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Digitale Gesellschaft
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Netzneutralität: Die Daten sind frei… noch!

Die Gleichbehandlung aller Daten im Netz sichert den freien Wettbewerb und damit die Innovationskraft der digitalen Wirtschaft. Doch Telekommunikationsanbieter wünschen sich neue Einnahmequellen und wollen deshalb datenintensive Dienste zusätzlich zur Kasse bitten. Die Abschaffung der Netzneutralität droht.

6 Min. Lesezeit
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(Foto: jonibe.de / Photocase)

Es ist die Zeit der großen und wesentlichen Internet-Debatten: Welchen Wert hat unsere Privatsphäre in der virtuellen Welt? Wir protestieren gegen eine ausufernde Überwachung im Netz – vor allem durch die westlichen Regierungsstellen. Und wir fragen uns, ob sich die Informationen im Internet tatsächlich so fest in der Hand weniger Unternehmen befinden sollten.

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Neben diesen ethisch wichtigen Themen unserer digitalen Zukunft scheint eine andere Diskussion beinahe nebensächlich zu werden – und das, obwohl sie geradezu zu einem Glaubenskrieg geworden ist und tiefgreifende, strukturelle Folgen für die digitale Wirtschaft mit sich bringen könnte. Die Rede ist von der Netzneutralität.

Was ist Netzneutralität?

Dieser Begriff bezeichnet die gleichberechtigte Übertragung aller Daten im Netz. Konkret bedeutet das, dass netzneutrale Internet-Dienstanbieter den Transport von Informationen unabhängig davon gewährleisten müssen, welche Sender und Empfänger, Inhalte oder Anwendungen im Spiel sind.

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Getreu diesem Grundsatz hatte Tim Berners-Lee das World Wide Web in den 1990er Jahren entwickelt – ihn jedoch nie gesetzlich festgeschrieben. Je weiter die Kommerzialisierung des Internets fortschreitet, desto stärker stellt sich allerdings die Frage, wie sinnvoll dieser Grundsatz noch ist.

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Ein Garant für Innovation

Die Verfechter der Netzneutralität argumentieren, dass sie ein Garant für die Wettbewerbsfähigkeit kleiner Startups gegenüber großer Konzerne ist. Kostenpflichtige Spezialdienste, die eine schnellere Übertragung gewährleisten, dürften vor allem kleinere Startups kaum zahlen können.

Doch genau darauf wollen vor allem die Netzanbieter hinarbeiten. Ihrer Meinung nach müssen Ausnahmen erlaubt sein. Das Argument, das sie vortragen: Nur durch selektives Eingreifen in die Übertragungen könnten sie die Stabilität der Netze gewährleisten. Darüber hinaus hoffen sie, durch die zusätzlichen Einnahmen den Ausbau des Breitbandnetzes voranbringen zu können.

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Spezialdienste finanzieren Breitband

Tatsächlich scheint die Infrastruktur des Internets aufgrund der vielen neuen datenintensiven Plattformen regelmäßig überlastet – und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in ganz Europa und den Vereinigten Staaten. Während die Übertragung von Videoinhalten mit einem 56k-Modem noch bis vor wenigen Jahren undenkbar war, ist sie heute mit wenigen Megabit pro Sekunde möglich.

„Nur mit einem gesetzlich verankerten Neutralitätsgebot lässt sich verhindern, dass im digitalen Markt Mitbewerber benachteiligt und Verbraucher eingeschränkt sind“, erklärt der Europa-Parlamentarier Jan Philip Albrecht, der sich seit Jahren für Netzneutralität einsetzt.

„Nur mit einem gesetzlich verankerten Neutralitätsgebot lässt sich verhindern, dass im digitalen Markt Mitbewerber benachteiligt und Verbraucher eingeschränkt sind“, erklärt der Europa-Parlamentarier Jan Philip Albrecht, der sich seit Jahren für Netzneutralität einsetzt.

Doch mit YouTube, Netflix, Skype und Spotify und ihrem gigantischen Bedarf an Bandbreite gerät die Leistungsfähigkeit der Netze an ihre Grenzen. Nicht selten werden Datenströme deshalb künstlich verlangsamt und priorisiert. Die Netzanbieter selbst haben den Weg für diese Plattformen zwar geebnet, es über die Jahre aber verpasst, die Netze an die steigenden Anforderungen kontinuierlich anzupassen – was hierzulande auch an der geringen Investitionsbereitschaft der Bundesregierung lag.

Gerade in ländlichen Regionen lohnte sich der Ausbau der Netze für die Betreiber nämlich kaum. Einwohner dieser Gegenden sind also daran gewöhnt, Videoinhalte minutenlang zu laden, bevor sie sie anschauen können. Videotelefonie ist für viele nur theoretisch möglich, denn ein durchgehend ruckelfreies Bild ist kaum machbar. Und auch die SmartTVs gehen beim Internet-Streaming regelmäßig in die Knie.

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Dass die Netzanbieter diese Infrastruktur mit den Einnahmen aus Spezialdiensten ausbauen wollen, um sich nicht nur auf die Hilfe der Bundesregierung zu verlassen, ist also verständlich. Und doch stellt sich die Frage, ob die Lösung auf Kosten der Netzneutralität nicht schwerwiegende Kollateralschäden mit sich bringt, die zu neuen, tiefgreifenden Problemen führen.

Netzneutralität sichert Wettbewerb

Um dem auf den Grund zu gehen, braucht es gar keine theoretischen Gedankenspiele. Ein Blick auf aktuelle Geschäftsmodelle genügt, um den Wert der Netzneutralität in der Digitalwirtschaft jetzt schon zu unterstreichen: Mit der Applikation „MobileTV“ der Deutsche Telekom AG konnten Fußballfans 2014 für monatlich 7,50 Euro sämtliche Spiele der Fußball-WM auf ihrem Smartphone oder Tablet anschauen.

Der Clou: Die Nutzer tasteten damit das Datenguthaben ihres normalen Mobilfunk-Vertrags nicht an, das sonst wohl schon nach einigen Übertragungen aufgebraucht gewesen wäre. Die WM war allerdings nur der erste Anziehungspunkt, um die Applikation zu nutzen. Noch heute gibt es dort Sport-Events, Nachrichten und TV-Shows aus bekannten Sendern wie Pro Sieben oder Das Erste.

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Der Haken an der Sache: Die Deutsche Telekom nutzte und nutzt dabei das eigene Netz, um sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten wie „Sky Go“ oder „Zattoo“ zu sichern. Der Telekommunikationsanbieter überträgt Daten also nicht mehr unabhängig von der Anwendung, die die Datenpakete verpackt, und ist somit Inhalte- und Infrastrukturanbieter zugleich. Kaum ein Konkurrent kann mit derartigen Vertragsbedingungen mithalten, bemerken Kritiker.

Aktivisten und Netzpolitiker kämpfen

Gegen derartige Entwicklungen stellen sich vor allem Aktivisten und Netzpolitiker, in Deutschland wie auf Europaebene. Einer von ihnen ist Jan Philipp Albrecht. Der Grünen-Politiker ist seit 2009 Abgeordneter im Europäischen Parlament und stellvertretender Vorsitzenden im Innen- und Justizausschuss.

Sein Ziel: Er will die Netzneutralität gesetzlich festschreiben. „Nur mit einem gesetzlich verankerten Neutralitätsgebot lässt sich verhindern, dass im digitalen Markt Mitbewerber benachteiligt und Verbraucher eingeschränkt sind“, erklärt er und ergänzt: „Das Netz ist eine öffentliche Infrastruktur und muss daher für alle gleichermaßen nutzbar sein.“

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Ihm ist es auch zu verdanken, dass sich das Europaparlament im Rahmen einer Neuregelung des europäischen Kommunikationsmarktes für den Erhalt der Netzneutralität ausgesprochen hat. Die geplante Verordnung ließ anfangs viel Raum für Spezialdienste, wurde nach der Abstimmung jedoch geändert.

Die neue Fassung besagt nun, dass Internet-Zugänge im Einklang mit dem Grundsatz der Netzneutralität stehen müssen – und man den Datenverkehr im offenen Internet nicht zugunsten sogenannter Spezialdienste drosseln darf.

Der Video-Streaming-Anbieter Netflix zahlt an Comcast, AT&T und Verizon Millionenbeträge, damit diese den Transport seiner Inhalte nicht drosseln. So ein Wegezoll verhindert Innovation, mahnen Kritiker an. (Screenshot: netflix.com)

Der Video-Streaming-Anbieter Netflix zahlt an Comcast, AT&T und Verizon Millionenbeträge, damit diese den Transport seiner Inhalte nicht drosseln. So ein Wegezoll verhindert Innovation, mahnen Kritiker an. (Screenshot: netflix.com)

Der Lobby-Druck steigt

Dieses Ergebnis war ein wichtiger Schritt für Albrecht und alle anderen Verfechter. Dennoch ist die Netzneutralität damit noch keineswegs gesetzlich verankert. Die Lobbyarbeit der Telekommunikationsfirmen nimmt sogar noch zu, ist sehr gut organisiert und vor allem auch finanziert.

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Die Gegner scheinen übermächtig, wie die Debatte in den USA zeigt: Dort gerät der Grundsatz der Netzneutralität auf Betreiben der Netzbetreiber immer mehr in Bedrängnis. Unlängst haben Gerichte ihnen auch noch gesetzlich das Recht eingeräumt, sich nicht an die Netzneutralität halten zu müssen.

In den Vereinigten Staaten haben sich die großen Netzbetreiber inzwischen sogar zusammengeschlossen, um einigen Internet-Plattformen nicht nur gewisse Privilegien zu verkaufen, sondern ihnen sogar eine Art Wegzoll abzuverlangen.

Der Video-Streaming-Anbieter Netflix zahlt so beispielsweise an Comcast, AT&T und Verizon Millionenbeträge, damit diese den Transport seiner Inhalte nicht drosseln. Unter diesen Umständen hätte Netflix vor ein paar Jahren gar nicht starten können – kein Startup kann in der Gründungsphase so viel Geld ausgeben.

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Immer mehr Startups bangen um ihre Zukunft. So schrieb Yancey Strickler, CEO und Gründer von Kickstarter, in der Washington Post: „Kickstarter, genau wie Wikipedia, Twitter und jeder andere Service im Netz, wurde auf dem Fundament des offenen Internets aufgebaut. Wir würden ohne diese Grundlage nicht existieren.“ Auch Tim Berners-Lee, der Vater des World Wide Web, machte in der gleichen Publikation klar, was er von der Verletzung der Netzneutralität durch Unternehmen hält: Für ihn sind die kostenintensiven Überholspuren im Internet „reine Bestechung“.

Die Debatte ist offen

Ohne ein offenes Internet würden viele Dienste nicht existieren, meint Kickstarter-CEO Strickler.

Ohne ein offenes Internet würden viele Dienste nicht existieren, meint Kickstarter-CEO Strickler.

Über den Ausgang der Debatte lässt sich derzeit nur spekulieren. Während hierzulande die Weichen eher für die gesetzliche Festlegung der Netzneutralität gestellt sind und Juristen sowie Politiker vor allem damit beschäftigt sind, auf mögliche Gesetzeslücken aufmerksam zu machen, herrscht in Übersee ein anderer Ton. Trotz immenser Gegenwehr ließ sich der Gesetzgeber dort bisher eher von den Forderungen der Netzbetreiber-Lobby leiten. Um so überraschender, das Barack Obama persönlich sich kürzlich zu Wort gemeldet und von der entsprechenden Regulierungsbehörde FCC gefordert hat, Internet Service Provider eindeutig als Telekommunikationsdienste zu klassifizieren und nicht als Inhalte-Anbieter – was einem deutlichen Apell für die Erhaltung der Netzneutralität gleichkommt.

Welche Auswirkung Obamas Vorstoß auf die Debatte hat, ist allerdings noch völlig offen. Setzt Europa sich ausnahmslos für die Netzneutralität ein, könnte im besten Fall ein transatlantisches Bündnis für den freien Verkehr der Daten entstehen.

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2 Kommentare
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Dein t3n-Team

Eugenia Allerdings

Irgendwie ist es so als würde man auch die Luft zum Atmen begrenzen…

Antworten
Larzo

Netflix hat vor einigen Jahren auch nicht zwischenzeitlich 30% des gesamten Traffics der USA für sich beansprucht. Kleine Video-Plattformen in den USA zahlen ja auch nicht an die Netzanbieter, oder? Bei dem Argument hinken beide Beine, sie hätten durchaus auch ohne Netzneutralität an den Start gehen können.

Ich finde, dieser Vorgang zeigt sehr gut, dass es bei der Netzneutralität auch Probleme gibt. Netflix beansprucht einen übermäßig großen Anteil der Netze und macht damit satte Gewinne. Ohne die Sonderzahlungen würde das in keinem Verhältnis stehen.

Klar ist es Blöd, wenn dann andrerseits die Telekom ihre Vormachtstellung als Netzbetreiber ausnutzt, um Inhalte zur Verfügung zu stellen. Das ist aus meiner Sicht aber ein Fall für’s Kartellamt und könnte auch ohne Netzneutralität verboten werden.

Am Ende des Tages müssen irgendwo 40-90 Milliarden Euro für den Ausbau der Netze her. Ich würde es gut finden, wenn die Netzbetreiber die Möglichkeit hätten, diejenigen, die am meisten von ausgebauten Netzen profitieren (Netflix und Co) auch zur Kasse zu bitten.

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