab Mitte der 1990er Jahre wurde klar, dass sich das offene, in Gremien entwickelte Internet gegen geschlossene Onlinenetzwerke wie BTX in Deutschland, Minitel in Frankreich oder Compuserve und AOL in den USA durchsetzen würde. Es zeichnet sich dadurch aus, dass jeder Teilnehmer nicht nur Empfänger, sondern auch Sender sein kann. Das funktioniert im Internet, ohne dass eine zentrale Stelle – im Falle von BTX die damalige Bundespost – eine Online-Seite erst genehmigen muss. Die entscheidende Technologie, damit sich das Internet gegen die proprietären Netze durchsetzte, war die Einführung des grafischen Internet-Diensts World Wide Web (WWW) Anfang der 1990er Jahre. Das offene Web war geboren.

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Das Web 2.0 erfüllte das Versprechen des demokratischen Mediums Internet

Es dauerte noch einmal rund zehn Jahre, bis sich dieses Versprechen auch für eine Mehrheit der Internetnutzer erfüllte: Um das Jahr 2005 begann die große Zeit der Blogs und Wikis – das Mitmachnetz, damals oft Web 2.0 genannt, entstand. Um Informationen nicht nur zu empfangen, sondern selbst auszusenden, waren spätestens dann keinerlei HTML-Kenntnisse oder anderes technisches Wissen mehr erforderlich. Im eigenen Blog aber blieb der Nutzer Herr der Lage – große, zentrale Plattformen wie MySpace waren noch die Ausnahme.

(Foto: Roman Pyshchyk/Shutterstock)

Das Mitmach-Lexikon Wikipedia entstand im Hype rund um das Web 2.0. (Foto: Roman Pyshchyk/Shutterstock)

Das Internet war jetzt endlich das große demokratische Medium, das die aus einer Mischung von US-Unternehmergeist und kalifornischer Hippie-Ideologie geprägten Internet-Utopisten des Silicon Valley einst angekündigt hatten. Dabei ist dieser Traum schon viel älter: „Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen“, ersehnte Bertolt Brecht bereits um 1930 in seiner Radiotheorie.

Die geschlossene App, kontrolliert von einem einzigen Unternehmen, muss in dieser utopischen Sicht auf das Netz als Rückschritt gelten. Doch nun könnte sich schon die nächste Revolution anbahnen: die Zeit nach der App. Nachrichten vom Tod der App sind weit übertrieben – aber Tatsache ist, dass zahlreiche Erhebungen einen deutlichen Trend erkennen lassen, nachdem Nutzer sich auf wenige, sehr häufig genutzte mobile Apps konzentrieren, und dafür viele Dienste des Internets verstärkt mit dem mobilen Browser ansteuern.

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2017: Das mobile Web verdrängt wenig genutzte Apps

Es ist nur verständlich, dass sich Smartphone-Nutzer nicht für jede der zahlreichen Websites und Dienste, die sie im Internet nutzen, eine eigene App herunterladen wollen. Je schneller Smartphones werden und je weiter sich Webbrowser samt ihrer Javascript-Engine entwickeln, desto geringer wird der gefühlte Unterschied zwischen nativer App und mobiler Website – bis er irgendwann ganz verschwindet.

Der Trend für das Jahr 2017 ist daher klar: Das mobile Web ist auf dem Vormarsch, während sich die App-Nutzung zunehmend auf wenige, sehr häufig genutzte Programme wie Facebook und Whatsapp beschränkt. Schon 2014 zeigte eine Erhebung, dass eine satte Mehrheit von 65 Prozent der Amerikaner im Schnitt null Apps pro Monat herunterlädt.

Doch was wird das nächste „große Ding“? Zumindest die Zutaten für die kommende Ära des Internets können heute schon erahnt werden: Deutlich schnelleres, überall verfügbares Internet, weitere Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz, eine weitere, noch stärkere Durchdringung mit Smartphones weltweit und immer größere Rechenkapazitäten, die dank Breitband-Internet überall verfügbar sein werden.

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Wer diese Zutaten nimmt und daraus etwas baut, das für Menschen oder Unternehmen von Nutzen ist, hat gute Chancen, die nächste technische Revolution anzuführen. Vor etwa zehn Jahren wurde Facebook gegründet und prägte fortan das von Apps dominierte Netz, wie wir es heute kennen. Folgt das Netz weiter dem bisherigen Zehn-Jahres-Rhythmus, ist das nächste Facebook wohl gerade gegründet worden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in einer leicht abgewandelten Form in dem Magazin Journalist.

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6 Kommentare
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Max

Sehr gut geschriebener Artikel. Natürlich muss man AI auf dem Zettel haben, wenn man über das „next big thing“ spricht, jedoch hab ich super große Schwierigkeiten mir vorzustellen, wo es denn ins Nutzererlebnis des 0815 Internetnutzer reinpassen könnte. Messenger bots und startups wie gobutler waren ja nur von mäßigem Erfolg… Mal sehen was sich diesbzgl. alles noch ergibt.

Antworten
Karl Marks

Viele Behauptungen, keine Quellen/Nachweise.
Ich glaube nicht, dass das alles so kommen wird.

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Milan

Guter Artikel.
Das nächste große Ding ist schon gegründet worden. Dauert aber noch ca. 3 Jahre bis wir es alle nutzen, denn so lange braucht es um sich gut zu verbreiten :)

Antworten
AOL hätte mehr Platz bedurft

HTML5 kann wohl schon auf Mikrofon zugreifen.
Wenn man die Kamera mit HTML5++ zugreifen kann, braucht man viele Apps nicht mehr in iOS oder Android zu programmieren sondern in WebOS oder HTML5 an sich.

Web-Apps wurden uns vor Jahren ja schon von Mozilla versprochen. Wir warten immer noch.

Und ich würde Apps sofort am Desktop nutzen weil es auf die Mission fokussiert ist und man nicht auf zugetrashten Webseiten seinen Task erfüllen muss.
Bei Amazon gehe ich nur ins Web wegen der Bestseller-Übersichten welche man in der App wohl nicht kriegt.
Bei Ebay gehe ich nur ins Web um die Bewertungen abzugeben.
Am Handy oder Tablett in der App geht das 10mal schneller, direkter und besser.

Die seit Ewigkeiten oft misratenen User-Interfaces werden durch Sprachsteuerung ergänzt weil die Boni-Mismanager ihre eigenen Apps benutzen müssen und damit natürlich nicht klar kommen und nach Auswegen suchen und ihre Brille nicht tragen und daher die Texte auch nicht lesen können wie ein ct-Leserbrief vor Jahren schon für ältere Vorgesetzte beschrieb.
http://meedia.de/2016/10/07/us-umfrage-unter-50-jaehrige-wollen-nachrichten-als-text-nicht-als-bewegtbild/

Im Text wird zu wenig auf AOL eingegangen. Die meisten AOLer gingen gar nicht ins richtige Internet. Man hatte wohl 5 Screen-Names und wenn man eine Webseite hatte wo man Email-Adressen eintragen sollte, haben viele AOLer nur ihren Screen-Name also z.b. „JohnDoe“ statt dem korrekten „JohnDoe@aol.com“ eingetragen.

Die hatten sogar Freiwillige welche Foren betreuten und für in positives Klima sorgten.
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Microsoft-verabschiedet-sich-von-Freiwilligen-37817.html

Schon traurig, wie schnell die Presse vieles wieder mal vergessen hat… und daher wiederholt sich Geschichte ständig und jede Rezession wird härter und die Armut immer größer.

Antworten
Ulrich Rütten

Sehr geehrter Herr Dörner,

zunächst danke ich Ihnen für Ihre Beobachtungen. Es ist auf jeden Fall interessant, wie Sie die Entwicklung (= Verkümmerung?) des WWW, dessen Anfänge ich als junger Physiker miterleben durfte, zeichnen. Inwieweit die beschriebenen Trends eine Extrapolarion zulassen, vermag ich nicht zu beurteilen, denke jedoch, dass wir in vielen Bereichen des täglichen Lebens sehen, wie so etwas funktionieren kann. Es ist ja weniger der „roll back“ in eine allgemein selbstbestimmte Netznutzung, sondern wie bei Klamottenläden, der Gastronomie und Geschäften für Gebrauchsartikel, eine Aufspaltung der Nutzer(Kund)schaft in denkende und bewusst Handelnde und „die Anderen“ zu beobachten.
Das legt es für mich eher nahe eine in der Zukunft tatsächliche Parallelität von Nutzeruniversen zu vermuten. Die pessimistische Komponente dieser Vermutung ist, dass ich zwischen diesen Welten kaum noch Berührungspunkte sehe.

Antworten
Jaymgee

Ich glaube eher, dass der Trend zu Meta-Apps gehen wird, wie z.B. WeChat.

Mit solchen Apps kann man nahezu alles machen, ohne dass man ständig eine neue App installieren muss:

– Chatten
– Momente teilen
– im Supermarkt und Restaurant bezahlen
– Kino-Karten bestellen
– Taxi rufen
– …

Bald können Drittanbieter in WeChat auch so genannte Mini-Apps einbinden, die im Prinzip so etwas wie HTML Web-Apps sind (aber etwas mehr können).

Das ist dann zwar auch eine Art „Walled garden“ aber eben nicht ganz so limitiert…

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