Warum das Internet immer verrücktere Dinge hervorbringt, die wir nicht verstehen
Die meisten Menschen hätten derartige Vorhersagen als reine Spinnerei abgetan, vielleicht sogar als schieren Wahnsinn. Und dennoch ist all das heute Realität und es ist – anders als man gemeinhin annimmt – kein Zufall. Was wir für Wahnsinn halten mögen, ist die direkte Folge einer massiven Vernetzung unserer Gesellschaft.
Internet – 9600 Tage vernetzte Welt
Ungefähr zu Weihnachten 1990 erfand Tim Berners-Lee das World Wide Web. Seitdem sind über 9600 Tage vergangen und die digitale Vernetzung hat unsere gesamte Welt verändert. Und, da gibt es kein Vertun, die Welt von heute ist eine ganz andere als vor 26 Jahren. Zwar mag sie auf den ersten Blick ziemlich gleich aussehen. Sie ist es aber nicht.
Was die Welt von heute prägt, ist die alles durchdringende weltweite Vernetzung. Mit jedem Tag machen wir das weltweite digitale Netz größer und dichter. Wir verbinden alles mit dem Internet – und damit auch mit allem anderen.
Die höhere Netzwerkdichte und -größe erhöhen auch die Dynamik: Änderungen finden immer schneller statt. Das Telefon brauchte 75 Jahre, bis es 100 Millionen Nutzer hatte. Das Internet erreichte diese Marke schon nach sieben Jahren, Facebook nach vier Jahren, Instagram nach zwei Jahren und Pokemon Go nach einem Monat. Plötzliche Änderungen und Umbrüche können da schlichtweg nicht ausbleiben. Indem wir die Größe und die Dichte von Netzwerken ändern, ändern wir auch ihre Komplexität. Alles kann alles andere beeinflussen, ganz wie der sprichwörtliche Flügelschlag eines Schmetterlings einen Tornado auslösen kann.
Gleichzeitig beschleunigen wir den Takt des Wandels. Größere und dichtere Netzwerke sind dynamischer. In ihnen zeigen sich höhere Ausschläge und ganz neue Muster. Es lassen sich massive Netzwerkeffekte und Anzeichen einer weltweiten kulturellen Angleichung erkennen. Deswegen ist die Welt, in der wir leben, viel schwieriger zu verstehen und vorherzusagen als je zuvor. Das Unwahrscheinliche wird wahrscheinlich. Das Undenkbare wird Wirklichkeit.
Und es gibt noch mehr. Dichtere Netzwerke schaffen auch ein ganz neues Maß an Transparenz. Das belegen die Leaks vor und nach der jüngsten US-Präsidentenwahl. Es wird immer schwieriger, etwas geheim zu halten, und gleichzeitig nimmt das Verlangen nach Privatsphäre explosionsartig zu.
Größere Netzwerke produzieren eine unüberschaubare Vielfalt an Optionen, dabei jedoch ebenso einen Mangel an Aufmerksamkeit. So sind ganz neue Phänomene entstanden, etwa „FOMO“ (englisch: Fear of missing out, abgekürzt FOMO), die Angst, etwas zu verpassen, mit dem starken Drang, ständig neue Updates abzurufen.
… ein exponentielles Wachstum
Netzwerke haben noch eine andere wichtige Eigenschaft, die unsere Welt prägt: Sie unterstützen exponentielles Wachstum. Für uns Menschen lässt sich exponentielles Wachstum nur schwer begreifen. Lineare Abläufe können wir gut verstehen: Hier ein bisschen mehr führt dazu, dass es auch dort ein bisschen mehr gibt. Aber exponentielle Abläufe sind vollkommen anders. Schon nach wenigen Durchgängen kann unsere Vorstellungskraft nicht mehr mithalten.
Ein bekanntes Gedankenspiel illustriert das ganz gut: Stelle dir eine Zeitung mit einer Dicke von einem Zentimeter vor. Stelle dir nun vor, dass du diese Zeitung 100 Mal faltest. Wie dick ist der Stapel, den du dann vor dir hast?
Häufig genannte Antworten sind ein Meter, ein Kilometer oder von hier bis zum Mond. Die korrekte Antwort lautet: 1,3 Billionen Lichtjahre, das ist 14,4-mal die Länge des bekannten Universums.
Exponentielle Prozesse haben direkte Auswirkungen auf unser Leben. Die Datenmenge, die wir weltweit produzieren, steigt von Jahr zu Jahr an. Die Wachstumsrate hat sich offenbar auf jährlich 60 Prozent eingependelt. Das mag auf den ersten Blick ganz gut handhabbar erscheinen, aber schon nach fünf Jahren hat sich die Datenmenge somit verzehnfacht. In 15 Jahren müssen wir das Tausendfache der heutigen Datenmenge handhaben.
Der Faktor 1000 ist mehr als nur ein quantitativer Unterschied. Er bedeutet eine ganz andere Qualität. Als Vergleich kann der Unterschied zwischen dem Gehirn einer Maus und dem eines Menschen dienen.
Der Faktor 1000 ist mehr als nur ein quantitativer Unterschied. Er bedeutet eine ganz andere Qualität. Als Vergleich kann der Unterschied zwischen dem Gehirn einer Maus und dem eines Menschen dienen. Genetisch sind sie zu über 90 Prozent identisch. Und trotzdem benehmen sich Menschen nicht bloß wie größere und klügere Mäuse. Durch eine verstärkte Kommunikation in dichteren Netzwerken hat das menschliche Gehirn ganz neue Muster ermöglicht.
Es hat Sprachen erschaffen, die Schrift, den Buchdruck, Radio und Kino. Wir haben wissenschaftliches Arbeiten entwickelt, Demokratie, Kultur, Krieg, Ethik und das Internet. Es ist uns gelungen, weltweit zu kommunizieren und in den Weltraum zu fliegen, es gibt die Quantentheorie und künstliche Intelligenz.
Alle diese Konzepte sind neue Muster und für eine Maus nicht einmal ansatzweise vorstellbar. Diese Muster können nur in größeren und dichteren Netzwerken vorkommen als sie bei Mäusen möglich sind. Und sie haben fundamentale Änderungen mit sich gebracht.
Neue Muster entstehen im Internet
Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir in der Zukunft neue Muster entdecken werden. Wir sollten mit weiteren fundamentalen Änderungen rechnen. Ein Muster, das sich schon heute klar abzeichnet, ist die Sprengkraft symbolträchtiger Ereignisse. Es hat sich gezeigt, dass sie in großen und dichten Netzwerken viel größere Auswirkungen haben. Mohamed Bouazizi hat sich am 17. Dezember 2010 selbst angezündet. Seine Verzweiflungstat war der Zündfunke für die Revolution in Tunesien, die wiederum den arabischen Frühling auslöste.
Ein anderes Ereignis mit Symbolkraft war der Anschlag in Charleston im US-Bundesstaat South Carolina, bei dem Dylann Roof neun Besucher einer Kirche erschoss. Sein brutales und von Hass getriebenes Verbrechen löste eine Debatte über weiße Vorherrschaft aus. Innerhalb von Wochen nach dem Anschlag wurde die Konföderiertenflagge der Südstaaten auf dem Parlamentsgelände im Bundesstaat dauerhaft eingeholt.
Auch die Macht der Tweets des US-Präsidenten könnte ein solches, neues Muster sein. Donald Trump hat es geschafft, dass ihm schon mit einem einzigen Tweet die Aufmerksamkeit der gesamten Weltöffentlichkeit gewiss ist. Zeitungen und Nachrichtensender rund um die Welt behandeln seine Tweets als Top-Neuigkeiten.
Der Wahnsinn wird nicht aufhören…
Es wäre dumm zu glauben, dieser „Wahnsinn“ könnte demnächst zu Ende gehen. Wir erschaffen ein immer dichteres Netzwerk. Und wir sollten uns deshalb auch auf noch überraschendere Ereignisse gefasst machen. Ob Schottland und Nordirland das Vereinigte Königreich verlassen? Oder Kalifornien und Texas die Vereinigten Staaten? Vielleicht wird Bernie Sanders der nächste US-Präsident? Oder Mark Zuckerberg? Könntest du dir einen weltweiten Zusammenbruch der Finanzmärkte vorstellen? Oder dass eine virtuelle Währung wie Bitcoin den US-Dollar als Leitwährung ablöst? Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle? Eine Revolution? SpaceX fliegt zum Mars? Amazon treibt Walmart, Sears, Target und Kmart in die Pleite? Tesla drängt BMW, Mercedes, GM und Ford aus dem Markt? Kostenlose erneuerbare Energien? Aber wie ist es mit totaler Überwachung und Zensur? Könntest du dir ein Ende der demokratischen Grundordnung vorstellen?
… aber es gibt Grundmuster
- Wir wissen nicht und können nicht wissen, was genau die Zukunft bringt. Aber immerhin können wir ein paar Grundmuster erkennen. Zum Beispiel diese hier:
- Größere und dichtere Netzwerke gestalten unsere Welt. Und sie gestalten sie um!
- Wirkungsvolle Symbole spielen dabei eine zentrale Rolle.
- Über Symbole können wir Bedeutung schaffen und mitteilen.
- Der Wert von Dingen wird sich wesentlich über Bedeutungszusammenhänge definieren.
Diese Muster werden den Erfolg von Ideen, Organisationen und sogar Einzelpersonen bestimmen. Jeder von uns kann heute etwas veröffentlichen. Und wer etwas veröffentlicht, weiß: „Content is king“. Was auch immer man bewirken will, auf den Inhalt kommt es an.
Und was bedeutet das nun alles für Unternehmen?
Unternehmen werden in der Lage sein müssen, Bedeutung zu schaffen und mitzuteilen. Sie müssen „das Richtige“ tun und müssen außerdem Möglichkeiten finden, den Kern davon „transportieren“ zu können. Das gilt für Firmen, stationäre Geschäfte und Marken, ebenso aber auch für jedes einzelne Produkt und jede Dienstleistung.
Ideen oder Produkte, die bei Google oder Amazon nicht auffindbar sind, existieren praktisch nicht. Eine Idee, die ihr Publikum nicht anspricht, verbreitet sich nicht. Ein Produkt, das keine Geschichte erzählt, schafft keine Bedeutung. Es zieht keine Aufmerksamkeit auf sich und weckt keine Wünsche.
Um Wirkung zu haben, Aufmerksamkeit auszulösen, Menschen zu überzeugen oder Produkte zu verkaufen, kommt es auf Inhalte an. Bessere und mehr Inhalte tragen zum Erfolg von Unternehmen bei. Bessere Inhalte kurbeln den Umsatz von Geschäften an. Bessere Inhalte helfen Marken, ihren Marktanteil zu erhöhen. Denn:
- Bessere Inhalte transportieren Bedeutung.
- Bessere Inhalte verbreiten sich in sozialen Medien weiter.
- Bessere Inhalte sprechen die Zielgruppe besser an.
- Bessere Inhalte beantworten mehr Fragen.
- Bessere Inhalte sorgen für mehr Verständnis.
- Bessere Inhalte überzeugen mehr Menschen.
- Bessere Inhalte sprechen Menschen emotional stärker an.
- Bessere Inhalte senken die Reibung und machen den Menschen das Leben leichter.
- Bessere Inhalte erhöhen die Relevanz.
- Bessere Inhalte machen Erfolg möglich.
- Bessere Inhalte sind strategisch.
Unternehmen müssen die Voraussetzungen schaffen, mit besseren Inhalten (als die Konkurrenz) erfolgreich zu sein. Nur das richtige Engagement, die richtigen Tools und die richtigen Services werden dabei helfen, in dieser extrem vernetzten Welt die richtigen Inhalte anzubieten.
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Schöner Artikel..d’accord!
Mir fehlt noch eine Antwort: Was sind „Bessere Inhalte“?
Ich weiss was mir gut tut. Ob das was mir gefällt auch für andere Menschen oder Lebewesen passt?
Der „russische Einfluss auf die Präsidentschaftswahlen“? Bleibt bei lieber bei euren Nerd-Themen, Ihr Anscheinsjournalisten!
Das ist ein wirklich guter Artikel, dem ich Lehrbuchcharakter bescheinige. Eine Analyse, die über das Fimenkonsequenzdenken hinaus gesamtgesellschaftlich Relevanz hat, da sie die Frage aufwirft: „Machen Politiker wirklich noch Politik?“. Und meine Grdanken zur ergänzenden Konsequenz treibt, dass es mehr und mehr Menschen geben wird, die – bildlich gesprochen im Sinne des Artikels – Mäuse bleiben werden. Das sind nicht nur wenige Ausnahmen. Bei 7 Milliarden auf der Erde sind das viele Millionen. Die können sehr laut werden. Die können Waffen benutzen. Gesellschaftliche Umbrüche können sich lange hinziehen und viele – nicht virtuelle – Opfer kosten. Das Zeitalter der hochdichten Vernetzung ist auch das Zeitalter der Entnationalisierung der Welt. Es werden erst unsere Enkel sein, die in einer solchen leben werden.
Oh, und, was mir der Artikel noch aufzeichnet, ist, dass Karl Marx in seiner Prophezeiung, dass die Veränderung der Besitzverhältnisse der Produktionsmittel einen neuen Typ Menschen hervorbringen wird, der zum Kommunismus führt, total daneben lag. Aber die Vernetzung der Welt könnte das bewirken, da sie nicht nur eine Entnationalisierung, sondern eine – nach heutigem Verständnis des Begriffes – auch Entprivatisierung nach sich ziehen dürfte. Sehr faszinierend, finde ich.