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Der Hype um Industrie 4.0 ist vorbei: Verspielt Deutschland seine Zukunft?

Industrie 4.0 beschreibt die komplette Digitalisierung von Produktion, Logistik und Kunden. Deutschland droht dabei jedoch abgehängt zu werden: Andere Länder sind schneller und risikofreudiger, weiß Holger Schmidt zu berichten.

Von Holger Schmidt
4 Min. Lesezeit
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Der Hype um Industrie 4.0 ist vorbei. (Bild: Wikimedia / CC BY 2.0)

Die Mahnung war deutlich. „Industrie 4.0 darf kein bloßes Schlagwort bleiben“, kritisiert Günther Oettinger, der als EU-Kommissar für die digitale Wirtschaft verantwortlich ist. Die digitale Revolution vollziehe sich schneller, als es viele Akteure in Politik und Wirtschaft wahrhaben wollen, treibt Oettinger vor allem die Deutschen zur Eile an. Denn hinter dem Begriff „Industrie 4.0“ verbirgt sich das große Zukunftsprojekt der deutschen Wirtschaft: die komplette Digitalisierung von Produktion und Logistik bis hin zum Verbraucher, der über das Internet quasi direkt mit der Werkshalle verbunden ist. Eines Tages sollen Maschinen, Transport-Container und Produkte automatisch zusammenarbeiten; der Kunde kann seine Produkte dann individuell zusammenstellen.

Der Hype um Industrie 4.0 ist vorbei

Industrie 4.0 betreibt die komplette Digitalisierung von Produktion, Logistik und Kunden. (Bild: Shutterstock-Amnarj Tanongrattana)

Industrie 4.0 betreibt die komplette Digitalisierung von Produktion, Logistik und Kunden. (Bild: Shutterstock-Amnarj Tanongrattana)

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Deutschland will mit der Initiative seine Vorzeigebranchen wie den Maschinenbau, die Autoproduktion oder die Elektrotechnik fit für das digitale Zeitalter machen. Das Problem dabei: Das Mammutprojekt kommt nur in Mini-Schritten voran; die großen Erwartungen haben sich bisher nicht erfüllt. „Der Hype ist vorbei. Aber im nächsten Jahr kommen viele Produkte in die Serienreife und die Vorreiter beginnen, echte Geschäfte zu machen“, sagte Michael ten Hompel, Logistik-Professor an der TU Dortmund, dem Nachrichtenmagazin Focus.

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„Die Chancen der Digitalisierung werden von einem großen Teil des Mittelstands nicht erkannt.“

Vor allem der Mittelstand will von der neuen Technik aber noch nichts wissen. In einer Umfrage der DZ Bank gab die Hälfte der befragten Unternehmen an, dass Digitalisierung in der Produktion für sie nicht relevant sei. „Ganz eindeutig werden die Chancen der Digitalisierung von einem großen Teil des Mittelstands nicht erkannt. Es überwiegen die Ängste“, sagte DZ-Bank-Vorstand Stefan Zeidler.
Derweil ist die Konkurrenz nicht untätig. Vor allem die USA und Großbritannien haben mithilfe der Informationstechnik ihre lange vernachlässigten Betriebe wieder wettbewerbsfähig gemacht. „Wenn wir Industrie 4.0 nicht umsetzen, dann tun es andere. Und wenn wir es umsetzen, müssen wir es schnell tun, denn unsere globalen Wettbewerber sind auch längst aktiv“, mahnt auch Dieter Kempf, Präsident des IT-Branchenverbands Bitkom.

Kritik an „Plattform Industrie 4.0“

Ansätze gibt es genug. Um die Zusammenarbeit zwischen den großen Branchen zu verbessern, wurde zum Beispiel die „Plattform Industrie 4.0“ gegründet, die von den Verbänden der Elektrotechnik, des Maschinenbaus und der IT-Wirtschaft betrieben wird. Eigentlich eine richtige Idee. „Aber wenn man sich die Ergebnisse anschaut, dann ist die Zusammenarbeit offenbar schwieriger als gedacht. Am Ende des Tages fehlen mir die Dynamik und die Ergebnisse“, kritisiert Thomas Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart und einer der Vordenker für das Konzept. „Da muss einiges passieren. Denn es gibt schon eine Gegenbewegung in den USA, das Industrial Internet Consortium. Beide Organisationen bemühen sich um die Deutungshoheit und die Zuständigkeit, die Standards zu setzen“, erklärt Bauernhansl den wichtigen globalen Wettstreit um das industrielle Internet.

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Auch Wolfgang Wahlster, Chef des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken und einer der Industrie-4.0-Päpste in Deutschland, mahnt zur Eile. „Wir müssen jetzt Vollgas geben, um unsere Pole-Position in einen Start-Ziel-Sieg bei der Standardisierung umzusetzen. Das geht nur über offene Standards, die aber aus Deutschland heraus verbreitet werden müssen. Derzeit versuchen Amerikaner und Asiaten aus ihrer starken Position in der Internettechnologie, uns bei der Standardisierung zu überholen. Aber dort fehlt den Konsortien das Know-how im Bereich der eingebetteten Intelligenz im Maschinen- und Anlagenbau“, sagt Wahlster.

Autohersteller spielen mit dem Feuer

Industrie 4.0 in den USA: Bei dem Autohersteller Tesla setzt man schon komplett auf vernetzte Produktion. (Bild: Wikimedia / CC BY 2.0)

Industrie 4.0 in den USA: Bei dem Autohersteller Tesla setzt man schon komplett auf vernetzte Produktion. (Bild: Wikimedia / CC BY 2.0)

Während die Deutschen also auf ihre Expertise in der Produktion hoffen, werfen die Amerikaner ihre Stärke im Konsumenten-Internet in die Waagschale. „Im Geschäft mit dem direkten Kundenkontakt im Internet haben wir das Rennen schon gegen Google, Apple oder Amazon verloren. In der Produktion und Logistik sind wir gesetzt – diese Chance dürfen wir nicht verpassen“, mahnt ten Hompel. Diese direkten Kontakte suchen die Amerikaner aber längst auch außerhalb der Computer und Smartphones, wofür das Google-Auto das beste Beispiel ist. „Google findet man schon in einigen Autos. Aus meiner Sicht spielen die Autohersteller mit dem Feuer. Denn wenn Google die Daten erst einmal hat, besitzt es auch den Kontakt zu Kunden“, sagte Christian Till Roga von der Telekom-Tochter T-Systems auf dem Zukunftskongress Logistik in Dortmund im September.

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„In der vernetzten Welt braucht es Kompetenzen. Nicht nur Software, sondern auch Hardware.“

40 Autohersteller, darunter Volkswagen und Opel, wollen den Besitzern ihrer Autos ermöglichen, ihre Google-Smartphones anzuschließen. Dann werden Navigation, Telefonie oder Unterhaltung komplett von Google-Diensten geleistet. Noch ist aber keineswegs ausgemacht, dass die US-Techfirmen auch diesen Wettbewerb gewinnen. „In der vernetzten Welt braucht man viele Kompetenzen. Man braucht nicht nur Software, sondern auch Hardware – Produkte zum Anfassen wie Heizungen und Kameras. Unterschätzen Sie nicht, wie schwierig es ist, wirklich gute Produkte herzustellen“, gibt sich Bosch-Chef Volkmar Denner optimistisch.

Um Industrie 4.0 voranzubringen, möchte ten Hompel gerne die großen Konzerne wie SAP, Siemens und Bosch in einem nationalen Konsortium vereinen. „Noch in diesem Jahr müssen sich die Unternehmen zusammenfinden. Wir dürfen keine weitere Zeit verlieren. Aber das ist bisher nur ein Wunsch“, sagt ten Hompel.

Schweiz der Daten

In Deutschland gibt es viele Unternehmen, die in Industrie 4.0 investieren und dabei richtig viel Geld in die Hand nehmen. „Mir fehlt aus deutscher Sicht aber die Vision, wie wir uns auf dem Weltmarkt positionieren wollen. Warum werden wir nicht zur ‚Schweiz der Daten‘? Wir haben den höchsten Datenschutz und könnten maximale Sicherheit für alle Unternehmen auf der Welt anbieten. Wer möchte seine sensiblen Daten schon amerikanischen Softwarekonzernen anvertrauen?“, sagt Bauernhansl.

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„Das Netz 2014-2015 – Jahresrückblick Netzpolitik“ von iRights.Media. Autoren wie Eva-Maria Kirschsieper, Ines Pohl, Stefan Niggemeier und Michael Speer schreiben über Themen, die das digitale Deutschland bewegt haben.

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4-Null-Bube

Das Thema wurde vernachlässigt und wird wahrschenilich den deutschen Mittelstand ereblich dezimieren.

Die Mittelständler sind richtig gute Typen die eine Wirtschaft seriös am Laufen halten und gute, ehrliche Arbeit machen. Das Industrie 4-teham ist aber eine Nummer zu groß für so einen mittelgroßen Betrieb. In einem Konzern wäre das nur eine Abteilung unter vielen und es gäbe eine strategische Zentraleinheit die das Thema in die Hand nimmt.

Zusätzlich sind viele Mittelständler einfach störrisch und konservativ. Leider sitzen sie auch oft in Orten wo keiner hinkommt der dort nicht herkommt.

Die deutsche Wirtschaft ist dezentral und dadurych effektiv. Die neuen Strukturen werden bisher von wenigen US-Akteuren beherrscht und derzeit sieht es danach aus als ob diese Strukturen auc einfach genutzt werden die deutsche Industrie irrelevant zu machen.

Auch die deutschen Anwender lieben ja schon ihre Silicon Valley-Spielzeuge und sollen diese nun mit Haus und Auto verknüpfen. Diese Branchen werden also nach und nach von den Ami-IT-Gianten ausgesaugt und ausgespuckt. Man sehe sich an was Google mit denSmartphone-Herstellern gemacht hat.

Da kann der deutsche Mittelstand ohne politische Rückendeckung nicht viel machen derzeit und das was er machen könnte kapiert er nicht –> nämlich aufrüsten, modernisieren, andere Organisatonskultur, vernetzen mit anderen Anbietern, Konsumerisierung, Marketing und PR, PR, PR und wieder PR.

Dazu kommt dann die regierungsamtlich befohlene Handelpolitik mittels TTIP. Das könnte uns hier dann den Todesstoß versetzen. Denn damit können die Konzerne der Amis und Briten hier alles aufräumen ohne dass man politische Mittel hätte, dagegenzusteuern.

Antworten
S. Jäckel

„Doktoren und Professoren von Universitäten und Instituten sowie Funktionsträger von Verbänden warnen vor den Gefahren der Zukunft“

oder:

„Diejenigen mit dem geringsten Alltagskontakt zu den Kunden von Wirtschaftsunternehmen stoßen Warnschreie aus, damit ihnen neue Fördermittel und noch größere Bedeutung beigemessen wird.“

So war es und so wird es immer sein.

Wer einen so revolutionären Ansatz hat, dass er oder sie glaubt das damit oder davon der Markt umgekrempelt wird, der soll sein Insitut verlassen (oder die Uni) und ein Unternehmen aufmachen, dass dann den angeblich so schwachen und orientierungslosen Wettbewerb verdrängt. Aber ihren eigenen warmen Stuhl wollen die Herren allesamt nicht mit ihre Prognosen verwetten und bleiben wo sie sind.

Auch das war schon immer so und wird auch immer so bleiben.

Antworten
Thomas

Es ist in der Tat nur ein Hype – ohne Substanz. Der Schlüsselsatz in diesem Artikel: „Es fehlen … die Ergebnisse.“

Industrie 4.0 ist alter Wein in neuen Schläuchen. Seit den 80er-Jahren kennt man das als CIM (Computer Integrated Manufacturing“). Auch EDI ist ein alter Hut.

Die Produktion in Stückzahlen von 1 bzw. Mini-Losgrößen dem Kunden im Moment des Bestellvorgangs zu überlassen, ist in Hinsicht auf die Produktionsplanung und Preiskalkulation grotesk. Entweder rechnet es sich nicht, oder die Produkte werden absurd teuer. Das ist das Gegenteil einer effizienten, kostengünstigen und marktgerechten Produktion.

Das „Internet der Dinge“ und „Industrie 4.0“ sind lediglich Marketinggags.

Antworten
Joachim Schirrmacher

Klar, die Komponenten gibt’s schon lange – allein die Standards und die Vernetzung machen was wirklich neues draus. Noch sind die Standards nicht weit genug verbreitet und vernetzt ist auch nicht alles.

Ich denke, genau da tut sich gerade jetzt etwas. Und das ist viel mehr, als einfach nur mit kleinen Losgrößen umgehen zu können.

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