Windows ME, die Millenium-Edition, war ein Betriebssystem, das der Hersteller aus der Not geboren hatte. Eigentlich hätte an seiner Stelle das modernere Windows 2000 auf den Computern der Nutzer landen sollen. Das erwies sich aus verschiedenen Gründen als nicht machbar. So kam es, dass ein weiteres Mal das Uraltsystem MS-DOS zur Basis eines Windows-Betriebssystems wurde.
NT und DOS: Zwei Windows-Unterbauten
Zur Jahrtausendwende gab es zwei Windows-Architekturen. Die eine basierte auf MS-DOS als Unterbau, die andere auf der moderneren NT-Architektur (NT: New Technology). Wegen der höheren Systemanforderungen der NT-Version war diese zunächst vornehmlich im gewerblichen Umfeld im Einsatz. Privatnutzer mit typischerweise leistungsschwächeren Computern mussten sich mit Windows 98 und höher begnügen.
Mit Windows 2000 wollte Microsoft beide Welten zusammenführen. Windows 98, das zwischenzeitlich noch einmal als Windows 98 Second Edition aufgefrischt worden war, sollte die letzte DOS-basierte Version sein. Mit dem Jahrtausendwechsel wollte der Hersteller sowohl die Privat- als auch die Berufsnutzer auf das auf der NT-Technologie basierende Windows 2000 umstellen.
Der Millennium-Bug fordert sein Tribut
Nun begab es sich aber zu der Zeit, dass der sogenannte Millennium-Bug aka Y2K-Problem die IT-Welt in Angst und Schrecken versetzte. Kurz vor dem Wechsel ins neue Jahrtausend war festgestellt worden, dass viele große Anwendungen im zwanzigsten Jahrhundert unter Verwendung zweistelliger Jahreszahlen programmiert worden waren. Die führende 19 galt ja als gesetzt, wieso sollte also vierstellig kodiert werden?
Mit der Umstellung auf die führende 20 sahen IT-Experten daher die Katastrophe auf die Computersysteme des Globus zurollen. Was würde am ersten Januar 2000 alles nicht mehr funktionieren? Mindestens die Geldautomaten würde es erwischen, meinten viele. Andere gingen davon aus, dass die gesamte Energieversorgung zusammenbrechen würde. Kerzen und Taschenlampen wurden in den Läden knapp.
IT-Unternehmen investierten deshalb viel Zeit, um vermeintlich problematische Anwendungen anzupassen. Für die nach vorn gerichtete Softwareentwicklung blieb kaum Zeit. Letztlich erwies sich das Y2K-Problem als Problemchen. Die befürchteten Auswirkungen blieben aus.
Microsoft-Zeitplan wankt und fällt
Die Zeit war indes ins Land gegangen und ließ sich nicht zurückholen. Deshalb gelang es Microsoft nicht, die DOS- und NT-Linie in einem gemeinsamen Betriebssystem zu vereinen. Zunächst versuchte der Hersteller noch, eine abgespeckte Variante eines Windows 2000 für Heimanwender auf die Beine zu bekommen. Dazu war Anfang 1999 eigens eine Entwicklergruppe aus dem Windows-2000-Team ausgelöst und mit der Aufgabe betraut worden.
Die merkte schnell, dass die Aufgabe nicht zu stemmen war. Zu hoch waren die Systemanforderungen des Windows-2000-Systems. Zudem hatten sich Hardwarehersteller für privat genutzte PCs weitgehend auf die Entwicklung für Windows 98 konzentriert, sodass NT-fähige Treiber für große Teile der im Einsatz befindlichen Peripherie nicht erhältlich waren.
Not-Geburt Windows ME
Aus der Not heraus kündigte Microsoft dann am 7. April 1999 einen an sich ungeplanten Nachfolger des DOS-basierten Windows 98 Second Edition unter dem Namen Windows ME (Millennium-Edition, Jahrtausendausgabe) an. Nach einer ersten Beta Ende Juli 1999 dauerte es ein weiteres Jahr, bis Windows ME veröffentlicht wurde. Die im September 2000 freigegebene Version sah von außen weitgehend aus wie ein Windows 2000, basierte aber im Kern weiterhin auf MS-DOS– eine schlechte Kombination. Möglicherweise um die Herkunft vor den Augen des Nutzers zu verbergen, verzichtete Windows ME als erste DOS-basierte Version auf den dedizierten MS-DOS-Modus.
Windows ME versuchte mit erweiterten Gaming-Features zu punkten und sollte insgesamt als Multimedia-Betriebssystem wahrgenommen werden. Mit dem Internet Explorer in der nicht mehr vollständig grottigen Version 5.5 konnten Nutzer von ME damals als modern bezeichnete Websites recht ordentlich betrachten. Komplexere Inhalte wurden ohnehin per Java- oder Flash-Plugin in den Browser gebracht.
Nach einer zunächst gar nicht so schlechten Annahme des neuen Systems durch die Nutzer zeigten sich im weiteren Verlauf teils schwere Bugs, etwa den bei der damals neuen Systemwiederherstellung, der ebendiese Wiederherstellung zuverlässig zu verhindern wusste. Die wackelige Treiberunterstützung sorgte für eine wahre Vielfalt kleiner und großer Fehlermeldungen bis hin zum sogenannten Blue Screen of Death (BSoD), der nur durch ein beherztes Ausschalten des Rechners zu beheben war, nicht selten aber direkt beim Neustart wieder zum Vorschein kam. Der „abgesicherte Modus“, mit dessen Hilfe Probleme eingegrenzt werden konnten, wurde populär ohne dabei an Beliebtheit zu gewinnen.
Windows XP übernimmt nur 1 Jahr später
In der Zwischenzeit hatte Microsoft weiter an der ursprünglichen Idee, die beiden Betriebssystemlinien zusammenzuführen, gearbeitet. So erschien nur etwas mehr als ein Jahr nach Windows ME am 25. Oktober 2001 das in einer Home- und einer Pro-Version erhältliche Betriebssystem Windows XP. Windows XP ließ die DOS-Legacy komplett hinter sich und basierte auf dem NT-Kernel. Windows XP entwickelte sich zu einer der populärsten Ausgaben des Betriebssystems und erschien in vielen weiteren Versionen, darunter auch 64-Bit- und Embedded-Varianten.
Entsprechend lange konnte sich das Betriebssystem auf den Rechnern seiner Anwender halten. Erst im Januar 2007 brachte Microsoft Privatnutzern die nächste Windows-Version, genannt Vista. Insbesondere in Behörden finden sich auch im Jahr 2020 noch Rechner, die auf der Basis von Windows XP betrieben werden. Und nein, das ist wirklich nicht gut so.
Passend dazu: „Start Me Up“: Windows 95 löste vor 25 Jahren den PC-Boom aus