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Test

Irgendwie unfertig: Ubuntu 22.10 im Alltagstest

Ein mehrtägiger Test unter lebensechten Bedingungen offenbart, dass Ubuntu seinen Ruf als die Desktop-Distribution schlecht hin längst nicht mehr verdient.

Von Enno Park
5 Min.
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Ubuntu 22.10 (Screenshot: t3n)

Ubuntu ist legendär. Vor nicht ganz 20 Jahren ermöglichte die Linux-Distribution ein quelloffenes System, das out of the Box so gut und vollständig funktionierte, dass man Linux nutzen konnte, ohne ein Command-Line-Wizard zu sein oder für die Installation längliche Konfigurationsorgien hinter sich zu bringen. Aus diesem Ruf heraus ist Ubuntu wahrscheinlich auch heute noch das am meisten verbreitete Linux für Endanwender. Auch die kürzlich erschienene neue Version 22.10 „Kinetic Kudu“ bringt eine Reihe von Verbesserungen und Verschönerungen mit sich.

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Das erste, was ins Auge fällt, ist dass das Hintergrundbild – es zeigt traditionell eine stilisierte Darstellung des namensgebenden Tieres – ausnahmsweise mal nicht verstörend oder ästhetisch fragwürdig ist. Überhaupt hat Ubuntu-Herausgeber Canonical viel an der Optik gefeilt. Oder besser gesagt: Die Entwickler des Gnome-Desktop haben das getan und Canonical hat diese Neuerungen in Form von Gnome 43 endlich komplett ins aktuelle Ubuntu übernommen. Alles sieht sehr elegant aus, und das GUI reagiert auch auf älteren Rechnern butterweich. Ein Hingucker.

Man muss ein wenig suchen, bis man den Button zum Beantworten einer Mail oben rechts in der Titelleiste findet. Ubuntu 22.10 (Screenshot: t3n)

Nur die Gnome-typische Angewohnheit, Buttons in der der Titelleiste des Fensters unterzubringen, hat sich nochmal verschlimmert. Es nervt, etwa wenn man den „OK“-Butten irgendwo unten rechts erwartet und ihn erstmal oben links in der Titelleiste finden muss. Das liegt allerdings nicht an Ubuntu, sondern an Gnome-Entwicklern, die so etwas für eine gute Idee halten, und stört in allen Distributionen gleichermaßen, die Gnome verwenden.

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Unter der Haube werkelt Kernel 5.19, der aus meinen Geräten tatsächlich ein Quäntchen mehr Performance herauskitzelt als seine Vorgänger. Bei der Klangverarbeitung folgt Ubuntu anderen Distributionen und verwendet jetzt Pipewire. Entwickler freuen sich über neue Versionen von GCC, Rust und Ruby, wobei nicht ganz klar ist, warum Canonical diese Updates, die sowieso früher oder später auf den Distributionen eintreffen, als gezielte Verbesserung für IoT-Entwickler anpreist.

Ebenfalls neu ist MicroPython mit Unterstützung für diverse Microcontroller. Auch Die üblichen Desktop-Anwendungen wie Firefox, Thunderbird oder Libre Office liegen wie gewohnt in aktuellen Versionen vor. Beliebte oder häufig benötigte Anwendungen von Steam bis Zoom lassen sich reibungslos über den Store nachinstallieren und Steam beispielsweise zeigt nicht mehr mit kryptischen Fehlermeldungen an, dass eine Bibliothek von Hand nachinstalliert werden muss.

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Das klingt soweit alles gut. Die Tücken offenbaren sich erst, wenn man das System nicht nur kurz in einer virtuellen Maschine testet, sondern es „bare metal“ direkt auf einem PC installiert. Das ging bei mir nämlich nicht. Der Versuch, es auf einem zugegeben alten PC mit Core i7-3770 zu installieren, führte zu einem schwarzen Bildschirm nach dem ersten Reboot nach der Installation und einem zyklischen Aufflackern des Monitors alle paar Sekunden. So etwas darf auf derlei gut abgehangener 64-Bit-Hardware nicht passieren. Vergleichbares habe ich allenfalls bei Nischendistributionen erlebt.

Laptops weiterhin Stiefkinder

Einen neuerlichen Versuch mit sicheren Grafikeinstellungen bootete zwar sauber, allerdings sind die Installationsdialoge mittlerweile so groß, dass sie nicht mehr auf die 800 x 600 Pixel passen, die das Booten mit sicherer Grafik nun mal mit sich bringt. Eine Installation war auf diesem Wege also nicht möglich. Natürlich hätte ich anfangen können zu basteln, aber wer basteln will, der installiert Arch Linux.

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Besser sah es auf einem nicht ganz so alten Thinkpad T460s aus. Hier läuft die Installation sauber durch und hinterlässt ein funktionierendes System. Dass der Fingerprint-Reader bei diesem speziellen Modell nicht (oder nur nach erheblicher Bastelei) funktioniert, ist geschenkt, damit kommt wegen des Verhaltens des Herstellers keine Linux-Distribution klar. Leider zeigten sich auf dem Laptop weitere Tücken und Schludereien, teils sofort, teils nach mehrtägiger Nutzung.

Ubuntu 22.10 (Screenshot: t3n)

Herumspielen mit den Grafik-Einstellungen kann einen ungewollten Trauerrand hinterlassen. Ubuntu 22.10 (Foto: t3n)

Erwartbar war, dass das System beim Schließen des Laptop-Deckels nicht in den Hibernate-Modus geht und dies auch nicht über die Einstellungen konfigurierbar ist. Wer diese Selbstverständlichkeit trotzdem haben möchte, muss dafür nach wie vor eine längliche Anleitung abarbeiten, die Einsteiger überfordern dürfte. Ubuntu-Nutzende sind es nicht anders gewöhnt, aber dass so etwas auch mit drei Mausklicks in den Einstellungen gehen kann, zeigen nicht nur Windows und macOS, sondern beispielsweise auch Manjaro Linux.

Tücken und Macken

Eher amüsant ist, dass beim Öffnen von Anwendungen immer mal wieder die Fehlermeldung „Calculator wurde unerwartet beendet“ auftaucht, obwohl ich die Taschenrechner-App gar nicht gestartet hatte. Wesentlich schlimmer nervt, dass Ubuntu noch immer kein vernünftiges Fractional Scaling kann. Wenn die Auflösung des Displays so hoch ist, dass Schriften und Icons einfach viel zu klein werden, muss die Ausgabe skaliert werden – meist um 25 oder 50 Prozent.

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Das war unter Linux jahrelang ein riesiges Problem, mit dem nur KDE zufriedenstellend umgehen konnte. Mittlerweile kann das eigentlich auch Gnome, wären da nicht die Snaps. Alle Anwendungen, die als Snap-Paket daherkommen, werden auf dem Ubuntu-Desktop unscharf dargestellt, sobald Fractional Scaling eingeschaltet ist. Das wäre erträglich, würde es sich nur um selten benutzte Anwendungen handeln, aber ausgerechnet Firefox kommt ja seit einiger Zeit zwangsweise als Snap.

Ubuntu 22.10 (Screenshot: t3n)

Diese Fehlermeldung wirkt etwas beunruhigend, wenn man gar nicht versucht hat, den Taschenrechner zu starten. Ubuntu 22.10 (Screenshot: t3n)

Der Unmut über Snap hat also nicht nur politische Gründe – Snap ist nicht komplett Open Source und wird von Canonical kontrolliert – sondern führt auch zu einer konkret schlechteren User-Experience. Übrigens ist Snap wengitsens schneller geworden. Beim Starten von Apps legt das System nicht mehr mehrere Gedenksekunden ein, sondern gefühlt nur noch eine. Langsamer als native Installationen starten Snaps aber immer noch.

Verblasster Ruhm

Allerdings sollte man vorsichtig sein beim Herumklicken in den Grafikeinstellungen. Das kann schnell dazu führen, dass das System plötzlich nicht mehr die ganze Bildschirmfläche nutzt und einen breiten Trauerrand zeigt (siehe Foto). Gut nutzen lässt sich das aktuelle Ubuntu also nur, wenn man ganz auf Fractional Scaling verzichtet und stattdessen in den Einstellungen für Barrierefreiheit die Schriftgröße erhöht. Jedenfalls wenn die Auflösung des Displays nicht zu hoch ist.

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Unterm Strich hinterlassen diese ganzen Macken den Eindruck einer Beta- oder Showcase-Version und sind eines Releases nicht würdig. Man kann argumentieren, dass Ubuntu mittlerweile auch genau das ist, und man immer die zweijährig erscheinenden LTS-Versionen verwenden sollte. Im Moment wäre das also Ubuntu 22.04.

Die Nachlässigkeiten bei der GUI, die zwangsweisen Snaps unter Inkaufnahme einer schlechten User-Experience und die Glitches zeigen aber auch, dass Canonical aufgehört hat, sich für Desktop-Anwender zu interessieren. Normal-Anwender sind mit Ubuntu-Ableitungen wie Zorin OS oder Mint wesentlich besser beraten. Wer jedes Schräubchen kontrollieren will, nutzt ohnehin Arch oder Debian. Und professionelle Anwender benutzen professionelle Distributionen wie etwa Fedora. Ubuntu sitzt da, zumindest was Desktop-Anwendungen betrifft, zwischen allen Stühlen und ist längst nicht mehr die beste Wahl für Desktop-Anwender.

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